Die Welt von Lovecraft
Wann immer wir ein Spiel besprechen, das auf einen Hintergrund außerhalb des eigentlichen Spiels aufsetzt, versuchen wir, diesen Hintergrund in einer Art „Lore“-Folge zu beschreiben – aber nicht in einem essayistischen Erklärformat, sondern in einem Gespräch unter Fans. Das haben wir bisher für die beiden Tabletop-Szenarien Warhammer Fantasy Battle und Warhammer 40.000 gemacht, jeweils mit Maurice Weber von GameStar, und für die Welt von Sherlock Holmes mit dem Autor Uwe Sommerlad.
Dieses Mal geht es um den Autor H.P. Lovecraft – denn parallel zu dieser Folge erscheint unsere Besprechung zum Spiel Call of Cthulhu: Shadow of the Comet (Infogrames, 1993), einem Adventure, das quasi ein offizielles Lovecraft-Spiel ist.
Die sensationelle Rahel Sixta Schmitz, Journalistin, Autorin, Wissenschaftlerin und Mitglied der „Deutschen Lovecraft-Gesellschaft“, hat sich netterweise bereit erklärt, mit Gunnar zusammen einen Podcast lang das zu erforschen, was Fans „den Mythos“ nennen – das weit verzweigte Lovecraft-Universum, randvoll mit älteren Göttern, wahnsinnige Kultisten und einem Horror, der über den Verstand von Menschen hinaus geht.
Hört mal rein:
Podcast-Credits:
Sprecher: Rahel Sixta Schmitz, Gunnar Lott
Audioproduktion: Lars Rühmann, Christian Schmidt
Titelgrafik: Paul Schmidt, Gunnar Lott
Intro, Outro: Nino Kerl (Ansage); Chris Hülsbeck (Musik)
Mehr über Rahel Schmitz findet ihr auf ihrer Webseite: https://www.gothicendeavors.de/
Wer sich ein bisschen kosmischen Horror an die Wand hängen will, für den haben wir ein cooles Cthulhu-Poster!.
Weitergucken/lesen zum Thema Lovecraft:
LitosoPHie: Der Horror des H.P. Lovecraft erklärt (Video, deutsch, 2017)
Zachary Litrell: Lovercraft Reading Order for Beginners (Text, englisch, 2017)
Jurate Baronas: Cthulhu-Mythos Timeline (Blogpost, deutsch, 2019)
Silvia Moreno-García: Titan of Terror (Video-Essay, englisch, 2019)
Rahel Schmitz: Rezension zur Lovecraft-Gesamtausgabe von Festa(Text, deutsch, 2020)
Nerdwelten: Der Cthulhu-Mythos, erklärt von Professor Marco Frenschkowski (Podcast, deutsch, 2020)
Wunderbarer und hochinteressanter Podcast. Rahel hat zweifellos von vielerlei (nicht nur, aber auch popkulturellen) Gebieten sehr viel Ahnung und wirkt dabei trotzdem grundsympathisch, ladet sie gern wieder als Gesprächspartnerin ein.
„trotzdem“, als wären Wissen und Kompetenz ein Grund oder Indiz für ein unsympathisches Charakterbild. :D
Genau das dachte ich auch. Es gibt Menschen, die scheinen ein Problem mit Bildung zu haben — zumindest der von anderen.
Zur Thematik Wesen aus dem All/Aliens eine kleiner Hinweis. Guillermo del Toro hat sein geplantes Projekt, Berge des Wahnsinns, u.a. deswegen auf Eis gelegt, weil es Ridley Scotts Prometheus zu sehr geähnelt hat.
Ich war mir der Tatsache gar nicht gewahr, dass Lovecraft ein Antisemit und auch noch stolz drauf war. Das wäre mir jetzt auch durch die Werke nicht aufgefallen. Die Info war in der Tat aber eine wichtige und stellt das Universum tatsächlich in einem anderen Licht dar. Danke für die Infos.
Naja, ist die Musik von Jackson schlechter, weil er angeblich mit kleinen Jungs geschlafen hat? Wird House of Cards schlechter, weil sich im Nachhinein herausgestellt hat, dass Spacey andere Menschen sexuell belästigt? Ich denke, eine Trennung tut schon gut.
Das ist mit den eng gefassten Beispielen richtig, aber natürlich gibt es auch Haltungen, die ein Werk färben. Wenn ein erfolgreicher Trainer einer Jugendmannschaft Kids belästigt, kann man hinterher auch nicht die reinen Coaching-Leistungen und die damit erzielten Meisterschaften unabhängig würdigen. Bei Lovecraft ist das halt Teil des Werks. Deswegen muss man das nicht verbrennen, sondern kann es trotzdem als das einzigartige literarische Universum würdigen, das es ist. Man macht halt nur eine Fußnote dran und blickt auf einige Teile ein bisschen genauer als man das sonst täte.
