REVIEW | System Shock Remake
Wit einer Verspätung von fünfeinhalb Jahren wurde das Remake des Shooters System Shock nun doch noch veröffentlicht. Ein Text von Fabian Käufer.
Die Geschichte dieses Remakes ist symptomatisch für viele problematische Projekte, die über die Jahre auf Kickstarter ins Leben gerufen wurden: Mitte 2016 starteten die amerikanischen Nightdive Studios auf der Crowdfunding-Plattform eine Kampagne, um eine modernisierte Neuauflage des Klassikers System Shock von Looking Glass zu entwickeln. Das ließen sich viele Retro-Fans nicht zweimal sagen: 1,35 Millionen Dollar gingen am Ende ein, die Finanzierung war gesichert, der Dezember 2017 als anvisierter Releasetermin freudig im Kalender markiert.
Doch dieser Termin verstrich. Im Detail darzulegen, was die Entwicklung weiter und weiter verschleppte, würde den Rahmen mehrerer Newsletter sprengen, darum eine Kurzfassung: Man wechselte von Unity auf die Unreal Engine, entwickelte Ambitionen, die mit der angedachten Zeit und dem eingenommenen Geld nicht in Einklang zu bringen waren, tauschte Personal aus, fing noch mal von vorne an und wurde von der Corona-Pandemie erwischt. Mit dem Plaion-Label Prime Matter fand Nightdive Ende 2021 schließlich einen Publishing-Partner, und jetzt ist das Spiel da.
Für die Kickstarter-Unterstützer endet eine lange Zeit des Wartens, im Gegensatz zu anderen Kickstarter-Ärgernissen möchte ich Nightdive aber zusprechen, dass sie sich an anderer Stelle in den letzten Jahren als kompetente Spielefirma erwiesen haben. Das auf Neuauflagen spezialisierte Studio hat Spiele wie Turok 2 (2017), Doom 64 (2020) und Quake (2021) durchaus gut in die Neuzeit gebracht.
Das Remake von System Shock beginnt mit einem einleitenden Flug durch New Atlanta im Jahr 2072. Schließlich landen wir im Appartement des Hackers, den wir spielen, und wenige Minuten sowie eine unfreiwillige Reise später finden wir uns auf der Raumstation Citadel wieder. In relativer Unkenntnis des Originals sammle ich schon im ersten Raum etwa 27 Gegenstände ein, die ich liebend gerne gegen klare Instruktionen tauschen würde. Missmutige Mutanten helfen mir nicht weiter, als ich freundlich nach dem Weg frage. In einer mir völlig angemessen erscheinenden Reaktion haue ich sie dafür mit einer Eisenstange. Leider bin ich danach kein Stück schlauer als vorher.
Überfordert irre ich umher, bis ein erster Feind mit Feuerwaffen meine Eisenstange zur Lachnummer und mich zu einem leblosen Zellhaufen degradiert. Einige ähnlich traurige Tode später schaue ich ein wenig verschämt in den Review Guide, dessen 89 Seiten inklusive bebilderter Komplettlösung mittlerweile gar nicht mehr so überdimensioniert wirken. Was also möchte System Shock von mir? Ah, ich soll hier was hacken, da ein Cyberspace-Spiel-im-Spiel erledigen, dort über einen Code stolpern und diesen an anderer Stelle eintippen. Aber wie soll ich auch in Ruhe nachdenken, während die stotternde Schurken-KI Shodan mich so gern tot sehen würde, was in gleichem Maße für die vielen Feinde in den labyrinthischen Gängen gilt? Für einen Moment wünsche ich mir, ich hätte zu Spielbeginn die separaten Anspruchsregler für Kampf, Cyberspace und Rätsel runtergedreht. Aber wer rechnet denn heute noch damit, dass Spielfortschritt wirklich erarbeitet werden will? Das Remake nimmt seine Vorlage und Spieler gleichermaßen ernst, Nightdive hat das Spiel nicht auf aktuelle Konventionen simplifiziert.
Nachdem ich das akzeptiert und das Spielkonzept verstanden habe, klappt es besser. Dass mir die Citadel etwas monoton vorkommt, ist okay, visuelle Vielfalt hat vermutlich nicht die höchste Priorität beim Bau einer Raumstation. Und dass vieles gleich aussieht, heißt nicht, dass es schlecht aussieht. System Shock findet hier einen guten Mittelweg zwischen Retro und Moderne. Es bemüht sich gar nicht erst um Triple-A-Niveau, sondern will mit neuen Mitteln den alten Stil treffen. Ich find’s schön schaurig, die gute Sprachausgabe tut ihr Übriges.
System Shock ist inhaltlich immer noch faszinierend, an vielen Stellen erkennt man die Bauteile, die später Spiele wie Bioshock, Dishonored oder auch Dead Space verwendet haben. Komplett vom Hocker haut System Shock mich – vielleicht gerade deswegen – insgesamt aber nicht. Dafür habe ich zu wenig nostalgische Liebe für das Original und zu viel Kenntnis neuerer Spiele, die das damals so bemerkenswerte Konzept zugänglicher umgesetzt haben. Wer sich aber eine in der Erfahrung authentische Neuauflage gewünscht hat, für den sollte das Remake nach all der Zeit die Erwartungen voll erfüllen.
Ich habe System Shock auf dem Steam-Deck gespielt. Das funktioniert auch ohne Maus und Tastatur gut, schließlich musste Nightdive für die (später erscheinenden) Versionen für PlayStation und Xbox ohnehin eine Controller-Steuerung ersinnen. Der Controller ist aber schon ganz schön vollgepackt, und man merkt, dass System Shock ursprünglich nicht dafür entwickelt wurde, auch wenn sich das UI sinnvoll entschlackt präsentiert.
Seit 2015 existiert mit der System Shock: Enhanced Edition übrigens eine weitere Version des Spiels, auch diese wurde von Nightdive Studios entwickelt. Hier handelt es sich um das nur moderat modernisierte Originalspiel. Eine Enhanced Edition von System Shock 2 soll folgen. Wenn ihr noch (viel) mehr über System Shock erfahren wollt, hört euch einfach Folge 27 von Stay Forever an, hier wurde das Original von Chris und Gunnar besprochen. Wenn die 2013 schon gewusst hätten, wie lange wir später auf das Remake warten würden! Wir nehmen im Übrigen Wetten an, ob und wann System Shock 3 kommen wird. Angekündigt wurde es 2015.
(Dieser Text erschien zuerst im Insider 6/2023, dem kostenlosen E-Mail-Magazin von Stay Forever.)