Chris:
[0:24] Hallo Gunnar, endlich ist es soweit, wir sprechen über Gothic.
Gunnar:
[0:28] Lass uns lieber über was anderes reden.
Chris:
[0:32] Ist das ein Scherz? Seit Wochen bereiten wir uns jetzt darauf vor und jetzt machst du einen Rückzieher?
Gunnar:
[0:37] Ich dachte, das wäre schon lange geklärt, aber es ist wohl nicht so.
Chris:
[0:41] Nichts ist geklärt. Gestern hast du noch gesagt, du freust dich auf die Folge.
Gunnar:
[0:45] Man darf auch nicht alles glauben, was man hört.
Chris:
[0:48] Das darf nicht wahr sein. Ich bin fest davon ausgegangen, dass wir heute über Gothic reden.
Gunnar:
[0:53] Verlass dich auf jemanden und du bist verlassen. Es ist einfach so.
Chris:
[0:56] Das fass ich nicht. Ja dann, liebe Zuhörerinnen, liebe Zuhörer. Es tut mir leid.
Gunnar:
[1:02] Ach, Christian, da bist du ja. Hi, ich wollte nur noch mal ganz schnell die Sprüche der Gothic-NPCs durchgehen. Zur Vorbereitung.
Chris:
[1:14] Ach, schön, dass du da bist, Gunnar. Hallo, dann heiße ich dich noch mal willkommen und euch alle, die hier uns zuhört, zu der Stay Forever Folge 150. Und wir widmen sie dem mit Abstand meist gewünschten Thema bei Stay Forever, nämlich dem deutschen Rollenspiel Gothic. Und allein aus dieser Tatsache, dass es so viele Menschen da draußen gibt, die seit Jahren auf diese Folge warten, kann man schon ableiten, dass das ein Spiel sein muss, das für viele Menschen etwas Besonderes war, damals, als es rauskam im Jahr 2001. Gilt das eigentlich auch für dich, Gunnar?
Gunnar:
[1:50] Ja, das war ein sehr besonderes Spiel für mich.
Chris:
[1:55] Würde ich auch sagen. Also ich habe es damals auch geliebt und mag es bis heute sehr, sehr gerne. So viel kann man mir schon mal vorausschicken.
Gunnar:
[2:02] Ich hatte große Angst, dass es mir nicht mehr gefallen würde. Man prallt ja manchmal an Spielen ab, auch an Spielen, die man sehr gemocht hat. In der Jugend wollte ich fast sagen, aber in meiner beruflichen Zeit. Das war aber nicht so. Ich habe das jetzt nochmal gespielt, logischerweise für diesen Podcast und das war eine große Freude. Mit Abstrichen natürlich, ist ja klar.
Chris:
[2:26] Ja, auch das sollte niemanden überraschen, der Gothic kennt. Das ist da durchaus das eine oder andere gibt, was vielleicht nicht ganz so glatt geschliffen ist bei dem Spiel. Aber das Interessante ist, dass das auch einen Teil des Charmes ausmacht, würde ich sagen. Aber wir haben heute ein dickes Brett vor uns, das gesägt werden muss.
Gunnar:
[2:42] Wie du das gesagt hast. Ja, das ist wahr. Ich habe übrigens noch mal in die GameStar geschaut, in die Ausgabe, in der der Test war. Das war die 4.2001.
Chris:
[2:52] Ja.
Gunnar:
[2:52] Um mal zu gucken, was wir damals dazu gesagt haben und ob ich da irgendeine Rolle hatte bei dem Test. Hatte ich aber nicht. Der Test ist von Peter Steinlechner. Aber sehr erstaunlich aus heutiger Sicht, wenn man diese Bedeutung, die dieses Spiel hat, sich so vor Augen führt. Das ist ein Vier-Seiten-Test. Das ist nicht der größte Test im Heft. Und das Spiel kommt nicht mal groß auf dem Cover vor. Also es ist keins der drei Titelthemen auf dem Cover. Es ist nur die Demo erwähnt, die gleichzeitig auf der CD ist.
Chris:
[3:20] Ja, das Spiel war ja mehr als drei Jahre lang in Entwicklung, also mehr als genug Gelegenheit für die GameStar Vorberichterstattung zu machen. Schätz mal, wie oft hatten wir das auf dem Cover im Vorfeld? Entweder als Titelstory oder als große Preview.
Gunnar:
[3:33] Hatten wir das überhaupt auf dem Cover?
Chris:
[3:35] Das ist die richtige Frage und die Antwort darauf lautet nein. Kein einziges Mal war Gothic auf dem Cover, egal ob als Haupt- oder Nebenthema. Und es waren, soweit ich das gesehen habe, insgesamt fünf Seiten Preview verteilt auf überwiegend Einseitenartikel, die wir da ab und zu dazu gemacht haben. Und ich denke, man kann festhalten an dieser Stelle, die Gamester hatte manchmal den richtigen Riecher, was Spiele angeht, wie bei Stronghold zum Beispiel. Aber in diesem Fall hat er uns gefehlt. Wir haben das Potenzial und die Bedeutung von Gothic im Vorfeld nicht erkannt. Und danach schon, bei den Nachfolgern schon. Die hatten wir oft genug danach auf dem Cover. Aber beim ersten Teil noch nicht.
Gunnar:
[4:12] Ja, der Test ist ganz kompetent. Es ist nichts gegen zu sagen und hat wunderschöne Bilder gemacht, der Peter. Er ist ein großer Screenshot-Schütze gewesen in seiner Zeit bei der GameStar. Aber das muss uns überraschend getroffen haben. Wahrscheinlich haben wir gedacht, ach, das ist nix, gucken wir mal. Und dann, ah, jetzt müssen wir doch vier Seiten machen.
Chris:
[4:31] Nun ja, ich weiß auch gar nicht, ob man uns das so übel nehmen kann, aber es ist ja dann ein überraschend gutes Spiel dabei rausgekommen. Wir haben im Vorfeld zu dieser Folge nicht nur bei der Gothic nochmal intensiv gespielt, sondern wir haben auch mit drei der damals Beteiligten gesprochen an der Entstehung des ersten Gothic mit Mike Hoge, Tom Putzky und Kai Rosenkranz und die werden wir später, wenn es darum geht, die Entwicklungsgeschichte nachzuerzählen auch häufig hören. Und die helfen uns dann dabei, das zu erzählen. Aber bevor wir da hinkommen, reden wir erstmal über Gothic, das Spiel. Und ich würde sagen, Gunnar, wir steigen erstmal ein, wie das Spiel einsteigt und setzen so den Handlungsrahmen. Gothic beginnt mit folgendem Satz.
Gunnar:
[5:20] Das Intro zeigt den König im Thronsaal. Das schildert kurz und knapp, dass er im fortdauernden Krieg ist mit seinem Hauptfeind, den Orks. Dann kommt eine schicke Kampfszene und König Roba hat großen Bedarf an Waffen wegen des andauernden Krieges. Und um die Waffen zu machen, braucht er ein Metallerz. Vor allen Dingen magisches Erz. Und magisches Erz gibt es in Myrthana nur in einem einzigen Ort.
Spielton:
[5:45] Der König brauchte Schwerter für seine Armeen. Und jeder, der sich eines auch noch so geringen Verbrechens schuldig gemacht hatte, wurde zur Arbeit in den Erzminen von Korinis gezwungen.
Chris:
[6:00] Korinis ist eine Stadt samt der umliegenden, hier noch nicht weiter definierten Regionen. Erst im zweiten Gothic wird daraus dann eine Insel werden. Aber zu Korinis gehört das sogenannte Minental. Das ist sozusagen das Ruhrgebiet von Myrtana, nur dass das in diesem Fall eine Strafkolonie ist. Da werden Zwangsarbeiter eingesetzt, um in den Minen nach Erz zu graben. Und um diese Gefangenen besser kontrollieren zu können, da büchsen nämlich ständig welche aus, hat der König eine brillante Idee.
Spielton:
[6:28] Um jede Flucht unmöglich zu machen, sandte der König die mächtigsten Magier des Reiches aus, eine magische Barriere, um das gesamte Tal zu errichten.
Gunnar:
[6:38] Und jetzt geht irgendwas schief. Was genau, das weiß man zum Spielbeginn nicht. Das bleibt erstmal ein Mysterium. Im Ergebnis wird diese magische Barriere viel größer als geplant und umschließt das ganze Minental. Und nicht nur das Minental an sich, sondern auch gleich noch die zwölf Magier, die die Barriere beschworen haben und die gerne draußen geblieben wären und die jetzt auch drin gefangen sind. Und die Gefangenen checken das natürlich sofort und töten erstmal die Wachen von König Roba.
Spielton:
[7:08] Der König hatte keine Wahl. Er musste verhandeln. Er brauchte das Erz.
Chris:
[7:16] Und damit haben wir die Ausgangslage zu Beginn des Spiels. Das Minental liegt jetzt seit rund zehn Jahren unter der Barriere, als das Spiel startet. Und diese magische Barriere ist so gestaltet, dass sie Lebewesen hineinlässt. Also man zum Beispiel neue Gefangene da reinschmeißen kann, aber keine mehr hinauskommen. Gegenstände dagegen können hindurch. Und nun leben innerhalb dieser Barriere also hunderte von den ehemaligen Gefangenen plus diese zwölf Magier, die die Barriere ursprünglich erschaffen haben. Und es herrscht ein ehemaliger Gefangener namens Gomes, der nennt sich jetzt Erzbaron, oberster Erzbaron und der handelt mit dem König. Gomes lässt weiterhin Erz abbauen im Minental, liefert das nach draußen und erhält dafür alles, was man zum Leben so braucht. Also Lebensmittel, Wein, Bücher für die Magier, junge Frauen für ihn und die anderen Erzbarone. Und es werden immer mal wieder neue Verbrecher in die Barriere geworfen. Ist ja auch eine probate Möglichkeit für den König, um unliebsame Leute loszuwerden. Und zu Spielbeginn ist es wieder soweit. Wir sind dran. Wir stehen am Rand der Barriere. Ein Beamter des Königs verließ das Urteil, als plötzlich ein Mager in Roter Robe hinzutritt. Und wir bekommen in dem folgenden Dialog schon einen ersten Eindruck davon, wie unser Protagonist so drauf ist.
Spielton:
[8:28] Im Namen König Robas II., Träger des Zepters von Varand, Vereiniger der Vierreiche am Myrtaut. Gut, Gefangener, ich habe dir ein Angebot zu machen. Dieser Brief muss den Führer der Feuermagier erreichen. Du verschwendest deine Zeit. Deine Belohnung könntest du selbst wählen. Man wird dir alles geben, was du verlangst. Gut, ich werde deinen Brief nehmen. Unter einer Bedingung. Er spart mir den Rest von seinem Gefahrsel. Du wahr! Schweig! Gut, hinein mit ihm.
Gunnar:
[9:09] Er ist nämlich ein bisschen schnodderig, unser Protagonist. Wir werden in der Folge durch die Barriere geworfen, fallen von der Anhöhe, landen in einem kleinen See. Und, raue Welt, da wartet eine Gruppe Leute und haut uns zur Begrüßung erstmal aufs Maul. Gott sei Dank kommt uns jemand zu Hilfe.
Spielton:
[9:26] Das reicht. Lass ihn in Ruhe. Mach, dass ihr wegkommt. Ich bin Diego. Ich bin… Mich interessiert nicht, wer du bist. Was muss ich über diesen Ort wissen? Wir nennen es die Kolonie. Du wirst sicher schon gehört haben, dass wir hier Erz für den König fördern. Nun, zumindest wir vom alten Lager. Es gibt drei Lager innerhalb der Barriere. Das alte Lager ist das größte von ihnen.
Gunnar:
[9:52] In den Jahren seit der Erschaffung der Barriere hat sich in der Kolonie eine eigene Gesellschaftsordnung entwickelt. Und der Diego gibt uns eine erste grobe Beschreibung davon. Es gibt drei Fraktionen in drei Lagern. Mehr wissen wir jetzt noch nicht. Und auf dem Weg hinein ins Minental treffen wir einen Gradisten des alten Lagers. Ori heißt er.
Spielton:
[10:12] Du bist der Neue, den sie heute reingeworfen haben, nicht? Sieht so aus. Dann solltest du wissen, dass du dich vor den Typen aus dem neuen Lager in Acht nehmen musst.
Gunnar:
[10:22] Und Ori erklärt uns zusätzlich noch die Hierarchien innerhalb der Barriere.
Spielton:
[10:26] Die Erzbarone haben alles unter Kontrolle. Unter ihnen stehen die Gardisten, unter denen wiederum stehen die Schatten. Ganz am Ende kommen die Butler. Butler ist jeder, der hier ankommt. Wenn du was Besseres werden willst, musst du als erstes bei den Schatten aufgenommen werden. Als ich ans Ufer gespült wurde, hat mich einer von den Typen mit einem Schlag ins Gesicht begrüßt. Das machen sie mit jedem Neuen. Sie nennen es die Taufe. Habt ihr im alten Lager noch mehr so nette Leute? Es gibt schon einige Schweine, aber solange du dein Schutzgeld zahlst, kann dir nichts passieren.
Chris:
[11:02] Und damit beginnt Gothic. Und unsere Aufgabe ist klar, erstmal müssen wir einen Weg finden, um diesen Brief an den obersten Feuermarke zu liefern. Aber dafür werden wir uns erstmal in der Hierarchie der Minenkolonie hocharbeiten müssen. Und wir werden die drei Fraktionen kennenlernen und uns entscheiden müssen, welcher davon wir uns anschließen wollen. Aber letztendlich ist unser Ziel der Ausbruch. Niemand hat die magische Barriere je überwunden, aber unser namenloser Protagonist hat fest vor, der Erste zu sein.
Gunnar:
[11:37] Das ist ein ziemlich ungewöhnlicher Einstieg für ein Rollenspiel. Was hier jetzt nämlich kommen müsste, aber nicht kommt, ist die Charaktererschaffung, Christian. Warum haben wir denn keine Charaktererschaffung? Ich kann das nicht ohne Charaktererschaffung.
Chris:
[11:51] Ja, was hättest du denn jetzt gerne gemacht? Einen Magier erst mal erschaffen, dir schöne Ruben angezogen, schon mal überlegt, welche Skills du geben möchtest. In schöner Das-Schwarze-Auge-Tradition. Nee, gibt’s hier nicht. Schnick-Schnack.
Gunnar:
[12:03] Schnurrbart hätte ich gerne gemacht. Das geht hier alles gar nicht. Wir kommen im Verlauf des Gesprächs noch ein paar Mal dazu. Gothic macht eine ganze Reihe von Sachen, die andere Rollenspiele nicht machen. Aber es macht vor allen Dingen auch eine ganze Reihe von Sachen nicht, die andere Rollenspiele machen. Und das ist schon alles sehr absichtlich. Also man fängt hier nicht an mit so einer künstlichen Werteverteilung und Charaktererschaffung. Man ist dieser Typ, der ist so weit unten in der Hierarchie, dass er nicht mal einen Namen hat. Du kannst ihm nicht mal einen Namen geben, es geht einfach hier los. Und du kannst nichts auswählen, kein Aussehen, keine Klasse, nichts dergleichen. Es gibt überhaupt nicht mal Klassen im Spiel, wie das sie in typischen Rollenspielen ja sonst immer gibt. Das ist alles erstmal offen hier. Du weißt noch gar nichts.
Chris:
[12:51] Das hat so eine Unmittelbarkeit, die auch, das werden wir später noch häufiger hören und ausführen, auch ein wichtiges Designprinzip war, dass möglichst wenige Dinge zwischen dem Spielenden und dem Erlebnis der Welt stehen sollen. Dazu gehören solche abstrakte Dinge wie eine Charaktererschaffung, dazu gehört aber auch zum Beispiel das Interface. Wir sehen in diesem Start in der 3D-Welt das Land vor uns und da ist kein Inventarfenster, da ist kein großes Interface oder sowas. Also das ist ein Lebensenergiebalken. Das ist auch schon alles. Und dann geht es direkt rein in diese Welt. Und wir sind da am Anfang gelandet in so einem See. Der liegt in den Bergen zwischen Felswänden. Drumherum sind ein paar Schuppen aufgebaut für ein Warenlager. Das ist ja dieser Austauschplatz mit den Leuten des Königs. Man kann hier schon mal versuchen, an die Barriere ranzugehen. Durch die ist man ja gerade reingeworfen worden. Und dann wird man von einem Blitzschlag geröstet. Das geht genau zweimal, dann ist man tot.
Chris:
[13:49] Es sagt einem das Spiel auch ohne weitere Erklärung, es ist einfach eine schlechte Idee zu versuchen, hier wieder rauszugehen. Und der einzige Pfad führt durch die Felsen runter in eine Art von Tal. Da kommen wir dann an einer Palisadenwand vorbei, wo wir mit dieser Wache Ori sprechen, das haben wir ja vorher gehört. An einer verlassenen Mine vorbei und dann öffnet sich vor uns dieses Tal, das Minental. Und wir haben einen fantastischen Blick auf dieses Tal, wo unten eine alte Brück, das alte Lager, wie wir von Diego schon erfahren haben, von einem Fluss umflossen in der Mitte dieses Tales liegt. Und diese Fernsicht, sofern man denn damals im Jahr 2001 einen Rechner hatte, wo man das wirklich hochdrehen konnte, ist mit das erste, woran ich mich erinnere und was mich damals unglaublich beeindruckt hat. Also nicht nur die Weltgestaltung an sich, sondern auch die Tatsache, dass du hier deinen Blick schweifen lassen kannst. Also nicht unbedingt bis zu den fernsten Berggruppen, nicht über das gesamte Minental, aber doch weit genug, um zu sehen, dass da faszinierende Dinge sich vor uns öffnen.
Gunnar:
[14:51] Genau, und du schaust da, weil du vom Berg runterkommst, ja auch von leicht oben drauf. Das ist auch ein Aspekt, der heute ganz selbstverständlich ist, dass es eine starke Vertikalität in der Spielwelt gibt, Berge, auf die du hinaufkletterst und so. Zu der damaligen Zeit gab es das in anderen 3D-Rollenspielen auch schon, aber es gab auch noch echt ganz schön viel flache Spiele. Die Zeit der flachen Spiele ist nicht so lange her. Und hier kommst du von diesem Berg runter, guckst in dieses Tal und hast das Gefühl, diese ganze Welt liegt vor dir. Aber du weißt natürlich, es ist eine tödliche Welt. Du hast gerade eben auf diesem Weg runter deinen ersten Kampf bestritten gegen irgend so ein unförmiges Monster, was du nicht einordnen kannst. Eine Mole Rat. Hast, wenn du aufmerksam warst, an der gleichen Stelle deine erste Waffe gefunden. Und kannst jetzt also weitergehen und dein erstes logisches Ziel ist diese Burg, das alte Lager. und der Eingang zu dieser Burg ist auch relativ in der Nähe.
Chris:
[15:46] Du sagtest gerade schon, die Zeit der flachen Spiele ist noch nicht so lange her. Die Zeit, in der wir hier sind, also um die Jahrtausendwende, Gothic ist Anfang 2001 rausgekommen, das ist eine Zeit, wo sich viele Spiele Genres in Richtung 3D-Grafik entwickeln. Die Action-Spiele sind da schon längst da, die Strategie, insbesondere die Echtzeit-Strategie-Spiele sind da auch schon einen weiten Weg gegangen und die Rollenspiele, lassen Sie sich noch ein bisschen Zeit, also es gibt schon eine Tradition von 3D-Rollenspielen in dieser Ära, aber wir sind hier noch in einer recht vitalen Zeit von 2D-Spielen. Da ist Baldur’s Gate 2 ja erst ein Jahr vorher erschienen, 2000. Da haben wir noch ein Planescape Torment, ein Icewind Dale, ein Arcanum. Und auf der anderen Seite aber natürlich auch wichtige Serien, die schon seit einer Weile mit 3D experimentieren.
Chris:
[16:28] Might & Magic zum Beispiel ist seit Teil 6 3D 1998, Ultima seit 1999. Wizardry wird auch 2001 dann 3D. Elder Scrolls ist es von Anfang an seit Arena 1994. Und wir haben natürlich auch die ersten Online-Rollenspieler, also in Everquest zum Beispiel, die richtig große 3D-Welten darstellen. Aber was noch relativ neu ist, auch innerhalb dieser 3D-Rollenspielwelten, ist die Tatsache, dass wir das nicht aus der Ego-Perspektive sehen, sondern aus der Verfolgeransicht. Also unseren Helden, unseren Protagonisten ständig im Blick haben. Auch das ist jetzt nicht das erste Mal. Das hatten Ultima 9 zum Beispiel schon 1999, also zwei Jahre vorher. Oder ein Vampire The Masquerade Redemption hat das ein Jahr vorher schon. Aber das sind alles Spiele, die gab es zu dem Zeitpunkt, wo die Entwicklung von Gothic begann im Jahr 1997 noch nicht. Die waren da noch nicht in der Welt. Also es hat einfach eine Weile gedauert, bis Gothic rauskam, aber dieser Gedanke ist noch frisch und das fühlt sich im Jahr 2001 auch noch sehr frisch an, einen Protagonisten durch ein 3D-Rollenspiel zu steuern, den man sieht dabei.