Es ist immer gut, wenn man da den eigenen Blick ablegt und schaut, wie bestimmte Stellen/Haltungen auf Menschen wirken mögen, die eher betroffen sind.
Mal ein ganz anderes Beispiel, passt nicht ganz exakt, aber für mich aktuell:
Ich lese grade ein Fantasy-Buch nochmal, das ich vor zwölf Jahren oder so voll super fand. Und in der Tat ist es das auch, spannend und clever, aber ich lese es jetzt – anders als damals – auch ein bisschen mit dem Blick meiner Fantasy-begeisterten Tochter, der ich es gern empfehlen wollte. Und jetzt fällt mir der ganze ärgerliche und der Handlung null zuträgliche Sexismus auf, die eindimensionalen Frauenfiguren et cetera. Hab ich vorher einfach nicht bemerkt. Jetzt denke ich, puh, was wird meine Tochter empfinden, wenn sie das liest? Sie hat als Mädchen ein sehr deutliches Gespür dafür, weil sie sich natürlich anders als ich auch mit den weiblichen Nebenfiguren identifiziert, nicht nur mit dem männlichen Helden wie ich.
Das Buch ist immer noch spannend, ich kann das noch für mich genießen, ich finde den Autor jetzt nicht doof, aber das Werk hat halt eine Ebene, die ich vorher überlesen habe und die dazu angetan ist, Mädchen auszugrenzen. Da geht es auch nicht drum, nur weibliche Helden zu haben, sondern die Frauenfiguren mit dem gleichen Respekt zu behandeln wie die Männerfiguren – und nicht nur von der Körperlichkeit her zu deuten, als Love Interest, als Personen ohne Agenda. Klingt jetzt schlimmer als es ist, es hat durchaus auch interessante Frauenfiguren, aber nun.
Schlechte Beispiele, da hier tatsächlich auch eine Trennung seitens der Künstler stattfindet. Das Kevin Spacey Leute wohlmöglich belästigt haben soll, spielt bei der Darstellung seiner Rollen eben keine Rolle (hehe). Das findet bei Lovecraft nicht statt, sondern er lässt seine Einstellungen in das Werk mit einfließen. Wie bereits von den beiden im Podcast erwähnt, wird wirklich so gut wie alles, was nicht amerikanisch-puritanisch ist, als unterentwickelt und prinzipiell verschlagen angesehen. Eine Kurzgeschichte zB spielt im Hafenviertel einer Stadt. Diese wird als heruntergekommen und gefährlich beschrieben. Und warum? Weil dort überwiegen Portugiesen leben würden. Ohne Witz, eine ganze Seite der Geschichte beschreibt, wie dreckig und unzivilisiert diese Menschen sein. Und das ist noch eine vergleichbare harmlose Episode im Schaffen von Lovecraft.
Ich finde, das war eine lehrreiche Folge, da ich noch auf dem Level stand, dass Lovecraft kein Antisemit und/oder Rassist gewesen sei. Ich habe in dieser Richtung mal einen Podcast mit einer anderen Auffasung gehört.
In einer Sache würde ich jedoch widersprechen, wenn sich die Erkenntnis weiter durchsetzt und durch die SJW aufgegriffen wird, dann können wir den Mythos wegwerfen. Die Leute können nicht zwischen Werk und Autor trennen. Als weiteres Beispiel möchte ich die Zenusur der Geschichten von Pippy Langstrumpf anfügen. Ein unbeschwertes Tragen eines Shirt mit dem Konterfei ohne sich rechtfertigen zu müssen oder dem Verdacht ausgesetzt zusein, wäre nicht mehr möglich sein.
Im Kern müssten wir dann auch die Frage stellen, ob alle Menschen, die ein T-Shirt mit dem Konterfei von Che tragen – was eh schon amüsant ist -, fragwürdiges Gedankengut haben? Der Grat zwischen Kritik und Cancel Culture ist ja heute verdammt schmal.
Wenn ich im Pippi-T-Shirt auf die Straße gehe, fragt mich niemand nach meiner Gesinnung, genauso wenig bei Che (dessen Konterfei ja eh sinnentleerte Popkultur ist) und auch nicht bei Lovecraft. Eine kritische Auseinandersetzung mit einem Werk oder einer Person noch keine Zensur oder Diffamierung. Rahel hat das ja sehr differenziert erklärt.
