MAGAZIN | Spotlight: Die Retro-ASM
Im Juli ist nach 28 Jahren eine neue Ausgabe des kultigen Spielemagazins ASM erschienen. Chris war damals ASM-Abonnent und hat sich das Heft angeschaut. Ein Text von Christian Schmidt.
Eine neue ASM also! 100 Seiten stark „flattert“ sie in meinen Briefkasten, schnell reingeblättert, auf der ersten Seite „begrüßt“ mich direkt ein Foto von Manfred Kleinmann. Held meiner Jugend, ASM-Chefredakteur von Beginn bis Ende 1991! Alt ist er geworden (sind wir ja alle), aber trotzdem gleich „wiedererkannt“. Schnell die in Anführungszeichen gesetzten Wörter zählen: Immerhin viermal auf einer halben Seite Text, er hat’s noch drauf wie damals, das verlernt man halt nicht! Wie Tetrisspielen oder Biertrinken.
Für den Rest der Ausgabe muss ich „leider“ drauf verzichten, denn die neue ASM (Nr. 3 März/April 2023, sagt das Cover) ist gar nicht von Kleimann. Der hat netterweise nur das Editorial beigesteuert und das Coverbild gesponsort, ein Original-Bromley. Der Rest stammt von einem „neuen“ Team um Alexander Drews, wer auch immer das sein mag. 1995 war damals Schluss mit der ASM, dem „Aktuellen Software Markt“, seinerzeit mal das größte Spielheft der Republik. 28 Jahre später schnürten Drews und ein Grüppchen ehrenamtlicher Mitstreiter(innen?) nun diese Fan-Ausgabe zusammen, mit Original-Logo und allem. Eine beachtliche Tat in Zeiten hoher Papierpreise und Magazinsterben, GAIN und Retro Gamer gehen ja gerade über die Wupper. Acht Credits bzw. Euronen muss man dafür digitalerweise „hinblättern“, denn das Magazin kommt nur auf Bestellung nach Hause geschippert. Gibt’s im Amigashop auf amigashop.org, logisch.
Was hat das „Ding“ denn nun zu bieten? 100 Seiten, sagte ich ja schon (lest halt oben noch mal nach), gefüllt mit zweierlei: Erstens wären da Tests, Tests, Tests und nochmal Tests, und zwar zu mehr oder weniger aktuellen, neuen alten Spielen. Homebrew eben, also Spiele, die heute noch auf uralten Systemen wie Amstrad CPC, ZX Spectrum oder dem guten alten Brotkasten (Commodore 64, für alle Nachgeborenen!) erscheinen. Die neue ASM ist da wie die alte ein Multiformat-Format, würfelt also alle Plattformen bunt durcheinander. Ist für jeden was dabei, sozusagen. Sogar das eine oder andere Spiel für Amiga, diese neumodische Kiste! Die neue ASM orientiert sich an der alten ASM des Jahres 1987. Da war die ASM zwei Jahre alt, der Amiga noch recht neu, die 8-Bitter standen in den Kinderzimmern. Und das Layout der ASM hatte noch keine Piktogramme, statt Space Rat witzelte noch Donald Bug in den Cartoons herum, Meinungskästen gab’s noch nicht. Das ist sogar für mich oldschool – meine goldene Ära als ASM-Leser war ab 1991, da war die ASM schon generalrenoviert, und vor allem kamen da endlich auch mal PC-Spiele vor. Sucht man in der neuen ASM vergeblich. Kommt da etwa kein Homebrew-Zeug für raus oder was?

Wo war ich? Ach ja, zweitens. Zweitens enthält die neue ASM eine extradicke Portion Fan-Service für alle, die damals Leser waren. Interviews mit einer ganzen Reihe der Redaktionshelden, mit Manfred Kleinmann natürlich, mit Martina Strack, Thorsten Oppermann, Klaus „Cruiser“ Segel und so weiter. Das ist jetzt nicht die große Kunst des Interviews, aber schon nett, zu erfahren, was aus denen allen geworden ist. Jedenfalls merkt man, dass da ASM-Kenner am Werk waren: Da gibt’s einen „Wusstet ihr eigentlich?“-Kasten mit kuriosen Fakten rund um die ASM. Da wird die Geschichte rund um den Vorfall aufgeklärt, warum Speed Racer damals als Raubkopie getestet wurde – ein erhellender Blick „hinter die Kulissen“! Da kommt nach fast 30 Jahren ASM – Das Spiel endlich raus, das damals für einen Wettbewerb entstand, den die ASM dann nie aufgelöst hat. Und da wird der damalige Test zum britischen Grusel-Adventure Personal Nightmare im Original abgedruckt, fünf Seiten lang! Ein besseres Beispiel dafür, wie die ASM damals war, hätte man nicht finden können: Manfred Kleimann und Bernd Zimmermann testeten das Spiel gemeinsam und geben sich im Laufe des Textes die Feder in die Hand; mischen dabei Test und Komplettlösung, der eine duzt die Leser, der andere siezt, der eine vergibt einen Hit-Stern, der andere nicht, mitten im Text steht der Wertungskasten von Kleimann, am Ende ein anderer von Zimmermann, die erste Doppelseite ist mit winzigem roten Text auf grauem Artwork völlig unlesbar, und über allem steht die Titelzeile „Durchlebte Nächte in trauter Zweisamkeit“. Kompletter Wahnsinn.

Und so – und ich sage das voller Anerkennung – ist auch die neue ASM. Horde Hardcore-Fans hämmert Hommage-Heft – heraus kommt ein Haufen Humbug? Denkste! Na klar, das ist kein Feuilleton, hier schreiben Laien. Aber die haben Spaß an der Sache, und einigermaßen überrascht stelle ich fest, dass ich deshalb auch Spaß beim Lesen habe. Da wird das, was man gerade halt so denkt, zu Papier gebracht, Gedankenstrom-Stil, und dann stehen da Sachen wie „Mancher hat ja Spaß daran, leere Blechdosen von einem Zaun zu schießen. Ersetzen wir nun die leeren Blechdosen durch Roboter und den Zaun durch eine stimmungsvolle Spielwelt, und wir haben ein Computerspiel“, und ich fühle mich wieder zuhause. Da hat nie ein Redakteur drübergeschaut, das ist unbeleckt vom abgeschliffenen Erklärstil der institutionellen Spielekritik, frei Schnauze, voller Stilblüten, Abschweifungen, persönlicher Einflechtungen. Das clevere „Interview“ mit Sir Wilfred of Ivanhoe (aus Defender of the Crown) ist sogar richtig witzig. Die neue ASM druckt eiskalt schwarzen Text auf dunkelgrünen Hintergrund, macht die Screenshots winzig oder lässt sie gleich ganz weg. Ein Lektorat kann bestenfalls flüchtig durchgeblättert haben, aber auch das gehört zum Charme; im Interview-Block wird der Name des ASM-Herausgebers Axel Gredé auf drei unterschiedliche Arten geschrieben, allesamt falsch. Man kann da draufschauen und sagen: stümperhaft. Oder: charmant und authentisch.
Richtig ist beides. Damals wie heute. Deshalb hat mir die neue ASM Spaß gemacht. Ein dickes ABER gibt‘s trotzdem: Man muss die ASM schon kennen, um damit was anfangen zu können. Und die ganzen Homebrew-Spiele interessieren mich, so nett die Texte geschrieben sein mögen, halt nicht für fünf Pfennig. Insofern ist das ein hübsches Einzelstück. Aber bei aller Liebe: Eine zweite Ausgabe muss nicht sein.