Gunnar:
[17:34] In der Tat. Also Ultima ist schon, würde ich sagen, das Spiel, das dem am meisten ähnelt, so auf den ersten Blick zumindest. Es hat viele Unterschiede, philosophischer Natur auch, aber am Anfang ist das grundsätzlich ähnlich, auch mit der 3D-Welt und der Hardware-Hunger und die Bugs, die beide Spiele ein bisschen geplagt haben. Aber du hast schon gesagt, diese 2D-Rollenspiele sind zu der Zeit das, glaube ich, sich besser verkaufende Genre. Ich würde nicht sagen, dass das eine Evolution ist, aber eher eine Gegenströmung.
Chris:
[18:01] Ja, das ist schon nicht unwesentlich, würde ich sagen, weil das ist ja noch nicht so lange her, dass wir das Rollenspiel Revival haben. Das kam ja durch Baldur’s Gate und Fallout maßgeblich so 97, 98 und dieses Revival, das wieder viele Leute dazu gebracht hat, war natürlich in diesem traditionellen, regelfokussierten Dungeons & Dragons inspirierten Rollenspiel und dann eben auch in dieser recht übersichtlichen 2D-Grafik. Und diese vergleichsweise neue Strömungen der 3D-Rollenspiele, insbesondere wenn es neue Marken sind wie Gothic, die sind da schon in gewisser Weise ein Gegenmodell. Denn diese 2D-Spiele stehen schon für eine, sagen wir mal, eine sehr altmodische Art des Rollenspielens. Und wenn man eines über Gothic nicht sagen kann, dann, dass es in irgendeiner Form altmodisch wäre.
Gunnar:
[18:44] Das ist ein guter Punkt und das, was du sagst mit altmodisch, das betrifft aber auch einen Teil der 3D-Rollenspiele, nämlich Magic und Wizardry, die beiden großen alten Serien, die sind sehr traditionell in der Art, wie sie gebaut sind. Und da hast du diese großen Charakter-Screens mit diesen typischen Inventar-Screens. Du hast eine Party jeweils. Und dies ist ja auch ein Rollenspiel ohne eine Party. Du bist halt ganz alleine auf der Welt. Du kannst später im Verlauf des Spiels mal kurz Leute mitnehmen, aber das sind temporäre Begleiter. Die kommen eher aus der Story. Die kannst du nicht so frei anwerben. Also du bist ein einzelner Held, so wie in Ultima 9 der Avatar ein einzelner Held ist.
Chris:
[19:27] Du sagtest vorhin auch schon, das ist ja nun eine begrenzte Region, in der wir hier sind. Ein wichtiger Unterschied auch zu anderen Arten von Rollenspielen ist, das hier ist eine Open World. Ein Begriff, den man so damals noch nicht gesagt hat, aber so würden wir das heute verstehen. Also eine Welt, die ohne Ladepausen unsegmentiert ist, fast vollständig. Wenn man in größere Dungeons geht, dann gibt es eine Ladepause in Gothic, das ist aber auch schon alles. Ansonsten ist es völlig egal, ob du von der Außenwelt in eine Stadt, von einer Stadt in eine Hütte oder von einer Wiese in eine Höhle gehst. Es geht immer nahtlos. Und die Welt ist, auch wenn sie also boffen und ungebrochen ist, aber doch einigermaßen kompakt, dadurch, dass sie unter dieser Barriere liegt. Ich weiß jetzt gar nicht, wie lange würde man brauchen, um von einer Seite der Spielwelt zur anderen zu laufen? Hast du da eine Vermutung?
Gunnar:
[20:17] Ich habe an einer bestimmten Stelle des Spiels, als ich den Auftrag bekommen habe, aus dem Sumpflager, das liegt auf der Karte unten rechts, zur alten Mine zu gehen, die genau entgegengesetzt oben links liegt. Und da habe ich vier Minuten 51 Sekunden gebraucht. Also ohne Tricks und ohne Abkürzungen und ohne zwischendurch Monster zu vermöbeln. Einfach so, wie man da so durchlaufen würde in einem normalen Auftrag.
Chris:
[20:40] Und das war ja nicht Luftlinie, sondern das war dann den Wegen gefolgt.
Gunnar:
[20:44] Den Straßen gefolgt, genau.
Chris:
[20:45] Ja, ich würde denken, ja, dann sagen wir mal, wenn wirklich vom äußersten Punkt der Karte zum anderen äußersten läufst, dann vielleicht sechs Minuten. Also das ist alles recht machbar. Ich würde diese Region einmal kurz beschreiben, so wie wenn wir eine Karte angucken. Es gibt im Spiel auch eine Karte, die man aber natürlich erst mal bekommen muss. Auch das ist ein Punkt, du hast kein arbiträres Interface-Element, das dir irgendwie die Umgebung anzeigen würde. Nein, wenn du eine Karte in der Spielwelt haben willst, dann musst du schon irgendwo eine kaufen und die hat dann jemand gemalt.
Gunnar:
[21:10] Und dann musst du sie im Inventar aufrufen.
Chris:
[21:13] Genau, und dann guckt dein Held da drauf. Und die meisten Karten, die man anfangs bekommt, sind auch unvollständig. Also dieses Minental ist, das sagt der Name ja schon, ein Tal. Also es ist eingekreist von Bergen, halbkreisförmig bis auf den Osten. Da ist das Meer. Und das hat so eine zentrale Talebene, die von zwei Flüssen durchzogen ist, die aus den Bergen reinfließen und ins Meer münden. Im Südosten gibt es dieses Sumpfgebiet, wo einer der Flüsse so ein Delta ausformt. Und da ist es dann brackig und große, sumpfige Bäume stehen dort. Im Osten gibt es auch eine hügeliche Region mit dichtem Wald. Dann haben wir im Norden und Westen überwiegend Bergland mit zunehmend steilen Hängen und Klippen, durch die sich die Felspfade schlängeln. Und im Süden, wenn wir diese Karte dann später im Spiel bekommen, dann fehlt der Süden. Da ist offensichtlich Bergland, aber es ist unbekannt. Und der Zugang zu diesem Bergland ist versperrt von einem Posten. Da ist eine Garnison eingerichtet vom alten Lager. Da stehen auch ständig Gardisten davor und weisen Leute ab, die da hinwollen in den Süden und sagen, hier beginnt das Orkland, geh da nicht rein. Kannst du den Wind schlagen und sagen, ja, ich gehe da trotzdem rein, aber das ist gerade zu Spielbeginn eine Entscheidung, die man sehr schnell bereuen wird.
Chris:
[22:20] Und das Schöne an diesem Minental ist, dass aber überall Überreste des Orgkrieges zu sehen sind, der hier getobt hat vor nicht allzu langer Zeit. Da stehen noch Wachtürme auf den Hügeln, da sind noch Ruine zerstörter Kastelle und Siedlungen, verfallene Fischerhütten am See, ein halb versunkener Turm in einem Bergsee. Und in dieser zerklüfteten Landschaft gibt es auch viele natürliche Höhlen. Es gibt vor allem die Minen natürlich, nach denen das Tal benannt ist, von denen zwei noch aktiv sind, Eine im Norden, eine im Südosten und es gibt eben diese drei Lager, das alte Lager in der Mitte, wirklich zentral in der Mitte der Karte in diesem Flusstal, das neue Lager in den Bergen im Osten und das Sumpflager in diesem Flussdelta am Meer im Südosten.
Gunnar:
[23:02] Von diesen ganzen Sachen weißt du am Anfang nichts. Der Mittelpunkt deiner Welt zunächst ist dieses alte Lager. Du hast schon erfahren, dass es auch noch andere Lager gibt, aber das ist ein sehr abstraktes Konzept, finde ich, am Anfang. Ja, okay, die sind da irgendwo. Und der Diego, der uns am Anfang begrüßt hat, sagt, geh mal zum alten Lager. Ich so, warum sollte ich überhaupt zum neuen Lager gehen? Das alte Lager ist hier eindeutig die Zivilisation, die Ordnungsmacht. Das sieht man halt auch daran, dass die bestimmte Bereiche der Karte sozusagen absperren und für Sicherheit sorgen. Über ihr eigenes Lager hinaus. Die haben halt kleine Garnisonen, also immer so zwei Mann oder so, auf der Karte und sorgen hier für Sicherheit. Das ist der Ort, wo wir zunächst reingehen. Und die anderen beiden Lager definieren sich eher in Abgrenzung zum alten Lager. Ja, das neue Lager ist auch tatsächlich nur eine Gruppe von Deserteuren aus dem alten Lager, die sich da abgewandt haben und die da jetzt so ein Banditendasein in den Bergen führen und ganz andere Ziele haben. Dazu kommen wir später noch. Und die Leute, die in diesem Sumpflager wohnen, sind einfach gewöhnliche Irre.
Chris:
[24:07] Sektenspinner sind das.
Gunnar:
[24:08] Sektenspinner, genau. Mit denen werden wir noch genügend zu tun haben und was die für eine Rolle spielen in dieser Welt. Also erstmal ist der logische Weg ins alte Lager und da machst du auch so eine schlechte und eine gute Erfahrung, wie sie für das Spiel einigermaßen typisch ist. Du triffst hier den Diego wieder, der dir am Anfang geholfen hat. Der nimmt dann so eine Art Mentor-Funktion für dich ein, gibt dir Tipps, sagt dir Sachen, die du machen musst. Du hast dann das Ziel, nicht so ein gewöhnlicher Minenarbeiter zu werden, sondern die erste Leiter zu erklimmen und ein Schatten zu werden. Also so eine Art Soldat, so ein Wachmann, würde ich mal sagen. Und da sagt er dir, wie du das machen sollst, mit welchen Leuten du sprechen musst und derartige Dinge. Und gleichzeitig gehst du halt zwei Schritte in dem Lager und jemand erpresst Schutzgeld von dir. So eine Wache, weil er es halt kann.
Spielton:
[24:56] Hey du, redest du mit mir? Ich will dich warnen. Jemand wie du hat hier schnell Ärger am Hals. Und die meisten, die sie hier reingeworfen haben, sind Arschlöcher. Sie denken, dass sie mit dir machen können, was sie wollen. Aber das lassen wir nicht zu. Gomez will, dass Ruhe im Lager herrscht. Und wir Gardisten sorgen dafür. Aber so eine Aufgabe ist extrem kostspielig. Darum bitte ich dich um etwas Erz. Du musst das als Freundschaftsdienst verstehen. Du hilfst uns und wir helfen dir. Wenn du mal Ärger hast, sind wir da.
Gunnar:
[25:38] Und er sagt dann hier, das ist mein Bereich des alten Lagers. Wenn du hier lang gehen willst, gib mir mal 10 Erz und dann beschütze ich dich. Und du hast gar keine 10 Erz. Und dir ist auch gar nicht klar, dass es jetzt erstmal eine Währung ist. Also offenkundig wird hier in Erzbrocken bezahlt. Es scheint keine Münzwährung zu geben. Dann gibt man ihm vielleicht irgendwas und dann ist er auch damit erstmal zufrieden. Und dann beschützt er dich tatsächlich. Dann kannst du da ruhig rumgehen. Und dann gehst du einen Schritt weiter und dann kommt der Nächste. Weil es gibt nämlich noch andere Gebiete in dem Lager, wo andere Leute die lokale Mafia sind. Das ist schon eine raue Welt. Und du hast die ganze Zeit immer diese zwei Sachen. Du begegnest halt Leuten, die dir nicht helfen wollen und die dich für Dreck halten. Und spontan zwischendurch begegnest du immer mal wieder Leuten, die dir einfach so helfen. Und diese Momente, wo dir jemand hilft oder dir freundlich gegenüber tritt, fühlen sich enorm gut an, weil die ganze Welt so feindselig gebaut ist.
Chris:
[26:34] Also es ist schon eine sehr hierarchische Welt, in die wir hereinkommen. Man könnte ja annehmen, dass wir hier in diesem ehemaligen Gefängnis, wo jetzt die Gefangenen die neuen Herren sind, in eine Art anarchischen Zustand kommen. So eine Auge-um-Auge-Situation, wo es ums blanke Überleben geht und jeder der Feind des anderen ist. Aber das ist überhaupt nicht so, sondern im Gegenteil haben sich hier ziemlich klare Ordnungen herauskristallisiert. Allein schon natürlich in diesen drei Lagern, die abgegrenzt voneinander sind, die aber nicht losgelöst voneinander sind, die schon in Interaktion miteinander stehen. Das alte Lager und das neue Lager, die sind sich eher Feind. Das ergibt sich auch ganz gut aus dieser Machtdynamik. Die Erzbarone im alten Lager haben ja nun das Monopol auf den Handel mit der Außenwelt und bekommen die ganzen Waren. Das heißt, wer überleben möchte in dieser Welt unter der Barriere, der muss ja irgendwie an überlebensnotwendige Dinge kommen. Und das neue Lager macht das mit einer Mischung aus Ackerbau und Überfällen. Also die sind auch gewisserweise Bandit aus Notwendigkeit. Das, was sie brauchen, das stehen sie in erster Linie vor allem von den Leuten vom alten Lager. Das Sumpflager wiederum hat ein eigenes Monopol ausgebildet. Nur im Sumpf wächst Sumpfkraut. Das Cannabis der Welt von Gothic sozusagen und da sind alle scharf drauf.
Chris:
[27:51] Und dementsprechend sind auch die beiden anderen Lager bereit, mit dem Sumpflager zu handeln. Es gibt noch eine andere Verbindung zwischen dem Sumpflager und dem alten Lager. Das alte Lager hat eine Mine, logischerweise, das ist ja die Quelle ihres Reichtums und ihrer Macht. Aber in den Minen unter der Erde des Minentals, da leben Minecrawler. Das sind so gigantische Ameisen-ähnliche Insekten, die jeden Menschen, den sie treffen, verspeisen. Das heißt, irgendwie muss man sich gegen die verteidigen. Und das Sumpflager hat eine Templer-Kriegerkaste, die sich darauf spezialisiert hat, diese Minecrawler zu bekämpfen. Das ist beim alten Lager auch ganz gerne gesehen. Also es gibt solche Verwebungen in der Machtdynamik, aber grundsätzlich beäugt man sich mit Skepsis und alle wetteifern um die wenigen Ressourcen, die es in dieser Welt gibt. Und dann haben wir aber, wie du gerade schon beschrieben hast, in den einzelnen Lagern, ohne Ausnahme, egal in welches wir gehen, eine strenge Hierarchie, eine strenge Rangordnung, wo jeder von oben auf den anderen herunterguckt. Und das erlebt man und das ist eine der wunderbaren Sachen an Gothic sehr schnell und sehr unmittelbar am eigenen Leib, indem man halt erstmal behandelt wird wie der letzte Mensch. Und wie du schon sagtest, im alten Lager einem direkt mal zum Beispiel Schutzgeld abgepresst wird.
Gunnar:
[29:03] Das ist ganz erstaunlich. Du hast schon recht, dass da keine Anarchie ausgebrochen ist. Aber mein Blick darauf ist, dass durch die Tatsache, dass mit der Außenwelt gehandelt wird, dadurch so eine Struktur reinkommt und dadurch ein System notwendig geworden ist, zumindest mal im alten Lager. Und dass die anderen beiden Lager ihre Systeme als Spiegelung des alten Lagers haben. Sogar die Drogendealer vom Sumpflager, sogar die haben eine total strikte Hierarchie, wie du gesagt hast. Halt eher eine religiöse Hierarchie. Die haben alle große Ziele, diese Lager. Das alte Lager ist das Lager des Status Quo.
Chris:
[29:37] Denen geht es gut mit der Situation, wie sie ist.
Gunnar:
[29:40] Die sind so zufrieden. Die haben dieses Monopol mit dem Außenhandel. Die haben eine Art von Arbeiter oder vielleicht sogar Sklavenkaste. Die Buddler, die den ganzen Tag in der Mine schuften. Und darüber die hierarchischen Gruppen. das sind in der Regel in irgendeiner Form Wachen, Soldaten, die ruhen sich da so ein bisschen drauf aus. Die haben auch keinen ganz großen Grund, was zu ändern. Die kommen schon klar. Das hat bei diesem Status Quo nicht viel zu gewinnen. Das will hier raus. Deren großes Ziel ist, hier rauszukommen. Die bauen auch Erz ab, aber die verkaufen das Erz nicht an die Außenwelt. Können sie auch gar nicht, weil da sitzt ja das alte Lager da drauf auf diesem Monopol. Sondern die scheffeln das und machen einen großen Berg damit. Einen Berg von diesem magischen Erz. Und diesen Berg möchten sie in die Luft sprengen, in der Hoffnung, dass das die Barriere wegsprengt.
Chris:
[30:36] Spitzenidee.
Gunnar:
[30:37] Das ist eine Spitzenidee. Das ist bestimmt gar nicht gefährlich. Und dazu muss man erwähnen, dass es ja die Zauberer noch gibt. Es waren ja zwölf Zauberer beteiligt an dieser Einsperrung. Und die gibt es noch. Es gibt nämlich sechs Wassermagier und sechs Feuermagier in der Welt. Die sechs Wassermagier sitzen im neuen Lager und denken übers Sprengen nach. Und die sechs Feuermagier sitzen im alten Lager und lassen sich gut gehen. Die haben nämlich ein Bündnis mit den Erzbaronen geschlossen. Und dann sind da noch die Sektenspinner aus dem Sumpflager, die haben ein religiöses Ziel. Die glauben an einen Gott, den Schläfer. Und die glauben, wenn sie nur hart genug beten und ein paar Experimente dazu machen und Magie ausüben, dann können sie diesen Schläfer erwecken. Und der Schläfer, wenn der erweckt wird, der wird sie dann nachher rausholen natürlich.
Chris:
[31:25] Ja genau, da geht es dann auch darum, aus der Barriere auszubrechen, aber getragen auf den Flügeln eines Gottes sozusagen. Und das ist ja die beste Art und Weise, wie man so rauskommen kann aus so einer Bejährung. Es gibt in Gothic einen Gegensatz zwischen dem Innen dieser Lager, die strukturierte Organisationen sind, die auch abgegrenzt sind von der Außenwelt, insbesondere natürlich das alte Lager, wo ja eine richtige Mauer drumherum ist und wo es auch einen geregelten Tagesablauf gibt, man sie so peu à peu in der Hierarchie hocharbeitet und dem Außen der Welt, die vor den Toren liegt, wo diese vermeintliche Sicherheit dieser Lager dann sofort verschwindet und man mehr oder weniger alleine mit der Natur ist. Denn da draußen vor den Mauern dieser Lager ist nicht mehr viel, was man Zivilisation nennen könnte. Da findest du mal hier einen Lagerplatz von einem Jäger, der sich irgendwo niedergelassen hat. Aber das war es eigentlich schon. Also du findest hauptsächlich Reste von Zivilisation und du findest die Tierwelt. Und ich würde vorschlagen, um diese Welt ein bisschen besser zu verstehen von Gostek und wie sie sich anfühlt und wie sie aussieht, machen wir mal eine kleine Reise durch die Spielwelt, genau.
Gunnar:
[32:29] Ja, und weil wir in einem Podcast sind, machen wir eine Soundreise. Und wir gehen jetzt hier mit euch durch die Welt der Kolonie. Es ist relativ früh im Spiel. Wir starten im alten Lager und wir wollen in das neue Lager. Das alte Lager haben wir schon erzählt, das liegt in einem Tal in der Mitte der Spielwelt. Da ist eine Burg, die wurde im Orkkrieg teilweise zerstört, war zwischenzeitlich ein Gefängnis und gehört nun den Erzbaronen. Das neue Lager ist im Westen in den Bergen. In Gothic ist das, wenn wir langsam gehen, vielleicht eine Strecke von drei bis vier Minuten, sofern alles gut geht und uns niemand aufhält. Also wir starten im alten Lager, um uns herum wabern die Gespräche der Lagerbewohner, dazu läuft die Musik des alten Lagers.
Spielton:
[33:16] Das war früher. Das kam zu anderen Stellen aus. Das ist wirklich nicht mein Verpfleg. War doch nicht besonders. Das ist doch mal alles. Das ist alles, was man hört. Was?
Chris:
[33:24] Vor uns liegt das Nordtor, bewacht von mehreren Soldaten, die uns wortlos beobachten, als wir da hinauslaufen. Und vor den Burgmauern sieht man noch die Trümmer der alten Schlacht. Der Weg, der führt zu einer wackeligen Brücke, die es notdürftig mit Holzplanken zusammenhält. Hier endet der Einflussbereich des alten Lages in Form von zwei Wachen, die noch einen guten Rat für uns haben.
Spielton:
[33:48] Hast du irgendwelche Tipps für mich? Ja, geh nicht allein in den Wald. Es sei denn, du bist stark genug, gegen die ganzen Viecher anzukommen.
Chris:
[33:57] Ja nun, aber genau durch diesen Wald müssen wir durch. Der liegt düster vor uns und sobald wir ihn betreten, ändert sich die Stimmung. Die Musik wird unheimlicher, die Geräusche des Waldes umgeben uns, die dichten Kronen der Baumriesen verdunkeln die Sonne.
Spielton:
[34:13] Musik.
