Wie man heutzutage am leichtesten Zugang zu Textadventures findet. Ein Text von Gunnar Lott.

Infocom gehört zu den faszinierendsten Firmen der frühen Games-Historie und hat viele anspruchsvolle, originelle und lustige Textadventures produziert, die man auch heute noch gut genießen kann. Der Podcast Stay Forever hat eine Reihe von ihnen behandelt, etwa Sherlock, Deadline oder Planetfall.

Für Menschen, die Lust haben, ein Textadventure unter Windows 11, einem aktuellen MacOS oder Linux selber mal auszuprobieren, haben wir eine leicht verständliche Anleitung verfasst.

Infocom-Spiele auf modernen Systemen spielen: Schritt für Schritt

0. Infocom-Spiele mit Box kaufen: Die originalen Infocom-Spiele in der Box haben neben Disketten und gedruckten Anleitungen meist „Feelies“ in der Packung, atmosphärische Beigaben. Die sind zum Genuss nicht notwendig, unterstützen aber das Spielgefühl. Die Spiele sind ganz gut auf eBay o.ä. erhältlich, leider zu enormen Preisen. Sammlungen wie die Lost Treasures of Infocom (mit 20 Spielen drin) haben eine bessere Euro-pro-Spiel-Ratio, dafür fehlt ein gehöriger Teil der Feelies oder oder ist nur in einem Buch nachgedruckt. Und natürlich kann man die Spiele darin nicht direkt spielen, das sind alte Versionen für DOS oder andere Betriebssysteme der 80er.

1: Welches Spiel? Tipps zum Einstieg: Wishbringer gilt unter Experten als ideales Einsteiger-Infocom-Adventure, danach schließt sich die Fortsetzung Enchanter gut an. Wishbringer hat aber auch ein paar Nervigkeiten; eine Alternative wäre Plundered Hearts, das ist ein Piratenspiel – nicht das originellste Werk von Infocom, aber gut spielbar.

2. Infocom-Spiele digital: Die Infocom-Spiele gibt es (bis auf Ausnahmen, etwa die Zork Anthology) nicht als Steam- oder GOG-Download. Der Rechteinhaber Activision stellt kaum „legale“ Versionen bereit, scheint aber auch die Sammlungen im Netz nicht aktiv zu verfolgen. Die beste, wenn auch möglicherweise nicht legale, Quelle ist zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels The Obsessively Complete Infocom Catalog.

3. Begleitmaterial durchlesen: Die Infocom-Spiele haben schöne Anleitungen und Extras (die oben erwähnten „Feeelies“), die sich, wenn man schon nicht die Box kaufen kann oder mag, als Scans hier (oder auf Archive.org) finden.

4a. Online losspielen: „https://iplayif.com/?story=“ vor der URL aus dem in 2. erwähnten Katalog einfügen, go. Man kann da auch speichern und laden, wenn man den Cookie der Seite nicht löscht.

4b. Von Festplatte spielen, Schritt 1: der Interpreter. Infocom-Spiele sind so gebaut, dass sie aus zwei Komponenten bestehen, den systemunabhängigen Story-Files („z-Files“) und dem Interpreter. Interpreter-Programme, die derlei Files abspielen können, gibt es viele. Eine Liste findet ihr hier. Wir empfehlen zum Start für MacOS Spatterlight, für Windows gibt Lectrote. Beide Programme funktionieren problemlos, sind aber nicht mit Features überladen. Wer Lust hat, tiefer einzusteigen und vielleicht auch moderne (dieser Tage mit IF für „Interactive Fiction“ bezeichnet) oder grafische Textadventures auszuprobieren, ist vermutlich besser mit Gargoyle (viele Optionen, um vor allem die Darstellung anzupassen, aber auch ein bisschen viel Arbeit) oder Frotz (quasi das Standardprogramm) bedient. Beide gibt es für eine Vielzahl von Systemen, Frotz sogar auch für das iPad.

4c. Von Festplatte spielen, Schritt 2: die Story-Files. So, jetzt brauchen wir noch die Story-Files, um sie in den Interpreter zu laden. Der Link zu einer Liste steht in 1a, wir brauchen ein File, das auf auf .z3, .z5 oder sowas endet. Files auf .dat gibt es auch. Die Zahlen stehen für die Versionen des hauseigenen Infocom-Interpreters, der Z-Machine, die modernen Interpreter verarbeiten die alle anstandslos. Downloaden und im Interpreter starten, in der Regel über den Punkt „Game“ oder „File“. Bei manchen kann man das File auch einfach ins Interpreter-Fenster ziehen. Dann sollte man einen Bildschirm haben, der ungefähr so aussieht:

Der Startbildschirm von Wishbringer in Lectrote.