Mein Problem war immer mit den Lovecraft Horror das ich verstand worauf er hinaus will mit den Kopf aber nicht mit dem Herzen und deswegen folgte bei mir Schnarch ^^
Vielen Dank für diesen tollen Überblick, auf diese Folge habe ich gehofft, seit ihr das Format ins Leben gerufen habt, weil mich der Mythos schon länger fasziniert, ich aber nie so recht den Einstieg gefunden habe. Eine schöne Einführung in die Welt und besonders Rahel Schmitz‘ philosophisch-literaturwissenschaftliche Einordnung hat mir sehr gefallen!
Ich werfe noch den Film „Die Mächte des Wahnsinns“ ins Rennen.
Ist zwar etwas schlecht gealtert, aber macht immer noch Spaß zu schauen.
Fuer alle weiter Interessierten hier der Link zum groessten deutschsprachigen Lovecraft-Podcast: https://arkhaminsiders.com/
Die ersten Episoden wird seine Biographie durchgeackert, danach werden die einzelnen Geschichten samt Hintergruenden erklaert.
Tolle Folge mit vielen, neuen Infos für mich, aber der wahre Horror ist Rahels Soundqualität ^^
Für den Genuß eines Podcasts ist der Sound wirklich wichtig. Mir blutet da das Herz wenn das ausgerechnet bei einem solch interessanten Gespräch der Fall ist.
Ja, das finde ich (leider!) auch. Als ich das Thema gelesen habe, war ich hocherfreut und Gunnars Stimme ist wie immer Balsam im Ohr, aber die Qualität von Rahels Tonspur ist über weite Strecken wirklich nur sehr schwer zu ertragen.
Ich mag das Format. Da ich Autor/Künstler/Schauspieler/Musiker eh schon immer von den Werken trenne, hab ich prinzipiell kein Problem mit den fragwürdigen, politischen Einstellungen der Schaffenden.
Oh-Mein-Gott, Gunnar Lott hat mich unter seinem Podcast verlinkt, Wahnsinn! Ich wollte als jugendlicher immer für die GameStar schreiben :D
Danke für diese Versüßung meines Tages.
Stephan von LitosoPHie
Hi,
toll noch über euch so viel über Lovecraft zu erfahren, aber ich war von dem Spiel etwas verwirrt, was ihr als Sanity’s Requiem auf dem GameBoy erwähnt. Ich nehme an, ihr meintet Eternal Darkness: Sanity’s Requiem für den GameCube oder?
Vielen Dank für euren Podcast und macht weiter so.
Die Folgen „Die Welt von…“ sind ein super Konzept und ich freue mich auf weitere Folgen.
Auch freut es mich, dass ihr externe Experten zu Rate zieht und nicht selbst aus Wikipedia zitiert o. Ä. wie das auch gerne mal gemacht wird.
Dabei steht natürlich das Problem im Raum mit der stark schwankenden Soundqualität. Jemand wie Maurice hat durch seine Tätigkeiten bei GameStar eine gute Soundqualität, bei Rahel war das leider nicht so.
Ist auch nicht zu erwarten, dass sich jemand extra für nur einen Podcast gleich ein teures Mikro holt. Da ist mir das Wissen des Gesprächspartners doch wichtiger, es fällt nur vor allem zu Beginn des Podcasts stark auf, wie groß der Soundqualitäts-Unterschied ist. Dann hab ich mich dran gewöhnt. Und sehr großes Lob an Rahel, es war dann nämlich sehr angenehm zuzuhören, wirkte fundiert und angenehm detailliert.
Was den „Mythos“ betrifft, bin ich absolut begeistert, was die kreativen Geister der Autoren etc. daraus erschaffen haben. Die Tabletop-Runden von Orkenspalter-TV sind ein großer Spaß. Bloodborne ist fantastisch und die Art, wie es seine Geschichte erzählt, passt gut in die Lovecraft-Art. Was visuelle Medien natürlich nicht gut schaffen (können) ist, dass sie den Horror auch zeigen. In Lovecrafts Geschichten ist es meist ja ein unbeschreibliches Etwas. Und das ist nicht einfach in einem visuellen Medium umzusetzen, weswegen ich auch glaube, dass viele Filme damit Probleme haben.
Lovecrafts Geschichten selbst finde ich zwar gut, aber nur im Maße. Mal ein paar Abende Lovecraft lesen geht gut, aber den Sammelband seiner Geschichten am Stück war mir irgendwann zu anstrengend, da sie recht ähnlich sind und teilweise nicht so schön zu lesen. Gerade das oft erwähnte „At the Mountains of Madness“ habe ich für mich erstmal auf „Pause“ gesetzt, weil ich den Anfang sehr zäh finde.