Gunnar:
[34:17] Der Weg führt jetzt nicht gerade durch den Wald, wie auf einer Straße, sondern er senkt sich in eine Kuhle, die den Wald durchschneidet. Da drin stromert zwischen Fahnen und Felsbrocken und Baumstümpfen ein Wolf. Der ist jetzt alleine, ein einzelner Wolf, aber wir wären im Kampf gegen ihn chancenlos, deswegen umgehen wir ihn jetzt lieber vorsichtig. Und folgen dem Weg in eine tunnelartige Höhle, in der sitzen zwei Mole Rats, die sind offenkundig dabei, eine alte Lagerstelle zu durchwühnen. Das ist eher unsere Kragenweite. Hier stellen wir uns zum Kampf. Neben den Moerads liegen die Reste eines Lagers. Ein ausgebranntes Lagerfeuer, verstreutes Geschirr, ein Mana-Trank und besser noch eine volle Flasche Bier. Wir stecken beides ein und treten am anderen Ende des Tunnels aus dem Wald heraus ans Licht. Vor uns erstreckt sich eine grüne Weide, die sanft in Richtung der Berge ansteigt.
Chris:
[35:18] Nach Norden führt ein steiniger Pfad zur alten Mine. Da wollen wir gerade nicht hin. Nach Süden würde es ins Flusstal gehen. Aber unser Weg führt nach Südwesten diesen Hang hinauf. Auf der Wiese grasen unter der Mittagssonne zwei Scavenger. Das sind so mannshohe Laufvögel mit scharfen Schnäbeln. Eigentlich wäre das eine gute Beute, aber der Kampf mit den Mallrats hat uns ziemlich mitgenommen. da laufen wir diesmal lieber davon, verfolgt von einem der Scavenger, der aber zum Glück schnell aufgibt. Auf halbem Weg den Hang hinauf erleben wir dann ein Naturschauspiel, das zufällig auftreten kann und das nur die Kolonie zu bieten hat, nämlich eine Entladung der magischen Barriere. Auf einmal verdunkelt sich die Sonne, während Lichtbögen über die Kuppel ziehen und Blitze zu Boden zischen, begleitet von Gewitterkrollen und nach einer halben Minute ist das Spektakel auch schon wieder vorbei.
Gunnar:
[36:18] Am Fuß der Berge hat sich ein Fluss im Lauf der Jahrhunderte so eine Klamm durch die Felsmauer gegraben. Das plätschert da jetzt friedlich lang. Wir folgen dem Fluss nach Westen zu einem kleinen See. Durch den schwimmen wir in einem Talkessel. Immerhin ein bisschen Abkühlung hier. Vor uns liegen jetzt wieder deutliche Zeichen der Zivilisation. An der einen Seite des Talkessels sind breite Terrassen aufgeschüttet, auf denen zwei Dutzend Bauern Reispflanzen anbauen und ernten. Sie schuften unter der Knute des Reislords.
Spielton:
[36:53] Alles klar bei dir? Was willst du? Hat der Reislord dich geschickt? Ich arbeite doch jeden Tag.
Chris:
[37:00] Hinter diesen Reisterrassen windet sich ein Felspfad weiter hinauf ins Gebirge und hinter der Kurve ist der enge Weg zwischen den Steilwänden durch eine hölzerne Toranlage versperrt. Wir betreten hier das Gebiet des neuen Lagers. Eine der Wachen, Jarvis, stimmt uns darauf ein, was uns hier erwartet.
Spielton:
[37:18] Hast du vor, durch dies Tor zu gehen? Willst du mich aufhalten? Nein, aber du solltest wissen, was dich erwartet. Es gibt hier keine Gardisten oder Templer, die auf dich aufpassen. Jeder ist sich selbst der Nächste. Pass auf deinen Rücken auf!
Chris:
[37:32] Hinter dem Tor wurde von den Bewohnern des neuen Lagers ein Bergbach zu einem kleinen See aufgestaut. Der Weg führt über den hölzernen Damm und weiter am Ufer entlang. Und mitten in diesem See steht auf einer großen Insel ein Haus, das wir über einen Steg erreichen können. Aber wir scheitern an den Wachen, die da vor der Tür stehen.
Spielton:
[37:52] Wo willst du denn hin? Na da rein! Vergiss es! Silas will in seiner Kneipe nur Schürfer und Banditen sehen.
Gunnar:
[38:02] Ja gut, hier ist im Moment nichts für uns zu holen, aber egal, denn unser Ziel liegt sichtbar vor uns. Mitten in der Felswand öffnet sich eine riesige Höhle, die wie eine gigantische Auster im Berg liegt. Das neue Lager ist ein Höhlenkessel, in dem mehrere ringförmige Ebenen wie in einem Kolosseum nach oben gestaffelt und kreuz und quer mit Lehmhütten bebaut sind. Auch das neue Lager hat seine eigene Musik, die Stimmung hier ist angespannt. Direkt vor uns treffen wir den ersten Bewohnern des neuen Lagers, einen Mann namens Shrike, der an seiner Hütte rumhämmert und der nicht gut aufgelegt ist.
Spielton:
[38:46] Wie sieht’s aus? Verpiss dich!
Chris:
[38:48] Jetzt reicht’s. Jeder hier spricht von oben herab zu uns oder pisst uns irgendwie ans Bein, als wird mal die Klinge ausgepackt.
Spielton:
[38:57] Weg mit der Waffe, weg damit!
Chris:
[39:07] Autsch, das war kurz und schmerzhaft. Shrike hat uns einfach umgehauen und stiehlt jetzt zu allem Überfluss auch noch die Hälfte unseres Erzes. Das hast du schon beschrieben, das ist das hiesige Zahlungsmittel. Und wir merken spätestens jetzt, das ist ein hartes Pflaster hier. Aber wir spüren uns später nochmal bei Shrike vorbeizuschauen, wenn wir stärker geworden sind und ihm dann richtig eins aufs Maul zu hauen.
Gunnar:
[39:33] Ja, das machen wir dann auch später.
Chris:
[39:35] Oh, das habe ich mit großer Freude später gemacht.
Gunnar:
[39:39] Aber ganz interessant, die ganzen Kämpfe gegen Menschen in den Lagern sind grundsätzlich nicht tödlich. Die Gegner schlagen einen, wenn man verliert, nieder und man verliert die komplette Energie und dann nehmen sie einem noch irgendwas weg. Meistens das ganze Erz oder die Hälfte des Erzes oder die aktive Waffe, was ein bisschen ärgerlich ist, ehrlich gesagt. Aber man überlebt das schon, weil hier ist dann doch in dieser rauen Welt, ein Menschenleben zählt schon was. Selber kann man das auch so handhaben, wenn man jemanden niederschlägt, dann ist der nicht tot. Man kann ihn dann mit einem weiteren Angriff das Schwert ins Herz rammen und ihn töten, aber das ist ein richtiges Verbrechen. Dann hat man nicht mehr so viele Freunde da in dem jeweiligen Lager, wenn das jemand bemerkt hat. Also das ist schon ganz interessant, wie stark hier dann doch diese Gefangenen eine soziale Ordnung aufgebaut haben, die auch funktioniert und wie stark dann doch die hauptsächlichen Feinde, mit denen man zu tun hat, für lange, lange, lange Zeit die Tiere bleiben und damit die Umwelt, die feindselige Umwelt.
Chris:
[40:44] Diese gesellschaftliche Welt der Lager ist eine nicht nur geregelte, sondern auch eine vom Spiel simulierte, zumindest zu einem gewissen Grad. Das heißt, hier sollen Regeln und nachvollziehbares Verhalten gelten. Das äußert sich in solchen Dingen wie, dass es verpöntes Menschen umzubringen, aber auch in so Dingen wie, dass jede Hütte, die im alten Lager oder im neuen Lager steht, irgendjemandem gehört. Meistens jemanden, der da gerade daneben oder in der Nähe steht und wenn der mitbekommt, dass du in die Hütte reinstiefelst, einfach nur reingehst, ohne irgendwas zu tun, dann wird er sofort sich zu dir hindrehen und sagen.
Spielton:
[41:18] Hey du, raus hier.
Chris:
[41:21] Und wenn du dich weigerst, rauszugehen oder sogar irgendwas mitnimmst aus der Hütte, dann wird gekämpft. Dann zieht er das Schwert und versucht, dich mit Gewalt daran zu hindern. Also das ist kein Rollenspiel, in dem du einfach erstmal hier alle Hütten abfarmst und die Kisten plünderst, sondern da werden dich sofort die Leute in der Welt von Gostik daran hindern. Und wenn man auf die Idee kommt, innerhalb eines Lagers auch nur das Schwert zu ziehen, dann ziehen sofort alle um einen rum auch das Schwert, bereit sich zu verteidigen, herrschen dich aber an, was das solle und man soll doch ganz schnell die Waffe wieder wegstecken.
Spielton:
[41:50] Waffe weg! Steck das Ding weg oder du bist dran!
Chris:
[41:54] Also du merkst, es gibt hier ein Regelwerk. Es gibt hier einen Verhaltenskodex, einen ganz nachvollziehbaren. Ja, da reden wir jetzt nicht um irgendwelche höfische Etikette oder sowas, ganz im Gegenteil, sondern das sind einfach so die Grundregeln des Überlebens in einer feindseligen Welt und in einer wackeligen Gesellschaftsordnung. Das finde ich fantastisch für die Atmosphäre der Welt.
Gunnar:
[42:17] Das macht eine Sache, die andere Spiele, wie ich finde, nur selten machen. Das knüpft den Fortschritt im Rollenspiel, der ja ein zentrales Element jedes Rollenspiels ist. Levelaufstieg, tralala. Auch an einen sozialen Aufstieg, an einen Aufstieg durch die Hierarchie dieser Welt. Das machen andere Spiele nicht so deutlich, finde ich. Ja, man kann auch in Skyrim der Tane eines Ortes werden oder so, aber im nächsten Ort haben sie das schon wieder vergessen.
Chris:
[42:45] Und das ist ja viel später vorhin.
Gunnar:
[42:47] Ja, und das ist ja viel später, genau. Zu der Zeit hier ist das sehr frisch und ein starker Motivator, wenn du denkst, bald bin ich hier derjenige, der sagt, was Sache ist. Und weil dir auch Teile der Spielwelt versperrt sind. Zum Beispiel im alten Lager, da gibt es diese innere Burg und außen drum ist das aus Holzhütten gebaute Lager, aber in die innere Burg darfst du nicht, da musst du erst einen bestimmten Rang für haben, da kannst du noch gar nicht rein, also da spricht man dich auch an und hält dich auf. Und dieses ganze Ding mit dem Hochleveln und Besserwerden ist so speziell geregelt, weil es besonders am Anfang so stark daran geknüpft ist, dass du bestimmte Ränge erreichst. Aber an der Stelle müssen wir, weil du das mit den Hüttenbesitzern erwähnt hast, müssen wir, glaube ich, erwähnen, dass das Spiel einen Tagesablauf hat, also einen Tag-Nacht-Wechsel.
Chris:
[43:33] Ja, das gehört auch zu diesem Aspekt der Simulation. Also Gothic ist nicht nur eine offene Welt, sondern es ist eine simulierte Welt, Auch im Hinblick auf zum Beispiel den Wechsel von Tag und Nacht und damit einhergehend, dass manche der Bewohner dann nachts ins Bett gehen, manche tagsüber bestimmten Aufgaben nachgehen, Wache stehen oder Schmiede zum Beispiel in der Schmiede arbeiten. Zu der Simulation der Welt gehört auch, dass Dinge in der Welt nachvollziehbar sind. Also zum Beispiel, das klingt jetzt fast ein bisschen albern, aber das ist zu dieser Zeit keine Selbstverständlichkeit, dass Flüsse Strömungen haben zum Beispiel. Wenn du ins Wasser in einen Fluss, gerade in einen schnellen Fluss reinspringst, dann wirst du da auch wie auf der Achterbahn weggeschwemmt, die Wasserfälle hinunter ins Tal und landest dann irgendwo in einem See.
Gunnar:
[44:21] Das ist wirklich nicht selbstverständlich, weil ein Jahr später kommt das großartig aussehende Morrowind, wo wir so abgefahren sind darauf, wie schön das Wasser ist, technisch, wie schön das gestaltet ist. Und da ist jedes Wasser still. In Morrowind bewegen sich die Flüsse nicht. Und hier haben wir diese ganzen Wasserfälle, wo das Wasser nachvollziehbar von den Bergen herabfließt ins Meer.
Chris:
[44:44] Oder auch, dass sich die Tiere, die in der Welt existieren, teilweise untereinander jagen. Wir haben schon Wölfe zum Beispiel und Mole Rats erwähnt. Mole Rats sind Beutetiere von Wölfen. Wenn so ein Wolf in die Nähe von einer Mole Rat kommt, dann wird er versuchen, die zu jagen und zu erlegen.
Chris:
[45:00] Fleischfressende Gegner stürzen sich auch auf die Leichen von Gegnern, die wir hinterlassen. Und du kannst doch durch die Spielwelt gehen und gelegentlich Zeuge werden, wie einfach Tiere untereinander kämpfen. Oder auch das Wachen eingreifen, wenn Tiere zu nahe herankommen an das alte Lager. dann werden sie bekämpft und sowas. Also es gibt einen spürbaren Versuch, diese Welt nicht nur lebendig, sondern nachvollziehbar zu machen. Sie sinnvoll erscheinen zu lassen an jeder Ecke. Ich sagte vorhin schon, dass jeder Charakter im Spiel einen Schlafplatz hat. Das sind manchmal Hütten, das sind bei den Wachen in der Burg auch Gemeinschaftsräume, aber auch die Lager, die Orte sind nachvollziehbar gebaut. Die Burg im alten Lager zum Beispiel, die hat einen Keller, wo die ganzen Vorräte lagern, die von der Außenwelt kommen. Da sieht man dann mal den Reichtum an Waren, die da existieren. Diese Burg hat eine Küche, die hat Aufenthaltsräume, die hat eine Waffenkammer. Das geht so weit, dass die Kerkerräume unter der Burg riesengroß sind. Und da stand ich kurz davor und dachte, hä, was ist denn das für ein Quatsch? Sollten die Zellen nicht kleiner sein? Aber dann ist mir eingefallen, ach ja, das war ja hier mal ein Gefängnis für die ganzen Zwangsarbeiter in den Minen. Da mussten Dutzende, wenn nicht Hunderte von Gefangenen reinpassen. Ja klar muss das alles riesengroß sein. Das ist schön, dass da über solche Dinge nachgedacht wurde. Es gibt nur eine Sache in dieser durchdachten Welt von Gothic, die nicht existiert. Und was ist das, Gunnar? Es sind Toiletten. Niemand muss je aufs Klo.
Gunnar:
[46:23] Ja, die Leute gehen alle hinter einem Baum.
Chris:
[46:27] Müssen wir uns so vorstellen, nicht, dass man das beobachten könnte.
Gunnar:
[46:30] Ja, genau, das wissen wir nicht. Das hat echt viele kleine Aspekte, die das Spiel selber beeinflussen, weil du musst auch manchmal nachts schlafen gehen, einfach weil du damit die Nacht rumbringen kannst, weil in der Nacht ist es ziemlich dunkel. Und das stresst manchmal. Im Dunkeln gefällt es mir nicht immer. Ich hätte gern, dass es Tag ist. Und dann muss ich mich irgendwo hinlegen, um bis morgens zu schlafen. Und dann im Hellen weiterspielen zu können. Aber nachts sind alle Hütten und alle Schlafplätze belegt, hast du ja schon erzählt, die Hütten gehören ja jemandem. Das heißt, man muss dann in diesen Lagern jeweils, wenn man da übernachten will, eine freie Hütte finden. Und die Leute, mit denen man da spricht, die schlagen einem auch freie Hütten vor. Du hast dann in der Regel schon eine Heimstadt. Aber wenn du jetzt gerade deine Hütte nicht mehr findest, weil du es nicht mehr weißt, dann einfach in eine andere Hütte zu gehen, ist relativ schwierig, weil dann immer jemand drauf schläft. Tagsüber hingegen arbeiten die Leute aber, da kann man ganz gut mal in eine Hütte gehen und mal ein paar Stunden schlafen.
Chris:
[47:21] Ja, habe ich ständig gemacht.
Gunnar:
[47:23] Ja, ständig, ja genau. Da kommen die halt irgendwann und sagen, was machst denn du da? Und ich so, ich wollte schon gerade wieder rausgehen. Tut mir leid, ja. Das ist natürlich auch nur eine Spielmechanik, aber das fühlt sich irgendwie nett an und echt an und so, wie man es vielleicht im Notfall wirklich machen würde, wenn man keine eigene Hütte hat oder die nicht findet.
Chris:
[47:39] Eine andere Sache, die man sehr schnell merkt, wenn man in Gothic reingeht und im alten Lager ankommt, ist nicht nur, dass man da erstmal der Punching Ball ist von allen anderen, sondern vor allen Dingen auch, dass es hier nicht nur lebenstechnisch rau zugeht, sondern auch sprachlich rau zugeht. Das ist natürlich eine von den Sachen, die Gothic im Nachhinein sehr bekannt gemacht hat. Wenn man heutzutage Menschen nach Gothic fragt, die das Spiel mögen, dann wird es nicht lange dauern, bis die Tonalität des Spiels zur Sprache kommt. Das ist im Jahr 2001 noch eine wirkliche Besonderheit, denn das ist ein Gegenmodell zu der Art und Weise, wie traditionellere Rollenspiele funktionieren. In Ultima haben wir ja diesen altenglischen Anflug mit dem Thee und Thou. Das ist so eine Art höfische Fantasy-Mittelalter-Sprache. Und wir haben natürlich auch die Tradition, die sich aus Tolkien herleitet, mit elbischen Dialekten und einer tiefen Mythologie, wo auch sehr viel kulturelle Eigenheit und sprachliche Begriffsvielfalt existiert. Vielleicht ist es sogar auch im Gegensatz zu sowas wie das Schwarze Auge. Das ist ja eher bodenständige deutsche Fantasy, aber auch das schwarze Auge, wir haben es neulich erst in unserer Welt von Folge gehört, hat ein ausgeklügeltes Götterpantheon mit Wechselwirkungen zu den Jahreszeiten und Berufen und Feiertagen und so weiter.
Chris:
[48:59] Und vermutlich ist es auch eine Art von Gegenmodell zu der literarischen Fantasy, wo erstmal lange Hintergrundgeschichten aufgemacht werden. Und wo dir, das ist ja auch so ein Rollenspiel-Klischee, jeder NPC erstmal ausführlich berichtet, was für furchtbare Unordnung die Ratten im Keller angerichtet haben. Und der Opa war schon Schmied drüben im Dorf am See und so weiter. Und das spielt hier alles keine Rolle. Das Schöne an Gothic ist, dass das eine Welt voller Menschen ist, die zum Punkt kommen. Da herrscht eine große Klarheit in der Sache und im Ton. Und das ist ein oft ziemlich direkter und rauer Ton. Zum Beispiel, wenn man im alten Lager mit einem Wachgardisten spricht, dann gibt es diesen Dialog hier.
Spielton:
[49:42] Ich bin neu hier. Sehe ich. Was läuft denn so? Wer hier Ärger macht, bekommt was aufs Maul.
Chris:
[49:48] Oder im neuen Lager, da triffst du einen von den Banditen und dann gibt es den folgenden kurzen Dialog.
Spielton:
[49:54] Hi, wer bist du?
Chris:
[49:59] Also da könnte man eine endlose Reihe von weiteren Beispielen aneinanderreihen. Das heißt nicht unbedingt, dass es nicht auch Charakterisierungen im Spiel geben würde von Persönlichkeiten oder Einstellungen. Aber unterm Strich ist das also eine Sprache, die direkt rau offen ist.
Gunnar:
[50:16] Das ist halt ein Gefangenenlager. Das ist ja nicht die Elite der Gesellschaft. Hier sind nur wenige Leute, die zur Elite gehört haben. Einer der Anführer des neuen Lagers ist halt ein General, der dem König nicht mehr gefallen hat. Und die Magier sind natürlich ein Teil einer herrschenden Kaste drinnen wie draußen. und die sind auch grundsätzlich ein bisschen vornehmer und auch freundlicher, grundsätzlich so, zumindest höflicher, würde ich sagen, nicht freundlicher, aber höflicher. Aber ansonsten, hier wird halt gesprochen wie auf einem Gefängnishof oder wie man sich das vorstellt. Ich war ja nun hier auf dem Gefängnishof. Das tut dieser Welt ganz gut und das passt aber halt in diese ganze Atmosphäre. Das ist ja Low Fantasy. Es gibt halt keinen großen Überbau mit Göttern. Es gibt keine Elfen. Wir sind vom Hof des Königs sehr weit entfernt. Hier ist alles sehr unmittelbar. Hier ist der Rohrpott der Fantasy.
Chris:
[51:06] Ja, es gibt keine Bürgerlichkeit, es gibt keinen Mittelstand, es gibt keine Intelligenz, ja, also wenn man von den Magiern absieht, die ja aber ganz offensichtlich in ihrer aktuellen Situation gar keine Macht ausüben wollen. Die beschränken sich in Gothic ja darauf, in ihrer jeweiligen Butze zu hocken und Bücher zu lesen. Aber das ist das Schöne an dieser Barriereidee. Das macht aus dem Minental in gewisser Weise ein postapokalyptisches Szenario, in dem die bisherige Form von Gesellschaftsordnung, was auch immer die gewesen sein mag, eine Monarchie vermutlich, zusammengebrochen ist und auch nicht wieder errichtet werden kann. Dazu fehlen die Menschen, dazu fehlen die Ressourcen, dazu fehlen ja auch überhaupt die biologischen Voraussetzungen. Die Minenkolonie ist ein Ort praktisch ohne Frauen und völlig ohne Kinder, also eine reine Männerbude Und damit ja auch langfristig nur überlebensfähig, wenn neue Menschen von außen zugeführt werden. Und wohin wandert Macht in so einer zerbrochenen Welt?