 

5. Tipparbeit. Das Spiel beschreibt die Szene als Text. Der Prompt >_ wartet jetzt auf eine Texteingabe, mit frei eingetipptem Text bewegt man sich durchs Spiel. Typische Befehle sind INVENTORY (ruft das Inventar auf, abkürzbar mit „I“), eine Himmelsrichtung wie NORTH, SOUTH etc. (bewegt die Spielfigur dorthin, abkürzbar mit N,S, SW, NE etc.), EXAMINE OBJEKTNAME (untersucht das benannte Objekt). Mit SAVE speichert man das Spiel, mit RESTORE lädt man. Die Infocom-Adventures beherrschen auch interessante andere Eingabeformen, etwa solche:

  • Personen ansprechen (SHERLOCK, GIVE ME THE AMPULE)
  • Indirekte Objekte verwenden (UNLOCK THE PADLOCK WITH THE SHINY KEY)
  • Objektauswahl treffen (TAKE ALL FROM THE SUVIVAL KIT EXCEPT THE BLUE GOO)
  • Mengenangaben machen (TAKE FIVE RED BERRIES)
  • Artikel verwenden (TAKE THE GUN, AN AXE, ONE OF THE HANDKERCHIEFS)
  • Pronomen statt Objektname (PICK UP THE RED HERRING. LOOK AT IT. FOLLOW FLOYD. ASK HIM ABOUT THE MACHINE)
  • Mehrere Befehle auf einmal eingeben (GO NORTH THEN ENTER HOUSE. WAIT)
  • Rückname eines Befehls (OOPS)

6. Karten zeichnen. Die Spiele vertrauen darauf, dass man Informationen mitschreibt und eine Karte des Spiels anfertigt. Man kann für alle Infocom-Spiele auch Karten im Netz finden, das eigenhändige Zeichnen ist aber Teil des Spaßes. Man kann das mit dem Bleistift auf Kästchenpapier tun (Rechtecke als Räume, Striche als Verbindungen/Wege an der korrekten Seite des Raums), es gibt aber auch schöne, kostenlose Tools dafür, etwa Trizbort.io, das solche Karten produziert:

Planetfall: Karte des Spiels, erstellt in Trizbort.io

(Das JSON-File für diese Karte kann man zum Ausprobieren hier laden und sich in Trizbort.io anschauen.)

7. Scheitern.
Die Spiele sind aus heutiger Sicht unintuitiv und schwierig, es ist keine Schande, eine Lösung zu befragen. Mit der Google-Eingabe „Spielname“ + „Walkthrough“ findet man in der Regel gleich mehrere. Die Infocom-Spiele haben aber auch Lösungsbücher, die als immer detaillierter werdende Antworten auf Fragen zum Spiel geschrieben sind. Damals waren die mit unsichtbarer Tinte gedruckt (hießen deshalb „Invisiclues“) und mussten zum Lesen mit beiliegenden Stiften übermalt werden (um sich nicht versehentlich selber zu spoilern). Im Netz gibt es aber auch Abschriften, etwa hier. Neuere Infocom-Spiele und moderne Werke der Interactive Fiction haben in der Regel eingebaute Tipps, die man mit Befehlen wie HINT oder HELP aufruft.

8. Mehr Spaß zu zweit. Die Titel sind natürlich keine Multiplayer-Spiele, machen aber mehr Spaß, wenn man sie zu zweit vor dem Rechner oder parallel mit Freunden spielt. Ein gutes Beispiel fürs parallele Spielen ist Stay Forevers Podcast-Format „Stay Forever Spielt“, bei dem Chris und Gunnar unabhängig spielen und sich in Podcast-Folgen zu den eigenen Erlebnissen und Erkenntnissen austauschen. Hier ist als kostenlos erhältlicher Anspieltipp der Supercut der Staffel zu Anchorhead, einem modern(er)en Textadventure mit Horror-Setting. Wenn es Infocom sein soll, da gäbe es Folge 1 der Staffel zu Deadline, die Episoden 2-4 gibt es aber nur für Unterstützer auf Patreon/Steady.

Weiterführende Informationen:

Texte: Der sensationelle Jimmy Maher hat schöne Artikel zu Infocom (Lesetipp: The Birth of Infocom) und einzelnen Spielen (etwa Hitchhiker’s Guide).
Podcasts: Gold Machine hat einige hübsche Besprechungen von Infocom-Spielen, die Jungs von Eaten by a Grue haben alle Infocom-Spiele durchgespielt, Gunnar hat in einem Podcast bei The Pod auch mal von seiner tiefen Faszination für das Genre erzählt.
Video: Get Lamp ist eine aufwändige Doku zum Textadventure-Genre, es gibt auch eine Doku speziell zu Infocom. Letzere ist eine Art Beiprodukt zu Get Lamp und verwendet teilweise das gleiche Material.

Ein paar Tipps für Leute, die tiefer in Textspiele einsteigen wollen, aber lieber was „modernes“ möchten, keine Spiele aus den 80ern:

9:05 (Web) – sehr kurzes, cleveres Adventure mit Alltagsthema
Hadean Lands (Steam) – toll geschriebenes Textadventure mit komplex-knobeligem Alchemiesystem
Spider and Web (Web, Download) – kostenloses Browseradventure mit cleverem Gamedesign und tollen Ideen
Thaumistry (Steam) – einsteigerfreundliches Abenteuer von Branchenveteran Bob Bates (Test von Gunnar auf gamestar.de)
Sorcery! (mobile) – grafisch aufgemotzte Serie von Entscheidungsspielen mit rollenspielhafter Charakterentwicklung