„Color out of Space“, „The Music of Erich Zann“, „Shadows over Innsmouth“ oder „The Thing on the Doorstep“ hingegen haben mir sehr viel Spaß gemacht und ließen sich super herunterlesen.
Dass Lovecraft ein Rassist und Antisemit war, war mir im Vorfeld bewusst. Was mich dabei aber immer interessiert ist, was die Leute daraus machen. Und dieses Thema ist ein absolutes Minenfeld, wo es schwierig ist, darüber zu reden.
Ich habe einige Lovecraft-Geschichten gelesen und bin der Meinung ja, wer will, kann recht einfach Rassismus dort hineininterpretieren. Angefangen schon beim Grundkonzept „Der Angst vor dem Unbekannten/Fremden“.
Ich habe mich bewusst dazu entschieden, die Geschichten aber nicht mit dieser Färbung zu lesen. Und das funktioniert gut und ich glaube auch, dass wer sich der Einstellung von Lovecraft nicht bewusst ist, der wird es nicht so einfach in den Geschichten erkennen können.
Sehr tolle Folge, die mir sehr gut gefallen hat. Die Soundqualität war nicht immer perfekt, aber man kann bei einem Gast ja auch nicht erwarten, ein paar hundert Euro in profesionelles Soundequipment zu stecken. Zwei Dinge sind mir aufgefallen:
Zum einen bin ich schon merklich zusammengezuckt, als der Name seiner Katze mehrfach so flapsig eingeworfen wurde. Ja, die hieß so, das kann man nicht vom Tisch fegen, aber nachdem ihr da in anderen Folgen mit so viel Fingerspitzengefühl rangegangen seid wirkte das hier doch etwas brachial.
Zum anderen sagt ihr (sinngemäß), dass es ja sonst kaum etwas gibt, wo so viele Leute am selben Universium arbeiten, ohne dass es einen klaren Kanon gibt. Das stimmt natürlich. Ein gutes und faszinierendes Beispiel fällt mir hierfür allerdings ein: Die SCP Foundation.
Für die, die diese Seite nicht kennen: Im Prinzip ist es ein Wiki, in dem jeder eigene Artikel über fiktive anomale Objekte, Personen, Orte oder Ereignisse schreiben kann. Die Artikel sind als pseudowissenschaftliche Dokumentation aufgezogen und aus Sicht einer Organisation geschrieben, welche diese Anomalien einzufangen und vor normalen Menschen zu verbergen versucht.
Dass die Qualität der Artikel massiv schwankt und seit ihren Anfängen auch große Veränderungen durchgemacht hat ist klar – das interessante ist aber, dass es auch hier keinen Kanon gibt. Die Autor:innen versuchen, sich nicht zu sehr auf die Zehenspitzen zu steigen (wenn mein Artikel die Freiheitsstatue als SCP enttarnt, wird das wohl kein zweiter auch so tun) und einige Dinge werden durch allgemeinen Konsens „Pseudo-Kanon“ (ein Artikel hat einen Gegenstand eingeführt, der die Realität „verfestigen“ kann – andere Artikel haben diesen Gegenstand begeistert aufgegriffen, weil er für die eigenen Geschichten perfekt gepasst hat), aber genausogut können mehrere Artikel sich direkt widersprechen. Oder ein Artikel, der mit den „Realitätsverfestigern“ viel weniger interessant wäre, erwähnt diese einfach in keiner Silbe und es ist klar, dass sie für DIESEN Artikel nun mal einfach nicht existieren.
Eine tolle Folge. Sehr positiv überrascht hat mich, dass ihr die rassistische Grundhaltung von Lovecraft so offen thematisiert habt, dass ihr deutlich gemacht habt, dass diese Weltsicht auf sein Werk durchgeschlagen hat und Lovecrafts Haltung über „ein Kind seiner Zeit“ deutlich hinausging. Gleichzeitig habt ihr im Gespräch auch die Faszination eingefangen, die von Lovecrafts Werk bis heute ausgeht. Ein interessantes Spannungsverhältnis. Für mich selber kann ich sagen: Seit ich realisiert habe, wie grundlegend Lovecrafts Rassismus seine Welt beeinflusst hat, sehe auch das ganze Konzept der „großen Alten“ usw. ganz anders. Ich habe mich gefragt, ob sich da nicht der größte Horror des Rassisten ausdrückt: Was, wenn andere Wesen MICH, für unterentwickelt halten?