Chris:
[52:04] Zum Warlord, sagt Gothic. Zu dem, der sich erst mit Gewalt und dann mit Geld genügend Leute gefügig machen kann, um durch die dann wiederum eine Schreckensherrschaft auf den Rest auszuüben. Und Macht wandert zum Guru, der exklusiven Zugang zu einer höheren Macht für sich reklamiert und damit dann eine Gruppe gehirngewaschener Sektiere um sich schadet. Das muss er aber schön in der Diaspora machen, damit er dem Warlord nicht auf die Füße tritt. Und weil jede Gewaltherrschaft Rebellen produziert, verschanzen sich dann halt auch noch die Outlaws in den Bergen. Das ist alles ganz folgerichtig ausgedacht. Das ist eine zwar simple, aber saubere Miniatur. Und Gothic versucht dann ja im Laufe der Spielhandlung sogar die Frage zu stellen, was passiert, wenn in diesem fragilen System einer der Fraktionen die Quelle ihrer Macht abhanden kommt. Oder genau genommen sogar zweien. Das ist genau die richtige Frage. Ja, schöner Ansatz. Daraus macht Gothic am Ende nichts, weil es diese Art von Geschichte nicht erzählen will. Das will keine Gesellschaftsstudie sein, sondern ein Heldenepos mit Orgs und dem Erzdämonen aus der Hölle und so. Aber die Ansätze sind da und die Menschen in dieser Welt haben dann entsprechend sehr klare Rollen in einer sehr engen, sehr simplen Gesellschaftsstruktur und dazu gehört dann auch, dass sie in klaren, engen Worten sprechen und ehrlich gesagt oft halt auch einfach nicht so wahnsinnig viel zu sagen haben.
Gunnar:
[53:31] Die fangen halt auf patzig an. Das ist halt erstmal Default, ist patzig. Das merkt man halt an so Kleinigkeiten. Das Spiel übertreibt das an ein paar Stellen ein bisschen. Weil wenn du sehr nah an jemandem dran stehst und dem im Weg stehst, dann sagen die dir sehr krass, dass du aus dem Weg gehen sollst. Und wenn das eine hochrangige Person ist, dann bedroht die dich aber schnell. Also wenn du da mal nicht sofort aus dem Weg gehst, dann kannst du gleich da Ärger kriegen. Und das Spiel checkt aber manchmal nicht, dass man dieser Person nur so nah ist, weil man gerade mit der gesprochen hat. Einen Handel gemacht hat und dann hast du ständig so Situationen, wo du mit einem Magier sprichst und dann verabschiedest du dich aus dem Gespräch, stehst dann halt davor und da sagt er, geh da aus dem Weg! Und du so, was? Und dann hat er schon den Feuerball in der Hand. So, bin doch schon weg, bin doch schon weg, ja, ja, tut mir leid.
Chris:
[54:20] Ja, das ist die Lunte Kurze.
Gunnar:
[54:21] Ja, ja, ja. Also das wirkt schon alles sehr bedrohlich dadurch. Das finde ich rein spielmechanisch ein bisschen komisch umgesetzt, aber das zahlt halt auf diese ganze Bedrohlichkeit dieser Welt ein, die insbesondere die Leute, die mehr zu sagen haben, dir gegenüber auch durchscheinen lassen.
Chris:
[54:36] Es hat eine ganz eigene Atmosphäre. Und wir kommen da ja als kleines Licht an. Jetzt sind wir immer noch in einem Rollenspiel. Das heißt, der Weg nach oben führt natürlich über das Bewältigen von Aufgaben, über das Erringen von Erfahrungspunkten, die es hier auch gibt, über das Aufsteigen im Level. Und relativ früh im Spiel, das sind sechs Kapitel unterteilt, die Haupthandlung, noch im ersten von diesen Kapiteln müssen wir uns für eines von den drei Lagern entscheiden. Also ob wir uns dem alten Lager anschließen, dem neuen Lager anschließen oder dem Sumpflager. Das klingt nach einer relativ großen Entscheidung. In der Praxis macht das keinen so riesigen Unterschied. In der Erzählung schon mal gar nicht. Also auf den Verlauf der Handlung hat das überhaupt keine Auswirkungen. Wofür man sich da entscheidet, ist im Endeffekt für ein etwas unterschiedliches Zauberset. Denn man hat dann im alten Lager Zugang zu den Feuermagiern im neuen Lager erstmal nicht. Später dann zu den Wassermagiern, das dauert aber viel länger. Und nur im Sektenlager auf die Psioniker-Magie. Das sind ein paar unterschiedliche Sets an Zaubern, die man da bekommt. Das macht auch nicht den riesigen Unterschied, weil man nach hinten raus die meisten davon trotzdem bekommen kann. Es gibt leicht unterschiedliche Rüstungen. Jedes der Lager unterscheidet sich auch in der Art und Weise, wie sie sich kleiden, was für Rüstungen sie haben. Dadurch sind sie auch sehr gut zu unterscheiden. Du schaust dir einen NPC an und weißt schon an seiner Rüstung, was für eine Zugehörigkeit hat der.
Chris:
[56:02] Da gibt es also leichte Unterschiede und du bekommst Zugriff auf bestimmte Waren, wenn du dich dem Lager anschließt oder nicht. Also im alten Lager zum Beispiel gibt es einen Waffenschmied, der hat ziemlich gute Auswahl, aber dazu musst du zum alten Lager gehören, damit du mit dem auch handeln kannst. Einer der spannenderen Aspekte ist, dass es zum Teil auch Einfluss darauf hat, welche Charaktere im Spiel du überhaupt kennenlernst. Ich bin zum Beispiel zum neuen Lager gegangen jetzt in meiner Spielsitzung und bin deswegen im alten Lager zwar noch in die Burg reingekommen, da führt mich die Hauptquest rein, aber nur in den Hof. In den Gebäuden der Burg gibt es noch das Gebäude der Magier, wo die Feuermagier residieren. Und es gibt das Gebäude der Erzbarone, wo Gommes Hof hält. Und da kommt ein Außenseiter wie ich nicht rein. Das heißt, ich habe Gommes, den Scheffe ja hier unter der Barriere, nie persönlich kennengelernt. Erst später, als ich ihm mein Schwert in den Bauch gerammt habe. Das ist eine andere Geschichte. Und ich habe auch die Feuermagier nie kennengelernt und nie mit ihnen gesprochen. Das macht, wie gesagt, für die Auswirkungen der Geschichte keinen Unterschied. Aber es ist doch ganz cool, dass man weiß, da existieren also bestimmte Menschen, von denen man hört, über die gesprochen wird, wo man auch weiß, wo sie sich befinden, aber du bekommst sie nicht zu Sicht als Konsequenz dieser Entscheidung.
Gunnar:
[57:17] Ja, wie du schon sagst, es ist nicht so eine große Konsequenz. Die Story führt dich durch alle drei Lager und darüber hinaus.
Chris:
[57:25] Zu denen man auch immer Zugang hat.
Gunnar:
[57:27] Genau, und du musst mit allen interagieren. Im neuen Lager ist halt mal so ein Typ abgesperrt, weil seine Wachen ihn verteidigen vor Leuten, die aus dem alten Lager kommen. Da durfte ich da nicht rein, ich alter Lagertyp. Aber das ist alles zu vernachlässigen. Eigentlich ist das egal. Ich habe am Anfang gedacht, oh Gott, dann erfahre ich hinterher, eins dieser Lager hat Recht und dann habe ich das Falsche gewählt und bin halt doof, aber nee, ist nicht so, haben alle nicht recht. Das ist schon ganz gut. Im Wesentlichen ist das fast eine ästhetische Entscheidung. Wer willst denn du sein und auf wen willst du dich am Anfang einlassen? Hinterher arbeitest du sozusagen am Großen und Ganzen für diese kleine Welt und dann musst du eh hin und wieder mal die Allianzen wechseln.
Chris:
[58:07] Ja, jetzt war ich ja gerade dabei zu erzählen, dass man ja in dem Rollenspiel auch aufsteigt. Und du hattest am Anfang gesagt, es gibt aber keine Charaktergenerierung. Das heißt auch keine Entscheidung für eine Klasse zum Beispiel. Möchte ich eher Kämpfer oder Magi sein oder sowas. Wie macht denn das Kostic dann? Gibt es eine Art von Klassenspezialisierung? Wie passiert das in dem Spiel?
Gunnar:
[58:25] Das fängt ein bisschen von deiner Spielweise ab. Du kannst das unterschiedlich machen. Und ich kann sagen, in diesem Durchgang, ich habe einfach alles gemacht. Ich habe massenhaft gekämpft. Das ist auch nicht zu vermeiden. Ich habe ein bisschen Schlösser geknackt, ganz ein bisschen geschlichen, wie das so ein Dieb tun würde. Ich habe ein bisschen Bogen geschossen, wie das vielleicht ein Waldläufer tun würde. Und ich habe gegen Ende des Spiels auch echt ordentlich gezaubert, wie das ein Magier tun würde. Man macht theoretisch alles. Das Spiel führt einen auch dahin, finde ich, dass man alles mal anfasst. Es gibt Aufgaben, die kann man ohne Kampf nicht lösen. Und es gibt Aufgaben, die kann man ohne Magie nicht lösen. Punkt. Also es geht gar nicht, dass du dich komplett auf eine Seite stellst. Pragmatisch nimmst du dir aus diesen ganzen Bereichen das halt raus. Auf der Basis eines soliden Kämpfers.
Chris:
[59:13] Also theoretisch gibt es diese vier Klassen, sag ich mal, des Nahkämpfers, also Kriegers, des Fernkämpfers. Du hast ja Bögen und Armbrüste im Spiel. Es gibt den Dieb und es gibt den Magier. In der Praxis ist das aber alles miteinander vermischt, weil Gothic sagt, mach doch, was du willst. Es gibt hier keine klare Abgrenzung. Wenn du ein Kriegerspiel möchtest, der aber auch rumzaubert, ja, dann macht das doch.
Chris:
[59:40] Tatsächlich führt einen das Spiel aber schon ein bisschen. Du fängst immer als Nahkämpfer an und Nahkämpfer sind in der Regel auch Fernkämpfer. Fernkämpfer sind immer auch Nahkämpfer, das geht gar nicht anders. Das Spiel ist nicht so gestaltet, als dass du rein mit Fernkampf durchkommen könntest.
Chris:
[59:55] Und du bekommst überhaupt erst Zugang zu der Möglichkeit, Magie zu lernen und Magier zu werden, wenn du schon eine ganze Weile lang gespielt hast. Also wenn du schon zwangsläufig vorher auf andere Art und Weise gekämpft haben musst. Und das bedeutet in der Praxis, dass Magier immer Kriegermagier sind. Das ist besonders krass im neuen Lager, weil ich erst relativ spät im Spiel überhaupt die Möglichkeit bekommen habe, Magier dann zu werden im dritten oder vierten Kapitel. Zu dem Zeitpunkt war ich schon sehr kompetenter Kämpfer. Und es gibt auch nicht diese klassische Geschichte, dass Mark ja keine Rüstungen tragen dürfen oder sowas. Das Killefitzer, da unterscheidet Gothic nicht. Das Einzige ist, du musst Skills lernen. Und diese Skills kosten Punkte. Mit jedem Levelaufstieg gibt es zehn Punkte. Und die kannst du investieren in ein paar Basisattribute. Also es gibt Stärke, Geschicklichkeit und Mana, die du mit Skillpunkten kaufen kannst. Die Lebensenergie steigt automatisch. Und dann gibt es halt Fertigkeiten-Skills. Nahkampfwaffen, Fernkampfwaffen, Magie. Das ist auch nur eine Handvoll. Das ist nicht so besonders viel. Aber die Menge an Punkten, die du bekommst, ist so gestaltet, dass du zwar kunterbunt Dinge kaufen kannst.
Chris:
[1:00:54] Aber wenn du zum Beispiel ein Magier des Sexten Kreises werden möchtest, also die höchste Magiestufe lernen, dann brauchst du da richtig viele Skillpunkte, da muss man sich schon ein bisschen spezialisieren. Ich war am Ende ein Magier des sechsten Kreises, also ein sehr guter Kampfmager, um den Preis, dass ich meinen Mana nicht so wahnsinnig ausgebaut hatte, musste halt relativ viele Tränke schlucken dann immer nebenbei, weil sofort der Saft alle war und ein mittelmäßiger Kämpfer, sowohl Nahkämpfer als auch Fernkämpfer. Das hat noch gereicht für ein paar von den Standardgegnern, aber am Ende war es dann doch haarig. Und umgekehrt, wenn du jetzt auf einen reinen Nahkämpfer oder Fernkämpfer skillen würdest, du musst nicht zwangsläufig Magier werden, weil du auch Schriftrollen bekommst, da brauchst du dann keinen Skill dafür.
Chris:
[1:01:34] Aber grundsätzlich ist dieser Mix also möglich und man kann machen, was man möchte. Du hattest die Diebesfähigkeiten erwähnt. Das sind drei Stück. Man kann Schlösser öffnen, schleichen und Taschendiebstahl betreiben. Und das ist der einzige Pfad, von dem ich sagen würde, das ist wirklich nutzlos. Es gibt verschlossene Truhen überwiegend in den Lagern selbst. Also da schleichst du dann halt in die Hütten im alten Lager und knackst die Truhen. Ja, dann bekommst du relativ früh im Spiel relativ viel Handelsware und stellst dann schnell fest, das ist eines dieser Spieler, wo die Händler eine begrenzte Anzahl Geld haben. Ich glaube, mit jedem Kapitel wird das immer wieder aufgestockt, aber du kommst relativ schnell an den Punkt, wo du deine Heelerware gar nicht verkaufen kannst, weil du alle Händler schon arm gemacht hast. Du kriegst auch so genügend Loot. Das Schleichen ist ein ziemlich nutzloser Skill. Der Taschendiebstahl ist völlig irrelevant. Das zahlt letztendlich eigentlich nur auf… Geld gewinnen ein und das geht auf andere Weise auch. Also der Diebespfad, wenn man das so nennen möchte, ist mit Sicherheit der, der am schwächsten ausgeprägt ist in Gothic. Aber das ist gar nicht so schlimm, weil es ja wie gesagt keine Spezialisierung ist. Das mischt man halt so ein bisschen rein. Mein sechste Stufe Kriegermagier war auch ganz gut darin, Schlösser zu knacken. Okay, dann ist es halt so.
Gunnar:
[1:02:46] Musst du halt auch. Also das Schlösserknacken machst du die ganze Zeit. Deswegen ist es ganz hilfreich, wenn du es so ein bisschen kannst. Du kannst es aber auch gut selbst Skam, weil es eine Mechanik ist, die eigen ist, weil du kniest dich vor so eine Truhe und drückst nach links oder nach rechts und dann bricht entweder dein Dietrich ab und dann brauchst du halt neun oder du hast die richtige Seite erwischt. Es gibt lauter so digitale Entscheidungen, links, rechts, links, rechts, links, rechts und um eine Truhe zu öffnen, hast du vielleicht dreimal links, zweimal rechts, einmal links, nochmal rechts oder so. Und das kannst du eigentlich zwei, dreimal durchmachen und verbrauchst dabei zehn Dietriche und dein letzter hat nochmal neu und dann weißt es halt. Also das würde ich natürlich nicht machen.
Chris:
[1:03:24] Ach so hast du das gemacht. Das ist ja schäbig.
Gunnar:
[1:03:28] Aber machen halt natürlich Leute. Am Anfang habe ich das gemacht. Hinterher hatte ich natürlich so viele Dietriche, dass ich nicht wusste, wohin damit. Die kamen mir gerade aus den Ohren raus. Da war ich dann zu faul dafür. Wenn man halt von einem Diebespfad sprechen will, was das ja eigentlich nicht ist, dann ist es ein bisschen doof, dass die wichtigste Fähigkeit, die du ständig brauchst, leicht zu betrügen ist.
Chris:
[1:03:45] Ich finde nicht, dass man die ständig braucht.
Gunnar:
[1:03:47] Ich habe Truhen geöffnet, sage ich dir, Tausende.
Chris:
[1:03:49] Ich habe die Truhen in den Lagern ignoriert und außerhalb der Lager in der Spielwelt sind Truhen eine Seltenheit. Also, dass ich mal eine Truhe öffnen musste, war alle Jubiläare mal eine, die wirklich abgesperrt war oder die nicht im Questverlauf mit irgendeinem Schlüssel geöffnet wird.
Gunnar:
[1:04:04] Weiß ich nicht. In der zweiten Spielhälfte nehmen die Truhen stark ab, aber in der ersten Spielhälfte ist das schon ganz schön hilfreich. Du hast ganz recht, dass die Händler kein Geld haben, ist schon ganz schön krass. Ich hatte zu bestimmten Zeitpunkten des Spiels das Gefühl, ich habe alles Geld, das die Welt hat. Kein Händler hatte mehr Geld. Und ich habe angefangen, eine Ersatzwährung einzuführen. Das ist der Pfeil. Weil der Pfeil ist immer genau ein Erzbrocken wert, egal wie. Und dann mussten die Händler halt in Pfeilen bezahlen. Und ich war dann der reichste Mann an Pfeilen und an Erzbrocken.
Gunnar:
[1:04:35] Und dann wirft das Spiel das aber halt wieder um, bei den Kapiteln wechseln und dann hat plötzlich der nächste Händler wahnsinnig viel Geld und dann ist dein Reichtum wieder passé, du brauchst auch das Geld nicht, außer an ganz bestimmten neuralgischen Punkten, das kann ich auch gleich erzählen du hast ja in solchen Spielen oft so eine Dynamik, dass du halt deinen Loot verkaufst, hast du halt Geld kaufst du ein bisschen bessere Waffen, kaufst ein bisschen bessere Rüstung, kaufst ein Schild gibst irgendwie Geld fürs Übernachten aus oder sonst irgendwas, musst Söldner bezahlen. Und hier brauchst du das Geld fast die ganze Zeit nicht, weil eigentlich findest du genügend Waffen in der Welt. Selten, dass man mal eine Waffe kaufen muss. Und Helme und Schilde und sowas gibt es schon mal gar nicht. Und die Rüstung, das ist so eine Art Gating-Prozess, der an die Fraktionszugehörigkeit geknüpft ist. Und manche Rüstung kriegst du dann umsonst von deiner Fraktion in der Story, wenn du bestimmte Sachen erreicht hast. Und manche kannst du dann von der Fraktion kaufen. Und die kosten dann halt gleich fast alles Geld, was du hast zu dem Zeitpunkt. Dafür brauchst du es dann einmal und das war es aber auch schon. Später habe ich ziemlich viel, weil ich nicht so gut gezaubert habe, im Gegensatz zu dir, habe ich ziemlich viel Zauberrollen gekauft. Aber die waren auch nicht teuer.
Chris:
[1:05:48] Worauf man narrativ hinarbeitet, sind diese Questen und die Aufträge und sowas. Worauf man spielmechanisch hinarbeitet, ist die nächstbeste Rüstung. Du hast ja in Rollenspielen logischerweise immer eine Progression, wo du stärker wirst. Das kommt hier teilweise durch die Levelaufstiege, weil man da mehr Lebensenergie bekommt. Das macht schon einen deutlichen Unterschied, wie viele Schläge man wegstecken kann. Das kommt durch das Training der Fertigkeiten. Also Einhänderwaffe zum Beispiel gibt es nur in drei Stufen. Entweder untrainiert, trainiert oder gemeistert. und das bedeutet, dass man halt damit im Actionkampf, den wir gleich noch beschreiben werden, schneller zuschlagen kann in erster Linie, also dass man ein paar mehr Schlagkombinationen kann und dass man damit effektiver umgeht. Das macht einen deutlichen Unterschied, ob du eine Waffe gut trainiert hast oder nicht. Bei Fernkampfwaffen bestimmt das zum Beispiel, wie schnell man schießt, wie schnell das Nachladen dauert und sowas. Also deutlich spürbarer Unterschied, zu dem, wenn du deine Stärke auflevelst, dann richtest du auch mehr Schaden an und so. Aber der massivste Unterschied, der größte Sprung sind bei den Rüstungen, weil das bestimmt, ob dir bestimmte Gegner überhaupt Schaden zufügen können. Ganz am Anfang einer der einfachsten Gegner, der es gibt, sind Blutfliegen. So ein klassisches Gothic-Monster, das sind riesige Insekten mit einem langen Stachel und mein Anfangsprotagonist mit den einfachen Butlerkleidern wird von so einer Blutfliege totgestochen. Mit ein oder zwei Schlägen ist der hin.
Chris:
[1:07:06] Hast du die erste oder die zweite Rüstung und gehst da wieder hin, dann können die dich kaum noch ankratzen. Also dann musst du schon echt zugucken, bis du da einen Unterschied im Lebensbalken bemerkst. Es macht einen unglaublichen Unterschied, was für eine Rüstung man hat und auch was für eine Waffe man hat. Also auch eine bessere Waffe zu finden, ist immer ein richtiges Upgrade. Und das bedeutet auch, dass man im Gegensatz zu anderen Rollenspielen, wo das ja oft so inkrementelle Fortschritte sind, in Gothic richtig spürbare Sprünge hat in deren eigenen Fertigkeiten.
Gunnar:
[1:07:37] Ja, riesige Sprünge in der Macht-Empflicht. Ich möchte kurz eine Geschichte erzählen, die ist so ein bisschen ähnlich wie deine Blutfliegen. Es geht um mein persönliches Machtgefühl in diesem Spiel. Ich habe im alten Lager gespielt. Ich bin jetzt Schatten geworden. Das ist die unterste Stufe der Hierarchieleiter. Ich glaube, ich bin Level 6 oder so. Das ist noch ganz am Anfang des Spiels und habe jetzt eine neue Rüstung bekommen. Und dann habe ich gleich noch im alten Lager ein paar Stärkestufen trainiert. Und dann gehe ich nach Süden raus, den Weg am Fluss lang, im Sonnenschein. Ich halte Ausschau nach Monstern. Ich bin immer vorsichtig, sehr draußen. Aber ich habe eigentlich gar keine Angst. Ich bin ja ein Schatten. Jetzt. So, und dann kommen kurz vor der Brücke vier Scavenger und gehen auf mich los. Das ist schon ein Anfangsmonster, aber vier Stück sind schon blöd. Und dann, sehr lustig, habe ich vorher noch gar nicht gesehen, einer ist so hektisch, dass er am Flussrand abstürzt und in den Fluss fällt und weggeschwemmt wird. Das war toll. Dann habe ich die alle besiegt, kein Problem. Aber das war ja noch gar kein richtiger Sieg. Die Scavenger konnte ich auch vorher schon schlagen. Ich gehe jetzt über die Brücke und da ist der Wald. Und da am Waldrand steht ein Wolf. Das ist ja ein mächtiger Gegner, haben wir vorhin auch schon kurz erzählt.
Chris:
[1:08:40] Am Anfang, ja.
Gunnar:
[1:08:41] Ich glaube, ich kann den jetzt besiegen. Ist ja nur einer, gehe ich mal hin. Und dann greife ich den an und dann kommt noch ein Wolf. Und noch einer. Und noch einer. Und noch einer. Überall Wölfe. Die kommen oft in Rudeln, das hatte ich vielleicht vergessen, weil ich im Start noch nicht mit Wölfen so richtig gekämpft habe. Und dann sind die um mich rum, greifen von hinten und von vorne. Und dann kommt noch eine Blutfliege dazu aus Bosheit. Und dann kriege ich dann total, also richtig einen Panikanfall, während ich da spiele und haue so um mich in der Panik und dann gibt es eine Minute frenetisches Gemetzel und dann stehe ich noch. Um mich herum liegen die Leichen von sechs Wölfen und eine Fliege. Und ich habe ein Viertel meiner Energie verloren. Ich bin quasi ein Gott, ein Killer. Ich bin der Herr der Welt. Ich werde singend bei Nacht durch den Wald laufen können. Ich bin so stark mit meiner neuen Rüstung. Das ist der Hammer. Ich will aber zum Sumpflager, gehe ich weiter, gehen, ein bisschen weiter in den Wald. Was ist denn das hier? Das habe ich noch nie gesehen. Das ist ein Orkhund. Gibt es die hier? Was ist denn das? Ist ja auch nur einer. Na, dann gehe ich mal hin. Ah, tot. Ah, vielen Dank. Vielen Dank, liebe Scotch, dass du meine Power-Fantasy 90 Sekunden am Leben gehalten hast, bevor du mich auf den Boden der Tatsachen zurückgeführt hast. So ist das nämlich. Das ist ein hartes Gating an vielen Stellen, weil manche Gegner sind dann halt plötzlich easy und können dir gar nichts mehr wegen der Rüstung. Und manche Gegner Na ja.
Chris:
[1:10:09] Ja, das ist ein bisschen trügerisch mit diesem Machtgewinn, weil du rotzt dann gerade so im Midgame die ganzen Anfangsangstgegner weg. So ein Wolfsrudel zum Beispiel, da läufst du schreiend weg am Anfang, weil die sind einfach viel zu gefährlich. Und irgendwann schnetzelst du dich da durch und hältst dich für Gott auf zwei Beinen. Und dann begegnet man dem ersten Schattenläufer oder dem ersten Feuerwacher an und denkt, wie schlimm kann das schon sein? Und dann brennt dir deinen Level 22 Helden mit einem Feuerstoß weg. Und ich hatte auch so ein ähnliches Erlebnis wie du, wo man das so spürbar merkt, diesen Machtzugewinnen. Das war ein bisschen später im Spiel. Da kommt man in den Orgfriedhof und begegne da den ersten Orgs, mit denen ich gut zurecht kam. Ich hatte da meine Spezialisierung auf Einhandwaffen, hatte ein ganz gutes Schwert, war Level 12 und kam mit diesen ganzen Orgjägern, die da unterwegs sind, gut zurecht. Und dann komme ich dann später in diesem Orgfriedhof, das ist eine unterirdische Höhle, in eine große Halle und da steht der erste Orgkrieger. So einem bin ich vorher noch nicht begegnet. Am anderen Ende der Halle, der sieht mich, dreht sich zu mir um und kommt die Halle entlang gerannt. Wie bei Monty Python aus der Tiefe des Raumes kommt er zu mir hingestopft. Und ich warte da etwas nervös an diesem Eingang, ziehe mein Schwert und dann kommt der angerannt, haut zweimal auf mich ein und ich bin tot.
Chris:
[1:11:25] Dann habe ich versucht, ihn in den Kampf zu verwickeln mit Blocken und sowas dem auszuweichen, aber ich habe mir die Zähne an diesem Org-Krieger ausgebissen. Und dann bin ich wieder raus aus dem Org-Friedhof und dann kommt das, was man doch manchmal machen muss bei Gothic, um die nächst bessere Rüstung zu bekommen, muss ich erstmal Level 15 erreichen, war gerade Level 12. Und dann beginnt der Grind. Dann bin ich durch die Spielwelt und habe Wölfe gekloppt und die ersten Snapper und sowas, bis ich auf Level 15 war und mir die bessere Rüstung leisten konnte. Ich habe dann noch ein bisschen meine Stärke ausgebaut und mir noch ein passendes Amulett beim Zauberer gekauft, das mir mehr Stärke gibt und bin wieder zurück in diese Halle. Jetzt war der Kampf immer noch nicht leicht gegen diesen Krieger, aber auf einmal schaffbar. Aber der eigentliche Punkt ist, ich dachte dann bei diesem Levelaufstieg, ich hatte da ein Savecam gemacht, probierst du es doch mal anders. Ich kann mir hier im neuen Lager ja auch einen besseren Bogen kaufen und mein Bogenschießen leveln. Und dann bin ich zurück in diese Halle und während dieser Orkkrieger auf mich zugerannt kommt, habe ich ihm 10, 12 Pfeile entgegengejagt. Und auf einmal war der Tod, bevor er dann an mich rangekommen ist. Und dann habe ich nochmal ausprobiert, mir bei Kronos, dem Magier im neuen Lager, eine Feuerballspruchrolle zu kaufen. Und während der Orgkrieger auf mich angerannt kommt, habe ich ihm den Feuerball entgegengeschleudert. Und dann rennt der brennend auf mich zu und brach tot vor mir zusammen.
Chris:
[1:12:41] Und dann dachte ich, das ist schön. Es ist schön, dass ich dieses Machtgefühl habe, in dem ich stärker werde. Aber es ist auch schön, dass ich mich auf die Situationen einstellen kann. Denn es gibt viele Gegner im Spiel, die haben bestimmte Stärken und Schwächen. Die reagieren besser auf bestimmte Arten von Angriffen. Und weil das Spielmodell so flexibel ist und das Charaktersystem so flexibel ist, kann ich mich darauf einstellen und sollte das auch tun.
Gunnar:
[1:13:05] Genau, du kannst dich darauf einstellen und du musst nicht wie bei Elden Ring oder so irgendwie umskillen oder ein bisschen umskillen vielleicht, um den Bogen bedienen zu können. Da möchtest du schon noch ein bisschen mehr Geschicklichkeit haben. Aber gerade die Magiesachen kannst du halt einfach im Laden kaufen und dann mal gucken, ob die darauf reagieren. Viele Monster haben sehr nachvollziehbare Schwächen. Der Eiskolem reagiert nicht so gut auf Feuer. Das war mir schon klar, dass ihnen das nerven würde. Aber die Harpien zum Beispiel, die sind total feuerempfindlich und sonst echt gar nicht empfindlich.
Chris:
[1:13:36] Ja, und die sind wahnsinnig schwer im Nahkampf zu treffen, weil die halt so Flatterviecher sind. Aber wenn du da mit dem Bogen draufschießt, dann holst du die eben nur aus der Luft.
Gunnar:
[1:13:43] Das passt alles schon ganz gut. Man muss es ein bisschen erforschen. Gerade wenn man Gegner hat wie bei deinem Ork, wo man nicht klarkommt, dann kann es schon gut sein, dass es noch einen anderen Weg gibt. Gerade das Schießen ist erstaunlich effizient manchmal. Ich habe es fast nie gemacht, weil es mich so genervt hat vom Prozess her. Es war nicht möglich, nur zu schießen, so wie in Diablo. Du musst ja dann trotzdem noch nahe kämpfen. Das war mir zu nervig. Ich habe meistens nur so geschossen, wie man halt so als cheesy Rollenspieler schießt. Ich habe mich auf eine Klippe gestellt, wo mich niemand erreichen kann. Und dann habe ich geschossen von da oben.
Chris:
[1:14:15] Geht aber auch nicht immer, weil gerade in der offenen Welt die Gegner dann halt einfach Distanz zwischen dich und sie bringen. Die hauen dann halt einfach ab.
Gunnar:
[1:14:22] Ja, genau. Die laufen einfach weg. Oder noch schlimmer, die nutzen die 3D-Engine aus und glitschen sich den Werk hoch.
Chris:
[1:14:29] Das kann auch mal passieren.
Gunnar:
[1:14:30] Hey, so ein Snapper, das ist so eine Art Mini-Dinosaurier, der steht vor mir und ich schwöre, der kann da nicht hoch, aber dann läuft er zweimal dagegen und steht neben mir.
Chris:
[1:14:38] Ja, das ist doch überraschend, wo manchmal Gegner auftauchen. Die Faustregel scheint zu sein, und das finde ich gar nicht so verkehrt, wenn du da hinkannst, dann können Gegner da auch hin.
Gunnar:
[1:14:46] Ja, das ist ja auch eigentlich nur fair.
Chris:
[1:14:49] Das Kampfsystem müssen wir noch schnell beschreiben, auch deswegen, weil das eine wichtige Sache von Gothic auch noch impliziert. Das ist ein Action-Kampfsystem und das wird über die Tastatur gesteuert. Und das ist das, was ich gerade meinte. Gothic ist ab Werk im Jahr 2001 ein Spiel, das mit Tastatur gesteuert werden will. Das ist über die längste Zeit entwickelt worden, als ein Spiel, das eine Maus überhaupt nicht unterstützt. In der fertigen Version, die da rausgekommen ist, ist eine Maus-Unterstützung drin. Aber wenn wir ehrlich sind, ist die ganz schön überflüssig. Auch heute noch, würde ich sagen, gilt das, wenn man Gothic 1 spielt, sollte man sich darauf einstellen, die Maus gar nicht erst anzufassen.
Gunnar:
[1:15:23] Hast du nur Tastatur gespielt?
Chris:
[1:15:24] Ich habe nur Tastatur gespielt. Das Einzige, wofür die Maus hilfreich ist manchmal, ist, um sich besser umzuschauen. Das geht auch mit der Tastatur, mit der Taste 0. Aber da ist die Maus ein bisschen praktischer.
Gunnar:
[1:15:33] Ich habe am Anfang echt bestimmt eine Stunde mit dem Spiel verbracht, um ein Bewegungsschema zu finden, das dem ähnelt, wie ich das gewohnt bin von anderen Spielen. Und das ging ums Verrecken nicht und in der ersten Stunde war ich, also ich will nicht sagen verzweifelt, aber richtig unglücklich mit dem Spiel und dachte, das muss doch irgendwie gehen, was wird denn das für eine Erfahrung hier, ich muss es doch durchspielen, wie soll denn das gehen? Und dann habe ich irgendwann mich auf diese Tastatursteuerung eingelassen, genauso wie sie ursprünglich im Spiel war und damit geht’s, guck. Und es hat mir richtig gefallen in dieser Tastatursteuerung. Es hat erstaunlich gut funktioniert für mich. Das einzige Problem war, dass wenn ich zwei Tage Pause gemacht habe, zwischen Spielsessions, habe ich vergessen, wie die Tastatursteuerung geht. Wie war das nochmal, wenn ich mich in ein Tier verwandelt habe, mit einem Tierzauber, aus diesem Tierzauber wieder rauszukommen? Welche Taste ist das? Musste ich das halbe Internet absuchen? Ich glaube, das stand nicht im Handbuch. Aber insgesamt ist die Tastatursteuerung schon, man merkt, die, für die das Spiel gebaut worden ist.
Chris:
[1:16:30] Ja, ich verstehe nicht, warum das so einen schlechten Ruf hat. Das kriegt immer so viel Hate, diese Tastatursteuerung. Aber die ist wunderbar implementiert in Gothic und funktioniert so, wie sie soll. Manchmal merkt man, dass das an die Grenzen kommt, wenn du in einem Handelsmenü große Mengen verschieben möchtest von Sachen.
Gunnar:
[1:16:45] Bezahl mal 3000 Erzklumpen für dieses Superschwert, bitte Christian.
Chris:
[1:16:49] Ja, dann musst du entweder sehr viel auf die Pfeiltasten tippen oder du musst wissen, dass du, wenn du die Shift-Taste zusätzlich gedrückt hältst, dass du dann 100 auf einmal verschiebst. Steht übrigens auch nicht im Handbuch. Also die ganze Handelssteuerung ist ziemlich missglückt. Aber ansonsten, gerade im Kampf ist das wunderbar. Ich denke, dafür ist es auch primär gemacht. Das ist ein Actionkampf direkt in der 3D-Umgebung, nahtlos. Du ziehst mit einer Taste dein Schwert oder deinen Bogen oder deine Magie und bist dann direkt im Kampf. Das ist ganz simpel. Die Taste nach vorne macht einen Schlag nach vorne, links einen Schlag von rechts nach links und die Taste rechts aus der anderen Richtung und mit der Rückwärtstaste machst du einen Ausweichschritt.
Chris:
[1:17:28] Und dann läuft es im Endeffekt auf Kombos hinaus. Also wenn du einen Schlag mit einer logischen Folgeaktion verbindest, also wenn du von rechts nach links schlägst, dann befindet sich ja dein Schwert auf der linken Seite, dann kannst du direkt einen Schlag nach rechts wieder anschließen. Und auf diese Weise mit ein bisschen Timing, das aber auch nicht sonderlich kritisch ist, kriegst du dann so schöne flüssige Schlagkombinationen hin.
Chris:
[1:17:50] Und dann geht es in erster Linie darum, die Gegner lesen zu lernen und zu verstehen, was für Angriffsarten die machen und darauf zu reagieren. Die Blutfliegen zum Beispiel umkreisen uns und stechen dann mit dem Stachel zu. Da muss man ihrer Bewegung folgen und dann halt im richtigen Moment schneller zuschlagen. Die Lurker, das sind so große Wasserechsen, die lauern erst und machen dann einen Doppelbiss. Also greifen zweimal hintereinander an. Da muss man halt einfach zur Seite treten, den Angriff ins Leere gehen lassen und dann auf sie einhauen. Sobald du Gegner mit Waffen triffst, also bei Menschen oder den Orks, ist dann Blocken notwendig. Da blockst du den Schlag oder auch mal mehrere Schläge ab. Solange bis der Gegner wieder ausholt und dann besteht ein kurzes Zeitfenster, wo man dann seinerseits zuschlagen kann. Das ist cool. Das fühlt sich eigentlich gut an, das hat nur das kleine Problem, dass das die eine Kampfmechanik ist, die nicht zuverlässig funktioniert. Weil unser Namenloser, der will halt einfach manchmal nicht blocken und soweit ich das beurteilen kann, hat es nichts mit falschem Timing zu tun, sondern das scheint mir einfach fehlerhaft zu sein.
Chris:
[1:18:45] Aber richtig problematisch wird es eigentlich bei Gegnergruppen. Das hattest du schon beschrieben, wenn so ein ganzes Wolfsrudel zum Beispiel auf dich einstürmt, die umringen dich dann wie in den Arkham-Spielen. Das ist tatsächlich, als hätte Gothic die Arkham-Kampfmechanik vorausgesehen, nur dass hier die Gegner nicht freundlicherweise warten, während du den Zweikampf mit einem beendet hast, sondern im Zweifel beißen die aus allen Richtungen auf dich ein. Das heißt, eine der wichtigsten Sachen in Gothic ist eigentlich Crowd Control, also wie man mit mehreren Gegnern auf einmal umgeht, weil das eine häufige Situation ist. Und das ist auch die große Schwäche des Kampfsystems, weil dafür gibt es eigentlich kein richtig probates Mittel.
Chris:
[1:19:21] Als Kämpfer lautet die Antwort darauf, naja, hab eine Rüstung, die stark genug ist, dass du es halt aushältst, wenn die auf dich einschlagen.
Gunnar:
[1:19:27] Ja, und versuch sie einzeln anzulocken, das geht aber nicht immer.
Chris:
[1:19:30] Genau, also das ist halt so ein taktisches Element, aber das Spiel ist da clever. Also bei einem Wolfsrudel zum Beispiel, das ist gar nicht so leichter, einen rauszulocken. Das ist meistens das ganze Rudel dann da. Also wie gesagt, als Kämpfer muss man es halt einfach aushalten, als Fernkämpfer und Magier darf man es eigentlich gar nicht dazu kommen lassen. Magier haben theoretisch später Crowd-Control-Sprüche, wie die Eiswelle zum Beispiel, die sich so ringförmig ausbreitet und dann alle Gegner im Umkreis einfriert. Das ist schon ganz cool, aber das sind ein paar Sekunden und dann sind die wieder aufgetaut. Da ist das Kampfsystem dann doch nicht schnell genug, gerade wenn du die Waffe wechseln möchtest, Magie wegstecken und das Schwerziehen. Das dauert ein bisschen, das ist relativ schwerfällig, da sind nach ein, zwei Schlägen die Gegner schon wieder aufgewacht und dann schnell zurückzuwechseln zu Magie und den Eiswelle-Zauber wiederzusprechen funktioniert meistens nicht mehr. Wenn du erstmal von Gegnern umringt bist, die auf dich einschlagen, ist es in der Regel vorbei für alle anderen Außerkämpfer. Und das ist nicht so cool. Da hat dieses Kampfsystem einfach keine richtig gute Antwort drauf. Genauso wenig übrigens wie auf den Umgang mit Fernangriffen. Es gibt ja keine Schilde in Gothic und dementsprechend auch keine Möglichkeit, Schüsse irgendwie abzublocken. Und ich glaube, was das Spiel möchte, ist, dass du Pfeilen mit Sidesteps ausweichst. Also einen Schritt zur Seite, das kann unser Namenloser. Aber das kann er nur im Stehen, nicht im Laufen.
Chris:
[1:20:48] Was dann wiederum bedeutet, dass du auf dem Weg hin zu, sagen wir, einem Armbrustschützen, den du im Nahkampf hauen willst, dann halt erstmal ein paar Bolzen schluckst. Und das kann sehr schmerzhaft sein. Also auch hier ist das Kampfsystem unausgegoren, aber deswegen nicht schlecht. Im Gegenteil, ich finde, das hat eine ganz simple Eleganz. Das geht gut von der Hand und vor allen Dingen ist es recht schnell.
Gunnar:
[1:21:12] Die Problematik an dem Kampfsystem oder auch das Innovative ist, das ist ja animationsbasiert. Das heißt, du machst eine Animation und so lange bist du in der Animation. Und beim Gegner ist das ja auch so. Und du kannst die Animationen halt unterbrechen. Und wenn du halt den Gegner im Schlag unterbrichst, dann unterbricht seine Animation. Und dann muss er für den nächsten Schlag neu ansetzen. Und wenn es ein sehr langsamer Gegner ist, wie zum Beispiel der wahnsinnig starke Steingolem, der halt wirklich zuschlägt wie ein Dampfhammer. Aber wenn du den mit lauter schnellen Schlägen und einer guten Kombo unterbrichst, dann trifft er dich gar nicht. Dann kannst du den so aushebeln. Und deswegen ist das so problematisch, wenn du umringt wirst, weil dann beißt dich nämlich jemand von hinten und unterbricht deine Animation. Und dann kannst du plötzlich nicht mehr zuschlagen. Deswegen sind halt viele Jäger des Hasen tot. Weil wenn da nämlich drei, vier Leute dich umringt haben, dann hast du nicht mehr die Animation, um zuzuschlagen.
Chris:
[1:22:06] Ja, das ist ein bisschen schade, weil zu dieser Situation darfst du es eigentlich nicht kommen lassen. Und wenn es doch dazu kommt, heißt es in den meisten Fällen Spielstand laden.
Gunnar:
[1:22:14] Ja, das Spiel legt es auch darauf an, dass es dazu kommt, weil die Gegner legen es hart darauf an, dich zu umringen. Nicht nur die Wölfe, die auch manchmal gefühlt aus dem Nichts auftauchen oder sich hinterm Baum versteckt haben, später die Orks, die schlagen relativ schnell zu und die treten dann so in Zweier- oder Vierergruppen auf. Da geht immer irgendwer hinter dich und dann hast du die da am Arsch. Ganz unangenehm.
Chris:
[1:22:39] Ja, deswegen ist häufig halt die probate Antwort dann, naja gut, werde halt stark genug durch eine bessere Rüstung und mehr Lebensenergie, dass du das halt aushalten kannst, wenn da mehrere dich angreifen und du die dann einzeln ausschalten kannst. Das ist aber auch ganz okay. Und ich finde, Gothic ist eine wunderbare Spielerfahrung im Hinblick auf Selbstwirksamkeit. Auch wiederum durch die Art und Weise, wie die Spielwelt gestaltet ist. Weil wir sagten ja vorhin schon, die ist prinzipiell offen. Du kannst prinzipiell überall hingehen, aber da sind die Monster vor. Ja, also du kannst von Anfang an direkt in den Wald, wo die Wolfe rumlaufen, aber es ist halt einfach keine gute Idee.
Chris:
[1:23:16] Und es gibt interessante Orte, interessante Ruinen, die hänge hoch, aber da wirst du nicht hinkommen am Anfang, weil da sind auf dem Weg Gegner, die halt einfach zu stark für dich sind. Aber das Schöne ist, das merkt man sich dann. Du musst von denen gar nicht unbedingt getötet werden. Du kannst auch einfach auf dem Weg sehen, oh, da hinten ist ein Rudel von Gegnern. Die schauen fies aus. Da gehe ich jetzt vielleicht noch nicht hin. Aber später gehe ich da wieder hin. Und dann wird es auch sukzessive möglich, Gegner, die am Anfang unbezwingbar erschienen, doch zu bezwingen. Und das ist so ein schönes Gefühl, weil sich da so nach und nach die Spielwelt aufschließt, weil man auch immer irgendwie im Hinterkopf hat, Moment, hier ist doch eine Region da, habe ich mich vorher noch nicht reingetraut, aber jetzt wäre ich doch vielleicht bereit dafür. Gothic ist auch eines dieser Spiele, wo Gegnergruppen, die du besiegt hast, weg sind, aber so langsam im Laufe der Spieltage wieder respawnen. Dann tauchen hier mal eine einzelne Blutfliege und da mal zwei Scavenger wieder auf. Das heißt, du hast die Gelegenheit, auch als hochgepowerte Held ein Level-1-Monster nochmal schnell umzuhauen. Und selbstverständlich mache ich das.
Gunnar:
[1:24:13] Ja, die ganze Zeit haben wir das gemacht.
Chris:
[1:24:15] Jedem Varan, der mir begegnet, haue ich auf die Mütze, selbstverständlich. Weil sich das auch einfach gut anfühlt. Und ich finde, eine der Sachen, die Gothic hervorragend macht, die Gothic verstanden hat als Spiel, ist, wie gut es sich anfühlt, diesen Pay-Off zu haben. Also, dass dir etwas gelingt, was dir am Anfang verwehrt bleibt. Nicht nur in Bezug auf welche Monster kann ich bezwingen, sondern auch durchaus eingebettet in dieses Gesellschaftsleben. Da gibt es zum Beispiel eine Szene, die finde ich beispielhaft dafür, wie gut das Spiel das macht. Da kommt man nämlich zum neuen Lager, über diese Reisterrassen, die wir vorher beschrieben haben. Und da steht die rechte Hand dieses Reislords, der da die Bauern knechtet. Lefty heißt er. Eigentlich müsste er Righty heißen.
Gunnar:
[1:24:58] Die linke Hand eigentlich.
Chris:
[1:24:59] Ja, die linke Hand eigentlich, genau. An dem muss man vorbei. Und der fängt uns sofort ab und sagt, hey, du, mach die mal nützlich, hier sind zwölf Wasserflaschen, liefer die mal an die Bauern. Und dann denkt man sich, ja, okay, das ist nervig, muss ich jetzt zwölf Bauern anquatschen und Wasserflaschen ausliefern. Aber ja, gut, dann mache ich das halt jetzt. Und wenn ich das erledigt habe und wieder ein Lefty vorbeigehe, dann sagt er, hey, gut gemacht, das machst du ab jetzt jeden Tag. Hier, fang direkt damit an, hier sind nochmal zwölf Wasserflaschen. Wenn man dann weggeht und kommt dann am anderen Tag wieder und man hat sich nicht daran gehalten, diese Wasserflaschen auszuliefern, dann ist er sauer. Du kannst ihm auch direkt sagen, liefer dein Wasser alleine aus. Und dann sagt er, ja, da muss ich dich wohl dran erinnern, welcher der Boss ist. Geht in den Kampf und es ist ein Keulnhieb und dann liegst du am Boden und dann klaut er unser halbes Erz und beschimpft uns noch und dann würden schön die zwölf Wasserflaschen ausgeliefert, ja. Also, das finde ich so eine wunderbare Idee, dass das Spiel einen hier an so eine Bulli-Situation bringt, wo ein NPC dir den Willen aufzwingt, weil du halt einfach eine kleine Wasp bist und dich nicht dagegen verteidigen kannst. Aber selbstverständlich brodelt dann der Zorn in mir und ich denke, Lefty, wir beide wissen, worauf das hinausläuft. Oder ich weiß es zumindest, du weißt es vielleicht noch nicht, aber ich kenne dein Schicksal schon. Warte nur ab.
Chris:
[1:26:12] Irgendwann bin ich stark genug, dass ich den Kampf mit ihm gewinnen kann, dann kommt noch sein Chef an, der Reislord, will mich auch noch verhauen und den niete ich dann auch noch direkt um. Aber wie du schon gesagt hast, man tötet die Leute ja nicht, sondern die liegen dann eine Weile am Boden und winden sich und dann steht Lefty irgendwann wieder auf und ist ziemlich kleinlaut.
Chris:
[1:26:30] Und dann kann ich in dem Dialog mit ihm sagen, du Lefty, die Bauern sehen ziemlich dürstig aus. Und das ist so geil, Gunnar, das ist so ein wunderbarer Payoff, dass ich jetzt derjenige bin, der dem Bulli die Ansagen macht. Und das Spiel, das versteht das, das versteht im Kleinen den Wert von diesem Payoff. Wir hatten in unserem Soundbeispiel auch, dass wir da zu diesem Haus über den See sind und wurden dann von den Wachen abgewiesen, die uns noch nicht in die Kneipe lassen wollten. kommen dann trotzdem rein. Aber später, im zweiten Kapitel, bin ich dann mal wieder hin, war ich schon längst aufgestiegen in der Hierarchie des neuen Lagers. Dann stehen da die Wachen wieder und sagen, du kennst die Regel, hier dürfen nur Schürfe und Bouditen rein. Und dann hat man jetzt die Antwortoption, willst du mich aufhalten? Und dann sagt die Wache, nein, geh nur. Und dann spaziere ich da durch, ohne dass ich dieses Mal das Erz abdrücke oder irgendeine Rechtfertigung brauche. Und auch das ist schön. Und das Spiel hat manchmal diese hübschen Möglichkeiten, dass du Leuten noch so eine kleine verbale Demütigung mitgeben kannst. Und dieses eine Beispiel möchte ich auch noch schnell bringen, weil das mein Lieblingssatz im ganzen Spiel ist. Im Sumpflager, da gibt es einen Krautstampfer namens Gorim, der schon seit zwei Tagen da hockt und Kraut stampft. Der ist am Ende, aber der Aufseher will ihn nicht weglassen. Und eigentlich hätte er schon längst abgelöst werden sollen von seinem Kumpel, von Harlock. Aber der kommt einfach nicht. Und dann können wir Gorim versprechen, ja komm, wir suchen nach Harlock und schicken ihn her.
Chris:
[1:27:51] Dann findet man den Harlock, der da gerade gemütlich Sumpfkraut raucht und Harlock sagt, erinnere mich nochmal daran, wenn ich ausgeschlafen habe. Dann muss man wohl andere Seiten aufziehen und kann ihm sagen, er soll jetzt seinen Hintern zum Krautstampfen schwingen, sonst gibt es saures. Aber das läuft darauf hinaus, dass man ihn ordentlich verdreschen muss. Und nachdem er dann also wie ein geprügelter Hund vor uns liegt, gibt es dann noch einen Abschlussdialog und dann sagt er, warum mischst du dich da überhaupt ein in unsere Sache? und dann sagt unser Protagonist den Satz.
Spielton:
[1:28:19] Ich will dich einfach stampfen sehen.
Chris:
[1:28:22] Und das ist mein Lieblingssatz im ganzen Spiel. Das ist so eine coole Socke. Ich will dich einfach stampfen sehen. Und das ist Payoff. Dafür liebe ich Gothic.
Gunnar:
[1:28:30] Auch die Tatsache, dass, wie du es vorhin beschrieben hast, die Monster ja als Gating eingesetzt werden, also dass sie bestimmte Levelbezirke absperren, ist halt auch Teil davon, dass du halt denkst, okay, ich bin jetzt hier durchgekommen, jetzt habe ich was erobert von dieser Welt. Das ist ja auch ein Teil dieser Selbstwirksamkeit. Und ich finde erstaunlich, das Blutfliegen-Baschen habe ich auch nicht überbekommen, weil auch eine Blutfliege 70 Erfahrungspunkte ist, nicht zu verachten. Ja, ich finde, das ist so gestaltet, dass das nie so ganz sinnlos wird. Hinterher brauchst du dann natürlich, was weiß ich, 8.000 oder 10.000 Punkte, um ein Level aufzusteigen. Aber Mai, so 5 Blutfliegen, das sind auch schon über 300. Ja, passt schon.
Chris:
[1:29:14] Lass uns noch mal kurz über die Spielwelt reden. Wir haben ja vorhin über die Soundreise schon ein bisschen die Welt beschrieben und kennengelernt. Aber es gibt, glaube ich, Aspekte davon, die wir noch ein bisschen genauer beschreiben müssen. Lass mich mal so fragen, Gunnar, hast du einen Lieblingsort in der Welt von Gothic?
Gunnar:
[1:29:29] Einen einzelnen Lieblingsort habe ich nicht. Aber der Ort, der auf mich den stärksten Eindruck macht als solcher, ist die Art, wie Gothic mit Wald umgeht. Darf ich jetzt endlich über den Wald reden, Christian?
Chris:
[1:29:41] Ja, dann lass uns über den Wald reden. Ja, gerne.
Gunnar:
[1:29:43] Das ist das erste Spiel, wo ich jemals ein Waldgefühl hatte. Also wo ich in einen Wald gegangen bin und gedacht habe, oh, ich bin in einem Wald. Und das macht ein paar Sachen anders als alle Spiele in dieser Zeit. Also wir sprechen jetzt nur von 3D-Spielen logischerweise. Also früh in der Historie stellen 3D-Spiele Wald auf zwei Arten dar. Als eine geschlossene Baumtextur im Hintergrund, so eine Art bemalte Wand.
Gunnar:
[1:30:12] Und als einzelne Bitmap-Bäume zusammengestellt zu Gruppen. Das ist ein Wald in den Spielen vor 2000. Das ist auch noch ein Wald in so Spielen wie Wizardry 8, das kurz vorher kommt, oder in Might & Magic 8. In Ultima 9, das noch vor den beiden eben genannten Spielen kam, aber sehr fortschrittlich war, das macht das schon alles ein bisschen besser. Das macht einzelne in 3D gestaltete Bäume mit so Bitmap-Blättern, wie das Gothic auch macht. Und es zeigt so einzelne Baumgruppen, wo so mehrere Bäume zusammengefasst sind, was dann so ein bisschen einen Waldeindruck ergibt. Und das ist schon am nächsten dran an Gothic. Aber was Gothic macht, und das habe ich bis dazu noch nicht gesehen, es hat einen Boden und ein Dach. Also es hat einen richtigen Waldboden, dann hast du das Gefühl, da liegen Tannennadeln rum. und die Bäume überlappen oben und blenden die Skybox aus und du bist dann wie in einem Innenraum. Aber überall kommt schon noch Licht durch. Du hast nicht das Gefühl, dass du in ein Dungeon gelaufen bist oder so. Und du kannst, anders als in allen bisherigen Spielen davor, auf den Wald gucken aus einiger Entfernung und siehst nur eine Mauer von Bäumen und dann kommst du ran und dann löst sich das in einzelne Bäume auf, die halt nur versetzt stehen und deswegen diesen Eindruck erwecken, dass sie total dicht werden. Und das ist genau wie ein richtiger Wald funktioniert Christian, genau so ist ein richtiger Wald es ist so toll.
Chris:
[1:31:35] Der Wald ist fantastisch in Kostic. Ja, schließe ich mich an, weil es dunkel wird, weil es sich anfühlt wie Wald. Da stehen nicht nur Bäume rum, da sind Wurzeln, Stämme, Unterholz mit fahrenden Mulden und Felskanten. Das ist ja kein flacher Wald. Ja, das gibt es ja in Kostic gar nicht, sondern der Wald hat ein Relief, ist durchzogen teilweise von Schluchten oder von Mulden. Da gibt es auch mal eine Höhle oder einen Tunnel drin. Dazu kommt die Soundatmosphäre, dazu kommen so Kleinigkeiten, wie dass halt auch ein paar Blätter als Partikeleffekte runterfallen. Es gibt dem Wald einen richtigen Charakter. Auch den Bäumen. Du hast hier keine klassischen Bäume mit gerader Stamm oben die Krone, sondern die sind oft schief. Die haben teilweise mehrere Stämme. Die sind dick und knorrig und verwachsen. Es sind auch so kleine Aspekte der Simulation, wie dass es im Wald nicht regnet. Gothic hat ja auch ein Wettersystem. Also es kann ja zum Beispiel auch Regen und Gewitter geben und sowas. Und sobald du unter die dichte Krone des Waldes tritzt, hört der Regen dort auf. Und auch auf diese Art und Weise gibt dir das Spiel nochmal das Gefühl, du bist hier wirklich in einem urigen Wald, nicht an irgendwie zwei dürren Bäumchen. Das ist fantastisch gemacht.
Gunnar:
[1:32:37] Es ist halt ein richtiger Ort. Es ist halt ein Ort. Er ist abgegrenzt vom Rest und das merkt man besonders dann, finde ich, weil man bewegt sich gerade im ersten Drittel des Spiels viel hin und her zwischen dem alten Lager und dem Sumpflager. Jedenfalls habe ich das gemacht. Du hast wahrscheinlich nur im neuen Lager rumgesessen.
Chris:
[1:32:55] Bin ja nie raus.
Gunnar:
[1:32:56] Ein bisschen nie raus, genau. Und zwischen diesen beiden Lagern ist halt der größte Wald im Spiel. Und das hat sich angefühlt wie eine Mutprobe.
Chris:
[1:33:05] Ja.
Gunnar:
[1:33:05] Dass ich durch diesen Wald muss. Der ist auch so lang, ich kann den nicht leicht umgehen. Das ist ein Riesenumweg. Das heißt, ich muss da durch an einer engen Stelle nur, aber durch diesen Wald gehen. Und in dem Wald sind auch echt böse Tiere, die mehr ans Leder wollen. Und ich verirre mich auch mal in Wäldern. Wenn ich da ein paar Mal durchgegangen bin, weiß ich schon, wo ich abbiegen muss. Aber die Orientierung ist eine ganz andere und ich bin da schon mal am falschen Ende rausgekommen, weil das halt ein echter Wald ist, Christian. Es ist halt Wald.
Chris:
[1:33:34] Die Welt in Gothic hat Charakter. Das ist ja auch so ein Rollenspiel-Klischee, dass du halt Biome hast, da ist die Wüste, da ist die Waldregion, da ist der Sumpf und sowas. Und ja, es gibt schon auch in der Landschaft von Gothic diese speziellen Orte, aber die sind dann halt nicht irgendwie das generische Sumpfland, sondern das ist dann ein gebautes Areal, wo jede Ecke ein bisschen anders aussieht. Ich würde denken, dass man jemanden, der eine Weile in Gothic verbracht hat, an eine beliebige Stelle der Spielwelt stellen kann und sagen kann, hier dreh dich einmal um die eigene Achse und sag mir, wo du bist. Und in allermeisten Fällen reicht das, um sich zu orientieren und zu sagen, ja, ich weiß, wo ich bin. Ich muss gar nicht auf die Karte gucken, weil die Landschaftsmerkmale zusammen mit der Fernsicht einfach gut genug sind, um sich orientieren zu können. Und weil ganz viel in der Landschaft von Gothic so individuell gebaut ist, dass es einen eigenen Charakter hat. Und das finde ich hervorragend. Hervorragend. Es gibt neben dem Wald eine zweite Art von Ort, von dem ich der Meinung bin, dass Gothic das erste Spiel ist, das das richtig gut gemacht hat.
Chris:
[1:34:41] Da bin ich gespannt, ob du meine Meinung teilst. Und das sind Höhlen. Ich finde, Gothic ist das erste Mal, dass Höhlen und generell unterirdische Areale richtig toll aussehen. Ich erinnere mich noch, als sei das gestern gewesen, als ich damals Gothic gespielt habe und bin das erste Mal in die alte Mine reingegangen. Und eine Mine ist im erlernten Rollenspielwissen ein Stollensystem. Und dann gehst du in die alte Mine und es ist ein riesiges Loch im Boden, ein gigantisches Loch, wo sich spiralförmige, pragmatisch gezimmerte Stege runterwinden. Mal mit Leitern, mal auf Felsbohr springen, mal haben sie Plattformen. Es gibt mal ein paar Abzweigungen, wo eine Höhle irgendwo tiefer reinführt, aber im Wesentlichen ist es einfach ein Loch in die Erde runter. Und ich sah das und dachte… Sowas geht. Das kann man in einem Spiel auch machen. So kann auch eine Mine sein. Oder das, was wir vorhin in der Soundreise beschrieben haben, wenn man zum neuen Lager kommt. Und das neue Lager ist ja eigentlich eine gigantische Höhle, eine riesige, auf der einen Seite offene Höhle in den Fels, wo diese gestaffelten Wohnebenen drin sind.
Chris:
[1:35:44] Und ich war da weggeblasen davon, Gunnar. Ich hatte sowas in einem Spiel noch nie gesehen, dass so ein Ort aussehen kann. Und diesen vorhin schon genannten Orgfriedhof, was als Höhle beginnt und dann eine Art ausgebautes unterirdisches Areal wird, wie toll das aussieht. Das ist schummrig beleuchtet, da hängen Moos und Flechten von der Decke, da wachsen Pilze, da sind ungerade Wände, Felssäulen. Diese Höhle führt hoch und runter und sowas, Spinnweben. Und dann geht es über in ausgebaute Tore, die mit Gittern verschlossen sind. Da geht der natürliche mit dem gebauten Teil der Höhle dann ineinander über. Und dann kannst du da mit der Fackel in der Hand durchlaufen. Da ist das auch noch dynamisch beleuchtet. Ich behaupte, vor Gothic gab es noch nie so schöne und so glaubwürdige Höhlen.
Gunnar:
[1:36:30] Ich wollte dir vorhin fast widersprechen, als du das Wort Dungeon in den Mund genommen hast. Und wollte eigentlich sagen, Gothic hat keine Dungeons.
Chris:
[1:36:38] Ich sage nur Schläfertempel.
Gunnar:
[1:36:39] Ja, da kommt dann einer. Zum Schluss des Spiels kommt dann einer. Aber wir wissen ja, wie Dungeons aussehen. Dungeons haben Levels, zwischen den Levels führen Türen oder Teleporter hin und her. Da gibt es Fallen, da gibt es Monster an bestimmten Stellen aufgestellt und so. Der Dungeon ist in allen Rollenspielen der überartifiziellste Ort ever. Auch in 3D-Rollenspielen und auch noch so späte 3D-Rollenspiele wie Skyrim oder so, da sehen die Dungeons halt aus wie für den Spieler dahin gebaut. Wie ein Vergnügungspark, der halt für den Spieler da ist. Und sie ähneln sich natürlich auch, wie sich Dungeons in Spielen ja immer ähneln. Und hier ist es halt, die Höhlen sind Höhlen, tatsächlich. Und dieses Orkgrab ist ein Orkgrab. Das hat ein Schalterrätsel an einer Stelle und das war es schon. Und ansonsten ist nichts da drin so richtig, was an einen klassischen Dungeon erinnert. Das ist wirklich eine unbekannte, feindselige, menschenleere Umgebung mit ein paar Ochs drin, die du so erforscht. Mit großem Erstaunen, was hier jetzt wohl sein könnte, ohne dass du irgendwie weißt, was dich hier erwartet. In einem Dungeon weißt du ja schon oft, was dich erwartet, weil Dungeons folgen halt bestimmten Regeln. Und das hier hat über weiteste Strecken des Spiels einfach gar keine Dungeons.
Gunnar:
[1:37:58] Wie es auch überhaupt so Fantasy-Klischees eine ganze Zeit lang vermeidet. Du fängst ja an in einer Welt, da gibt es Magie, das weißt du von Anfang an. Die Welt ist ja nur in dieser Form existent, weil es Magie gibt, halt diese Kuppel. Aber alle Leute, denen du begegnest, sind Menschen. und alle Gegner, denen du begegnest, sind Tiere. Das bleibt eine ganze Zeit lang des Spiels so, das trägt stark zum Realismus, Gefühl und zur Echtheit dieser Welt bei. Später kommen dann halt Fantasy-Monster dazu, ich hab die Harpien schon erwähnt, es gibt Trolle, alles mögliche und die Tiere werden ein bisschen unheimlicher nach und nach und irgendwann gibt es dann, das ist aber schon im dritten Kapitel oder so, da kriegst du dann auch noch Untote serviert und dann bist du richtig im Fantasyland vom Gefühl her und dann wirkt es ein bisschen generischer mit den Untoten, dass du halt plötzlich Skelettkrieger hast. und so. Aber bis dahin ist das alles ganz anders. Und das ist echt eine der Stärken des Spiels.
Chris:
[1:38:55] Ja, es ist bodenständig. Gothic ist ja ein Spiel, das so eine eigene Atmosphäre es schafft zu erschaffen. Doch das hängt wiederum mit der Grafik und dem Stil zusammen zum Teil, weil es ja ein vergleichsweise gedecktes Spiel ist, was seine Farbigkeit angeht. Das geht in Richtung Herbstfarben, obwohl es jetzt keine erkennbare Jahreszeit in dem Spiel ist, also definitiv kein Herbst. Aber es ist alles eher gedeckt, viele graubraune Farben. Das Gras hat so einen welken Eindruck. Die Bäume haben kein sattes Grün, sondern gelbliches Grün. Es erinnert so ein bisschen an historische Kunststile, an so Landschaftsgemälde von dem Kaspar David Friedrich oder von Arnold Böcklin, die auch oft diese erdigen, entsättigten Farben haben. Und es erinnert gerade in seiner Landschaftsgestaltung an diese Landschaftsidylle der Romantik, wo du ja auch urtümliche Wälder und auch diese Idee der schönen Ruine hast, Wo zur idyllischen Landschaft ja auch immer die Ruine dazugehört und natürlich die Abwesenheit von Menschen. Und auch das ist ein wichtiger Punkt. Die Welt von Gothic außerhalb der Lager ist eine, die überwiegend frei von Menschen ist, wo man nicht ständig irgendwie in einem Händler oder sonst was über den Weg läuft.
Chris:
[1:40:01] Und das ist eine Stilistik, die man in Rollenspielen auch nicht so häufig sieht. Und dazu kommt eben, wie gesagt, diese wunderbare Landschaftsgestaltung und die tolle Fernsicht. Auch Gothic ist das erste Spiel, wo ich mich erinnern kann, dass ich stellenweise stehen geblieben bin, wenn ich irgendwo auf einer Klippe war, auf einem Berg oben und runter ins Tal geguckt habe. Und da unten liegt das alte Lager mit seinem einzigartigen Turm, den man so gut erkennt und der Fluss. Und dann bin ich da stehen geblieben. Da habe ich einfach nur abgeguckt, einfach nur die Aussicht genossen. Das ist mir dann ein Jahr später in Morrowind wieder passiert, das ist das nächste Spiel, wo ich mich daran erinnere, dass ich da einfach die Landschaft genossen habe, aber ich glaube Gothic war das Erste.
Gunnar:
[1:40:39] Ich finde, man sieht es ganz gut an den redaktionellen Entscheidungen, die die GameStar getroffen hat. Wir haben ja vorhin kurz schon den Test erwähnt. Und der Haupt-Screenshot im GameStar-Test ist der Held, der auf einer erhöhten Position steht, mit der Fernsicht auf 300 Prozent aufgedreht und in diese Welt guckt. Keine Kampfszene, keine Action-Szene, einfach eine Szene, wo der Held guckt. Hat er gut getroffen.
Chris:
[1:41:07] Ja, ich finde, Gothic ist ein schönes Spiel für seine Zeit. Ich habe einen Podcast gehört von den Kollegen von GameStarm. Unlängst, da ging es um das Gothic Remake, das ja zu dem Zeitpunkt, wo wir diesen Podcast aufnehmen, noch in Produktion ist. Und da hat der Daniel Veit so im Vorbeigehen gesagt, naja, Gothic war ja damals, als es rauskam, technisch nur so mittelmäßig.
Gunnar:
[1:41:27] Frechheit!
Chris:
[1:41:27] Da wollte ich durch das Internet springen und ihn schütteln. Wie kann man dann sowas sagen? Ich finde im Gegenteil, Gothic war für ein Rollenspiel insbesondere. Phänomenal schön zu seiner Zeit. Und eine Sache möchte ich da noch besonders hervorheben. Denn Gothic hat eine große Vielfalt von Zaubersprüchen. Auch echt schön, damit zu experimentieren. Das sind nicht nur so typische Angriffszauber, sondern auch Verwandlungszauber zum Beispiel, wo du dich in Tierwesen verwandeln kannst, Beschwörungszaubern, Dämonen herbeirufen und solche Dinge, Telekinesezauber etc.
Chris:
[1:41:57] Aber die meisten dieser Zauber sind durch Partikeleffekte visualisiert. Und die sehen mega gut aus. Die sehen auch jetzt, mehr als 20 Jahre später, noch immer gut aus, finde ich. Ein Telekinese, das schickt so einen glitzernden, sich windenden Strang aus zu dem Objekt und zieht es dann zu dir heran. Wenn du den Untote-Fernichten-Zauber sprichst, dann fallen die zu Boden mit so einem markerschütternden Schrei und ihre Seele sprüht aus ihnen heraus, wie bei so einer Silvesterfontäne. Oder wenn du den Feuerregen-Zauber machst, dann breitet dein Protagonist die Arme aus und eine Flammensäule schießt erst in den Himmel und dann regnet es im Umkreis Feuerstrahlen auf die Erde und der Bildschirm bebt dazu und alles leuchtet so orange. Das ist toll, aber mein Lieblingszauber ist die Heilung, da kriege ich überhaupt nicht genug davon. Dann hebt sich nämlich unser Held so kurz von der Erde ab, während er die Arme ausgebreitet hat und strahlt weiß-blau in alle Richtungen. Das sieht mega gut aus und auch das hat wieder so eine krasse Wirksamkeit. Das hat so einen Impact, ich fühle das, ist toll.
Gunnar:
[1:43:02] Ich muss leider noch mal ganz kurz auf den Game-Star-Test zurückgehen. Der zweitgrößte Screenshot, den Peter gemacht hat, ist der magische Flammenregen, wie er damit den Troll angreift. Also der Troll, riesiges Monster, doppelt mannshoch, steht hier auf dem Screenshot in einem Flammenregen, der wirkt nicht noch schön aussieht hier beim Anschauen. Und das ist halt so ein typischer Peter-Screenshot, weil natürlich tut er dem nicht weh. Er kann den Troll nicht besiegen mit dem Flammenregen, das ist totaler Quatsch. Und man sieht auch, der Troll hat den vollen Lebensbalken, der ist unverwundet. Er hat das nur gemacht, weil es so schön aussieht in diesem Screenshot.
Chris:
[1:43:37] Es ist leider, um noch schnell diese Kurve auch zu machen, bevor wir dann so langsam uns der Entstehungsgeschichte nähern, aber bei den Zaubern ist auch relativ augenfällig, wo die Nähte aufgehen des Spiels, wo Dinge offensichtlich nicht zu Ende gedacht wurden, denn das Balancing der Zaubersprüche ist ziemlich schlecht. Also dieser Feuer-Regen-Zauber ist zum Beispiel nominell einer der mächtigsten, den man bekommt auf Stufe 5, bekommt man auch erst spät im Spiel. Und er ist nachgerade nutzlos. Das dauert zu lange, den zu benutzen. Er ist zu schwach, das ist so ein Flächenzauber. Aber der hat längst nicht die Wirksamkeit, die man sich erhofft. Ich war ja, wie gesagt, in Stufe 6 Magier. Da kriegst du dann zwei Sprüche auf dieser Stufe. Einer davon ist der Todeshauch. Völlig nutzloser Spruch. Ich war so enttäuscht, als ich den bekommen habe. Und ich habe da ja nun wirklich lange drauf hingearbeitet. Dafür ist ein Level-3-Zauber der Feuersturm, den man eigentlich die ganze Zeit benutzt. Das ist im Endeffekt so ein Feuerball-Zauber. Also zumindest ist das meine Meinung, was den Feuersturm angeht. Hast du einen Lieblingszauber?
Gunnar:
[1:44:35] Der beste Zauber ist die Verwandlung in eine Blutfliege.
Chris:
[1:44:38] Echt?
Gunnar:
[1:44:38] Du kannst dich in Tiere verwandeln. Ich konnte das natürlich nicht. Ich bin ja kein richtiger Magier. Ich habe mir einfach von allen Händlern die Spruchrollen gekauft und hatte dann quasi ein Dutzend Blutfliegen-Verwandlungszauber. Und dann kannst du dich wirklich in diese original Blutfliege verwandeln, die da rumfliegt in der Welt. Und die kann aus jeder Höhe runterfallen, ohne dass sie sich was tut. Die fliegt ja. Die kann Wasser überqueren und auf dem Fluss langfliegen. Du bewegst dich in doppeltem Tempo damit durch die Spielwelt. Und das kürzt so die Reisezeit ab, weil es ja in diesem Spiel lange Zeit kein Schnellreisesystem gibt. Du kriegst ganz spät zu bestimmten Punkten noch Teleportzauber, aber eigentlich gibt es keine Schnellreise. Das heißt, du musst immer durch diese Welt laufen, was auch eine richtige Entscheidung ist. Das tut der Immersion gut. Aber mit diesem Fliegenzauber kannst du das halt wahnsinnig abkürzen. Und du kannst auch da mit Gegnergruppen sensationell gut umgehen, weil Tiere ignorieren dich dann halt. Du bist ja dann auch ein Tier. Die greifen dich ja nicht automatisch an.
Gunnar:
[1:45:34] Menschen hingegen, die sagen dann sowas wie iiih, die zerdrücke ich und versuchen dann dich anzugreifen, du bist aber viel zu schnell, als Blutflieger bist du gleich wieder weg was mir allerdings mehrmals passiert ist ich komme dann zu einem Freund, wo ich eigentlich hin wollte, das Ziel meiner Reise und dann halte ich vor meinem Freund an finde nicht gleich die Taste, mit der ich den Zauber löse und dann klatscht er die Blutfliege, und ich bin gerade 5 Minuten durch die Spielwelt geflogen und habe natürlich nicht gespeichert unterwegs. Man kann auch gar nicht speichern, während man die Blutfliege ist. Nur um dann am Ziel geklatscht zu werden wie so eine gewöhnliche Stubenfliege von meinem eigenen Verbündeten. Und einmal habe ich das gemacht bei meinem Freund, dem Feuermagier. Bin kurz vor dem angehalten und der sofort Feuerball, Feuerball, Feuerball auf die Fliege. Aber Feuerball, da stirbt man nicht sofort bei. Und dann verwandle ich mich brennend zurück. Und der so, au. Oh. Das war ein toller Moment. Und ich so, na, möchtest du dich entschuldigen? Hat aber keine Frage gestellt dazu, leider. Aber tolle Szene und wirklich der Zauber, den ich am gewinnbringendsten und am häufigsten eingesetzt habe.
Chris:
[1:46:41] Ja, okay, nachvollziehbar. Habe ich, glaube ich, ein, zweimal ausprobiert, aber dann keine rechte Verwendung darin gesehen. Aber das, was du gerade beschrieben hast, klingt sinnvoll. Hätte ich vielleicht häufiger machen sollen. Wo du gerade noch mal auf diese Präaktivität der Welt zurückgekommen bist, was ja ein Teil der Simulation ist. Und wir haben ja nun schon darüber gesprochen, und dass Gothic ein Spiel ist, dem es offensichtlich stark darum geht, eine Welt zu simulieren. Aber eine der Sachen, die ich Gothic auch sehr zugute halte, ist, dass es nicht auf Teufel komm raus diese Simulation betreibt und dass im Zweifelsfall die Zugänglichkeit wichtiger ist. Wir werden später noch hören, dass das auch eine zentrale Abwägung im Designprozess war. Aber das Spiel ist voll von lauter pragmatischen Entscheidungen, wo man merkt, hier hätte zu viel Realismus nur genervt. Es gibt zum Beispiel kein Inventarlimit. Du kannst rumschleppen, was du willst.
Gunnar:
[1:47:25] Oh Gott sei Dank.
Chris:
[1:47:27] Ja, das ist super.
Gunnar:
[1:47:50] Bei tausend Gegenständen.
Chris:
[1:47:53] Okay. Ja, da musst du erst mal hinkommen.
Gunnar:
[1:47:55] Das kriegen wir nicht, ja.
Chris:
[1:47:57] Ist ja auch nicht so ungewöhnlich in dieser Ära, dass Rollenspiele zum Beispiel noch den Zwang zu essen, trinken oder schlafen haben. Gibt’s in Gothic nicht. Obwohl das ja nun eine Welt ist, wo es Tag und Nacht gibt. Aber du musst, wenn du nicht möchtest, nicht schlafen. Gibt auch keine Ausdauer zum Beispiel. Der Namenlose rennt die ganze Zeit. Auch nachts sind meistens die Questgeber und die Händler noch an ihren Plätzen. Und selbst wenn nicht, dann kannst du ja ganz pragmatisch einfach schnell schlafen. Also das finde ich ganz nett, dass das Spiel da nicht sklavisch sagt, so hier, das sind die Regeln unserer Welt, sondern im Zweifel geht es darum, dass du da eine gute Spielerfahrung hast. Und das finde ich eine sehr gute Designentscheidung. Ach ja, und eine von den gleichzeitig Kuriositäten und Besonderheiten von Gothic in Sachen Atmosphäre ist, dass es ja ein Konzert im Spiel gibt. Ziemlich unerwartet im zweiten Kapitel, wenn man da ins alte Lager kommt, dann findet auf der dortigen Bühne ein Konzert statt, der Mittelalter-Band In Extremo, die es in echt gibt, da eine deutsche Band, die dort ihr Lied Herr Mannelich spielen und das klingt so.
Chris:
[1:49:17] Das ist eine ziemlich coole Sache, weil da einiger Aufwand drinsteckt. Da wurden die Mitglieder von In Extremo extra ins Motion Capturing Studio gefahren, um ihre Bewegungen aufzunehmen. Da wurde dieser Song ins Spiel eingebaut. Und das alles, ohne dass es irgendeine Relevanz für den Handlungsverlauf hätte. Die tauchen auch nicht weiter im Spiel auf, diese Charaktere, sondern das ist einfach nur ein Zuckerl, würde ich sagen. Eine kleine Überraschung, ein Bonus.
Chris:
[1:49:44] Man kann sich fragen, warum Piranha Bytes den Aufwand betrieben hat. Das reinzunehmen, in erster Linie aus Fantum und weil sie die Gelegenheit hatten, mit in Extremo zusammenzuarbeiten und dann haben sie es halt gemacht. Aber wie charmant das ist, dass dieser unerwartete Moment da auftaucht und es passt ja auch wunderbar in Gothic und in diese Atmosphäre, sodass das, glaube ich, für die allermeisten Gothic-Spieler ein Highlight ist und eine Erinnerung, die man aus dem Spiel mit rausnimmt. Aber ich war eigentlich gerade dabei und das wollte ich noch zu Ende führen, dass man die Stellen doch sehr sieht, wo das Spiel dann auseinander geht oder wo einfach die Zeit gefehlt hat, um es noch vernünftig zu polieren. Es ist oft bei der Progression, also wie gesagt, das Balancing von den Zaubern ist da besonders augenfällig. Das ist auch in der Spielwelt, du siehst, dass es Gegenden gibt, wo die Zeit gefehlt hat, um die auszugestalten. Es gibt zum Beispiel eine überraschende Zahl von leeren Höhlen in der Spielwelt, wo einfach nichts drin ist. Es gibt Orte wie ein Räuberlager, das man oben an den Bergen finden kann. Da gibt es sogar einen benannten Charakter namens Quentin.
Chris:
[1:50:43] Da war möglicherweise mal was geplant, vielleicht sollte da mal eine Quest hinführen, aber da passiert nichts. Das scheint einfach nicht zu Ende designt worden zu sein. Und, Es gibt unglaublich viele Bugs und das, was wir heutzutage gespielt haben, ist schon die gepatchte Version. Prinerbytes hat damals zwei der drei Patches rausgebracht, die aber überwiegend Performance-Probleme gelöst haben. Aber das Gothic, so wie es auch heute existiert, ist immer noch ein ziemliches Bugfest. Man kann dem gar nicht entgehen, während man das Spiel spielt. Von Kleinigkeiten wie das Blutfliegen, halt manchmal unter Wasser fliegen, das Teile der Landschaften flimmern und so weiter, bis hin zu schon handfesteren Bugs. Es gibt zum Beispiel eine beträchtliche Anzahl von Leitern im Spiel, die man nicht erklimmen kann.
Chris:
[1:51:25] Ein berühmtes Beispiel ist, es gibt die Bergfestung. Eine Quest führt einen da mit einem Begleiter rein, mit Lester. Da muss man einen Fokusstein holen. Zu dieser Bergfestung gehört ein Turm, der führt eine Leiter rein. Und dieser ersten Leiter in den Turm fehlt die oberste Sprosse. Wenn der Charakter also die Leiter nach oben geklettert ist, dann hört er mit dem Klettern auf, bevor er die nächste Ebene erreicht hat und plumpst wieder runter. Und ich hatte da ja Lester dabei und der war gerade im Agro-Modus, weil da oben der Harp hier rumflattert, ein Stockwerk höher und dann ist ja die Leiter hochgeklattert und mir wieder vor die Füße gefallen. Dann direkt wieder aufgerappelt, hochgeklettert, mir vor die Füße gefallen. Dann habe ich mir drei, vier Mal angeguckt und dann dachte ich, naja, jetzt mache ich das mal und dann bin ich Lester vor die Füße gefallen. Dann haben wir uns schön abgewechselt. Also man muss dann darauf kommen, dass man da auf der höchsten Stufe noch kurz springen kann, dann kommt man da hoch, aber das ist ja ein Workaround, das ist eigentlich so nicht vorgesehen. Schlichtweg ein Bug. Man muss in dieser Quest nicht da hoch. Also es ist jetzt nicht Game Breaking, aber es ist halt doof. Und es gibt massenhaft KI-Probleme. Die Gegner fallen bei der Verfolgung von Klippen. Das hattest du vorhin schon beschrieben. Die stecken in Geometrie fest. Und solche Fehler, teilweise auch welche, die wirklich Situationen kaputt machen, wo man nochmal neu laden muss und sowas, gibt es an allen Ecken und Enden. Gothic ist ein unpoliertes Spiel.
Gunnar:
[1:52:40] Ja, ganz oft kommt man zurück zu dem Chefmagier der Wassermagier. In der Story, wenn man die Fokussteine holt, da muss man mit dem reden. Und in meinem Spiel ist es mir fast nie gelungen, den anzusprechen. Nicht, weil der das nicht wollte, sondern weil irgendwas da nicht funktioniert hat mit dem Ansprechen. Und dann habe ich immer an derselben Stelle gespeichert und geladen. Und dann komme ich direkt im Gespräch raus beim Laden. Das heißt, das Gespräch war irgendwie magisch gestartet. Ich konnte es nur nicht führen. Ich musste durch einen Speicheranladen-Umweg in dieses Gespräch kommen, damit es aktiv wird. Und Abstürze und alles Mögliche. Ich fand es jetzt keine unangenehme Spielerfahrung, jetzt, heute, mit den aktuellen Patches. Aber insgesamt sieht man dem Spiel seine Herkunft noch an. Und ich erinnere mich sehr gut, dass das damals die Hölle war. Man stirbt ja relativ viel, gerade am Anfang. Man schätzt auch mal Sachen falsch ein oder fällt irgendwo runter, dass es auch ein Spiel, das Fallschaden hat. Und wenn es in Spielen Fallschaden gibt, dann brauche ich doppelt so lange dafür, weil ich immer überall runterfalle. Und dann habe ich relativ viel gespeichert und geladen, relativ schnell. Es hat kein Quick-Safe-System, aber das ging dann relativ easy von der Hand. Aber ich weiß ja noch, wie das war damals, als man da auf einem normalen Rechner gespeichert hat. Das waren zwei Minuten.
Chris:
[1:53:54] Wird lang gedauert haben.
Gunnar:
[1:53:55] Bis so ein Speicherabdings durch war. Also generell, das brauchte super Rechner, das Spiel. Und war dann noch buggy. Heute in der schönen Zeit ist es alles nicht mehr so schlimm, aber das war damals schon ganz schön dramatische Erfahrung, das überhaupt richtig spielen zu können.
Chris:
[1:54:09] Ja, und wenn so ein Spiel in so einem Zustand auf den Markt kommt, dann ist das ja meistens ein Indiz dafür, dass bei der Entwicklung an irgendeiner Stelle Probleme aufgetaucht sein müssen. Und so ist das in Gothic schon auch. Das ist unsere Brücke, die ich uns jetzt hier baue, um über die Entstehungsgeschichte von Gothic zu sprechen, denn die ist spannend. Und wie gesagt, wir werden da jetzt auch Unterstützung haben von Leuten, die dabei waren, um die zu erzählen.
Gunnar:
[1:54:36] Also wir gehen zurück in das Jahr 1993 in den Dezember und wir sind in Bochum. Da gründen die Schulfreunde Markus Scheer und Frank Zimlinski zusammen eine Firma namens Greenwood Entertainment. Die beiden haben schon vorher in einer Spielefirma gearbeitet bei Starbite. Die waren auch in Bochum, da sind sie dann ausgestiegen, wollten ein eigenes Studio gründen, haben dann die Arts Department gegründet. Die haben sich spezialisiert auf Werbespiele, das war ja damals die große Zeit dafür. Und Greenwood Entertainment ist sozusagen die Schwesterfirma für die Entwicklung von Vollpreisspielen. Schwesterfirma zu Art Department. Der Geldgeber und der Hauptanteilseigner beider Firmen ist der damalige Branchenriese Funsoft. Zu dem gehören auch Rainbow Arts und Softgold. Greenwood setzt da an, wo auch Starbite aktiv war, nämlich Deutscher wird’s nicht bei den Wirtschaftssimulationen. Gleich die ersten beiden Titel, die sie machen, sind das Logistikspiel der Planer und der Fußballmanager Ranzocker. Und das sind durchaus Erfolge von dieser neuen Firma und so wächst die also. Und Mitte der 90er stellen sie dann jemanden ein, der für unsere Erzählung heute der wichtigste Mann sein wird. Das ist nämlich Michael Hoge, den alle nur Mike nennen.
Chris:
[1:55:54] Mike Huge ist damals Anfang 20, hat schon eine erste Erfahrung in der Spielebranche. Er hat ein Jahr lang als Grafiker bei der German Design Group gearbeitet. Das ist so ein kleines Strategiespielstudio in der Nähe von Dortmund. Dann nutzt Huge die Gelegenheit für einen längeren USA-Trip mit einem Freund und als er zurückkommt, ist die German Design Group insolvent. Also braucht er jetzt dringend einen neuen Job, denn die Ersparnisse sind für die USA-Reise draufgegangen. Und dann schaut er nach anderen Spielefirmen und findet heraus, dass in der Nähe, in Bochum, eben die Greenwood Entertainment sitzt. Und was dann passiert, das lassen wir Ihnen mal selbst erzählen. Auch deshalb, weil das schon einen ersten Eindruck davon gibt, was für ein Typ Maik Hoge ist.
Mike Hoge:
[1:56:35] Ich bin da hingefahren, habe meine Diskettenbox mitgehabt. Ich hatte ja den Job jetzt schon ein Jahr gemacht. Da habe ich ein bisschen Referenzmaterial. Bin dazu der Empfangsdame. Hab gesagt, ich bin hier für ein Vorstellungsgespräch. Und sie sagte, ich habe hier gar nichts im Kalender. Was machen wir denn da? Da rufe ich mal den Frank. Und dann kam ein Typ runter und hat gesagt, wie Vorstellungsgespräche, wir haben gar keinen Termin. Ich habe gesagt, ja, ich bin einfach so vorbeigekommen. Und er hat gesagt, na gut, wo du jetzt schon mal da bist, kommst du mit, setzt mich an den Tisch, fragt mich nach meinen Bewerbungsunterlagen. Da habe ich in die Diskettenbox über den Tisch rüber geschlittert. Und er guckte mich kurz an, hat aber dann das genommen, hat sich das angeguckt, hat gesagt, nicht schlecht, wir melden uns. Da habe ich gedacht, na ja gut, was will man erwarten. Aber zwei Wochen später haben sie sich tatsächlich gemeldet. Und er hat gesagt, komm mal vorbei, die hat einen richtigen Scheißjob für mich. Die Arbeit für jemanden, der seine Mutter erschlagen hat. Die haben damals der Planer gemacht und haben die Videoaufnahmen vermurkst. Die Menschen, die sie aufgezeichnet hatten, hatten alle so eine blaue Aura und sie wollten sie vorne in den Hintergrund packen und das störte. Also musste die blaue Aura weg und ich wollte die in jedem Frame rauspixeln.
Chris:
[1:57:36] Also ich würde sagen, dem jungen Mike Hoge mangelt es nicht an Selbstbewusstsein. Und er stellt dann auch schnell fest, dass man dieses Rauspixeln, dieser blauen Aura automatisieren kann, hat dann die auf drei Monate geplante Aufgabe in der Hälfte der Zeit erledigt und empfiehlt sich damit für die Festanstellung als Grafiker bei Greenwood. Wir haben für diese Folge Mike Ruge zusammen mit seinem Kollegen Tom Putz geinterviewt, einem weiteren Mitgründer von Piranha Bytes. Und Tom hat auch so eine hemsärmelige Geschichte, wie er zu Greenwood kam, nämlich dank seines Nebenjobs als Türsteher.
Tom Putzki:
[1:58:09] Ich habe damals eine Weiterbildung zum Mediendesigner gemacht und am Wochenende mir noch was verdient dazu. Einmal habe ich Anfänger-Computer-Kurse gegeben und zum Zweiten war ich jedes Wochenende in Bochum in verschiedenen Clubs an der Tür. Und per Zufall habe ich an der Tür der Zeche Bochum drei Leute, die bei mir durchgekommen sind, sich unterhalten hören. Und die waren alle aus einem Spiele-Unternehmen aus Bochum. Und die habe ich einfach ganz blöd angequatscht. Ich habe da eine Karte gekriegt, habe mich gemeldet und konnte mein zweimonatiges Praktikum bei den Jungs in der Firma absolvieren. Und das war Greenwood Entertainment.
Gunnar:
[1:58:54] Das sind die Wege in die Spielebranche, wie sie damals waren. Während nun Hoge und Putzki bei Greenwood unterkommen, erkennt man dort, dass ja jetzt in Zeiten der CD-ROM und der 3D-Grafik-Revolution der beginnenden neue Projekte her müssen. Und ab 1996 entstehen in Kooperation mit dem holländischen Jazz-Jack-Rabbit-Programmierer Arjan Brousset das futuristische Actionspiel Dog, die OG, und zusammen mit Holger Kuchlings Firma Independent Arts das stark von Battletech-inspirierte Mac-Spiel Metalizer. Beides in 3D-Grafik. Das hat immer noch nichts mit Rollenspielen zu tun, aber gerade in diesem Moment, wo Greenwood offen ist für neue 3D-Projekte von externen Teams, da klopft ein solches Team bei ihnen an. Und das besteht aus den drei Oldenburger Informatikstudenten Dieter Hildebrandt, Ulf Wohlers und Bert Speckels. Die nennen sich zusammen die Mad Scientists. Hildebrandt, Wohlers und Speckels sind große Fans von Computerrollenspielen, vor allen Dingen von Ultima Underworld und haben in ihrer Freizeit zusammen an einer 3D-Engine rumgeschraubt für eben so einen Dungeon-Crawler wie Ultima Underworld. Und als diese Engine ihnen vorzeigbar erscheint, da bauen sie dann eine Demo mit dem schönen Namen Finster und schicken sie 1996 an acht deutsche Publisher in der Hoffnung, dass einer von ihnen das Interesse hat, ein Spiel auf der Basis dieser Engine zu entwickeln.
Chris:
[2:00:20] Die beiden einzigen Publisher, die anbeißen, das ist Attic, also die Macher der Nordland-Trilogie in Baden-Württemberg und eben Greenwood in Bochum. Bei Attic stellt sich dann schnell heraus, dass die eigentlich gar nicht an dieser Engine interessiert sind, sondern nur an den drei Entwicklern. Die würden sie gerne anstellen, aber das wiederum wollen die drei nicht. Die wollen schon ein eigenes Rollenspiel entwickeln und dann bleibt also noch Greenwood. Und dort landet diese Finster-Demo bei Mike Hoge und Tom Putzki, die in der Zwischenzeit auch Design- und Projektleitungsaufgaben bei Greenwood übernommen haben. Greenwood besteht damals aus 15 bis 20 Leuten, die sind verteilt auf zwei große Büros, wo die Entwickler sitzen und da wachsen einem halt schnell mal neue Aufgaben zu, so nach dem Motto, hier, mach du mal dieses Projekt, schau dir das hier mal an. Und der Mike und der Tom, die sind passionierte Pen-and-Paper-Rollenspiele. Tom geht auch auf Live-Action-Role-Playing-Events. Mike ist großer Fan der Computer-Rollenspiel-Serie Ultima aus den USA. Und als Mike Kroge die Finster-Demo der Mad Scientist sieht, erkennt er zwei Dinge. Nämlich erstens die Chance, ein Rollenspiel zu machen. Und zweitens, mit dieser Engine wird es aber nichts werden.
Mike Hoge:
[2:01:31] Und Narko Shea hat dann damals gesagt, ja, wir haben jetzt hier die Jungs, die haben diese Engine da, die haben das mitgebracht, guckt euch das mal an. Und wir hatten für diese Art von Spiel keinen Game Designer. Da habe ich mich dann drauf gestürzt, da habe ich gesagt, ich mache das. Und auch natürlich null Erfahrung gehabt. Und als erstes ein fettes Rollenspiel machen. Und die Finster Engine war halt nur indoor, wie Ultima Underworld. Da konnte man durch irgendwelche Dungeons gehen. Und ich habe gedacht, das muss doch größer werden. Das muss doch eher so wie Ultima werden. Mit einer Oberwelt und 3D-Figuren. Und am besten auch gar nicht First Person, sondern Third Person. So wie Ultima. Ja, das wäre schön. So machen wir es. Jungs, wir müssen die Engine nochmal machen. Was, bist du wahnsinnig? Weißt du, wie viel Arbeit wir da reingesteckt haben? Ja, aber ich meine, überleg doch mal, was meinst du, was das für ein geiles Spiel wird? Bla, bla, bla, bla, bla. Lange Rede, kurzer Sinn. Das Spiel wurde from scratch neu entwickelt. Die komplette Engine. Ich kann das nur so erklären, dass alle Leute, die da beteiligt waren, keine Ahnung hatten, auf was sie sich einlassen. Und ja, Abfahrt.
Gunnar:
[2:02:35] In einer Hinsicht müssen wir Mikes Erinnerung widersprechen. Die Finster-Demo hatte nicht nur Dungeons, die hatte auch Außenlevels. Allerdings in diesem typischen Stil der frühen 3D-Spiele, also eine flache Welt und Wände ringsherum. Dass die Engine neu entwickelt werden muss, hat auch einfach technische Gründe. Finster ist halt noch DOS basiert und überwiegend in Pascal geschrieben, dass es beides veraltet. Der Neustart geschieht dann unter Windows 95 und C++ und vor allen Dingen mit Gleitunterstützung für die aufkommenden Voodoo-Besteunigerkarten, die Grafik-Besteunigerkarten. Bei Greenwood startet jetzt also die Entwicklung eines Rollenspiels in Kooperation mit den Mad Scientists aus Oldenburg als externem Engine-Entwickler. Das Projekt bekommt den Arbeitstitel Orpheus. Mike Hoge und die Mad Scientists werfen jetzt erstmal Ideen zusammen. Der Mike sitzt tagelang im Konferenzraum von Greenwood, malt Blätter voll mit Konzeptzeichnungen, Karten der Spielwelt, Skizzen zu Orten, Gebäuden, Gegnern. Hoge ist Fan der Ultima-Rollenspiele und insbesondere von deren Ansatz eine Spielwelt zu simulieren.
Mike Hoge:
[2:03:44] Da hat man halt eine Welt mit Charakteren, die Tagesabläufe haben, die gehen ins Bett, die arbeiten, die produzieren ihren Quatsch. Du hast Partyfreunde, die du schon aus den vorherigen Teilen kennst. Du hast irgendeine Art von Beziehung zu den Charakteren, die über einen bloßen Questgeber hinausgeht. Das fand ich daran faszinierend. Es sollte schon eine lebendige Welt werden und der Grundgedanke war schnell klar, es muss was Kleineres werden. Dimensionen wie Ultima schaffen wir nicht. Es muss eine beschränkte Welt sein.
Gunnar:
[2:04:14] Sehr früh entsteht so die Idee einer offenen, aber von einer barriereumschlossenen Spielwelt. Und die ersten Skizzen dieser Welt enthalten bereits Elemente des späteren Gothic. Ein zentrales Lager in der Mitte, im Westen davon Minen und ein Söldnerlager und im Osten der Psi-Tempel einer Sekte. Doch kurz vor dem Projektstart passiert etwas Unerwartetes, denn Greenwood löst sich auf.
Chris:
[2:04:39] Tja, wir hatten vorhin erwähnt, dass der Mehrheitseigner von Greenwood Entertainment die Funsoft-Gruppe war. Und die sehen im Jahr 1997 keine Zukunft mehr in Greenwood und wollen ihren 60%-Anteil abstoßen. Und so kommt es zum sogenannten Management-Buyout. Also die Gründer Markus Scheer und Frank Zimlinski kaufen ihre Anteile zurück. Aber aus rechtlichen Gründen, so hat uns das zumindest Tom Putzki geschildert, darf die Firma in der Form nicht weiter bestehen. Greenwood wird im Sommer 1997 mit der nach wie vor existierenden Werbespielfirma The Art Department verschmolzen und geht in The Art Department auf. Die Entwicklung von Vollpreisspielen ist damit gestorben und also nominell auch Mike Hoges Rollenspielprojekt. Quasi schon wieder tot, bevor es so richtig begonnen hat. Aber es gibt da noch einen Lichtblick, denn Markus Scheer, der Geschäftsführer von Greenwood und The Art Department, der ist bereit, Nachfolgefirmen zu finanzieren. Und so gründen sich aus dem ehemaligen Greenwood heraus neue Firmen, eine Werbeagentur namens Better Day Communications, ein Lokalisierungsstudio namens Effective Media und es finden sich vier Greenwood-Leute zusammen, die bereit sind, das Rollenspielprojekt auf eigene Rechnung weiterzuführen.
Mike Hoge:
[2:05:55] Da wir da mit mehreren Leuten mehr oder weniger auf der Straße standen und uns überlegen mussten, was wir als nächstes machen und dann auch noch ein paar gute Leute am Start hatten, die zeitgleich auf Arbeitssuche waren. Und ich jetzt zum zweiten Mal mitbekommen habe, wie in halb kürzester Zeit eine Firma pleite geht, da habe ich mir zumindest für meinen Teil gedacht, Firma pleite gehen lassen und das Ganze selber. Und dann haben wir uns zu vier zusammengeschlossen, die zu fünft. Der Tom Putzki, meine Wenigkeit, Stefan Juhl und Alex Brüggemann und Markus Schärmer als Stiller, Teilhaber, der Geschäftsführer von Wienboot. Der hat uns da ein bisschen Startkapital gegeben, ein bisschen viel sogar. Ich glaube, das waren so größere Orten, zwei, drei hunderttausend. Die hat er da reingesteckt und wir haben gesagt, wir machen jetzt das Spiel.
Gunnar:
[2:06:35] Wer sind die anderen Gründer? Der Alexander Brüggemann war wie Mike Hoge einer der Grafiker von Greenwood. Stefan Newell war als Projektleiter zu Greenwood gestoßen und arbeitete zusammen mit Hoge und Brüggemann am Actionspiel D.O.G. Tom Putzki haben wir schon erwähnt, der war ursprünglich auch Grafiker, hat aber zu der Zeit das Metalizer-Spiel betreut, das Mech-Spiel. Und diese vier finden sich, wie sich Mike und Tom erinnern, in erster Linie durch die Verwerfungen bei Greenwood auf diesem Projekt zusammen.
Mike Hoge:
[2:07:07] Wir waren Kollegen, wir waren schon gute Kollegen. Man hat sich auch mal irgendwie in Bochum getroffen oder so, aber so eine richtige enge Freundschaft hatten wir nicht auf jeden Fall. Wir waren in erster Linie Arbeitskollegen.
Tom Putzki:
[2:07:18] Stimmt, aber ich würde schon sagen, dass beim einen oder anderen dahinter eine Freundschaft bei rauskam.
Mike Hoge:
[2:07:23] Ja, na klar. Das auf jeden Fall. Zu der Zeit waren.
Tom Putzki:
[2:07:26] Wir gute Kollegen.
Gunnar:
[2:07:27] Am 1.10.1997 gründen dann also Hoge, Putzky, Brüggemann und Nihul die Piranha Bytes GmbH. Stefan Nihul wird Geschäftsführer. Und was ist mit den drei Mad Scientists, die ja die Engine entwickeln? Die sitzen nach wie vor in Oldenburg, die wollen unabhängig bleiben. Sie sind Teil der siebenköpfigen Startmannschaft, gehören aber nicht zu Piranha Bytes. Und de facto sind die drei auch zu dem Zeitpunkt alle noch Studenten. Die entscheiden sich dann aber, ihr Studium für zwei Jahre zu pausieren, um dieses Spiel zu machen, denn damals gingen ja alle von zwei Jahren Entwicklungszeit aus.
Chris:
[2:08:02] Ja, das wird dann nicht reichen. Die Entscheidung, in eine Rollenspielproduktion zu investieren, erklärt sich teils durch die persönliche Affinität der Beteiligten zum Genre und teils dadurch, dass man mit den Mad Scientists halt schon ein Engine-Team an der Hand hat. Aber die folgt auch einem gewissen strategischen Kalkül, denn in den Jahren 1996, 1997, wo das hier losgeht, da herrscht ja im Spielemarkt die Rollenspielflaute. Das ist ja noch vor dem Revival des Genres durch Baldur’s Gate, das kommt dann erst 1998.
Chris:
[2:08:37] Insbesondere auch die einst große Ultima-Serie schwächelt, die hatte 1994 ja den achten Serienteil rausgebracht, der war eine Enttäuschung und Teil 9 lässt noch lange auf sich warten zu der Zeit. Stattdessen ist das Spiel, das gerade für Furore sorgt im Markt, Diablo, das 96 rausgekommen ist. Das ist ja dieses düstere, stimmungsvolle Low-Fantasy-Action-Rollenspiel. Und Maikunke und Co. sehen da eine Marktschance für ein Ultima-artiges Rollenspiel, aber geerdeter und vor allen Dingen umgesetzt in zeitgemäßer 3D-Grafik. Man kann das vorausschauend nennen, man kann es vielleicht auch blauäugig nennen, denn die vier Gründer werden früher oder später einen Publisher brauchen, der ihnen die weitere Entwicklung finanziert. Die 300.000 Mark von Marcus Scherr sind dann Startkapital, aber davon kann man kein großes Rollenspiel machen. Und im Jahr 97, 98, als die Entwicklung so richtig losgeht, da interessiert sich kaum ein Publisher für Rollenspiele, wie das Team dann auch bald feststellen wird.
Gunnar:
[2:09:38] Aber erstmal, wie sieht es denn da aus? Der Markus Scheer organisiert für die ganzen neuen Firmen, die aus der Greenwood entstehen, ein gemeinsames Büro in einem ehemaligen Friseursalon in der Nähe des Bochumer Stadtparks. Da bekommen die vier Piranhas ein 25 Quadratmeter Zimmer und teilen sich den Rest der Räume mit den anderen Nachfolgefirmen der Greenwood. Was sich als ganz praktisch erweist, man braucht jetzt also keine eigene Buchhaltung oder so, das macht alles der Scheer zentral. Und wenn sie nicht im Büro sitzen, die vier, dann sitzen sie im Bochumer Kneipenviertel Bermuda-Dreieck, im legendären Lokal Mandragora und hacken Ideen für ihr Spiel aus. Was da entsteht, ist eine gemeinsame Vorstellung von dem, was Orpheus, was dann ja bald in Gothic umbenannt wird, werden soll. So ein Leitbild, die machen jetzt die ersten Grundregeln für das Design. Und das zeigt sich ganz gut am Beispiel der Verfolgerperspektive. Die ist im Jahr 97, als das Konzept für das Spiel entsteht, für Rollenspiele ja total ungewöhnlich. Erst 96 hat Tomb Raider diese Kameraperspektive überhaupt erst salonfähig gemacht. Warum wählt das Team diese Ansicht und warum ist das wichtig? Das beschreiben Mike Hoge und Tom Putzki in unserem Gespräch folgendermaßen.
Mike Hoge:
[2:10:52] Also du solltest auf jeden Fall was mit dem Kampfsystem zu tun gehabt haben, dass wir ein Kampfsystem hinkriegen, wo du irgendwie mit Schwertern kämpfen kannst und das war, glaube ich, vielversprechender, einen Third-Person umzusetzen.
Tom Putzki:
[2:11:02] Ich kann mich noch ganz gut daran erinnern, dass uns immer, vor allem dir, extrem wichtig war, das Visivik-Prinzip umzusetzen. What you see is what you get. Dass das so eine Vision war, die sich durchgezogen hat. Und das kannst du am besten darstellen, indem du die ganze Zeit deine Figur im Blick hast, indem du siehst, was sie macht.
Mike Hoge:
[2:11:24] Stimmt. Es ging ja auch darum, die Kleidung der Figur sollte eine Rolle spielen. Man sollte sehen, wie man stärker wird. Idealerweise hätten wir die Figur noch ein bisschen breiter skaliert, wenn man mehr Stärke kriegt und so. Also da gab es einige lustige Ideen, die es nicht alle ins Spiel geschafft haben.
Tom Putzki:
[2:11:40] Das war ganz entscheidend für uns. Wir wollten dem Spieler klarmachen, guck auf alles, dann weißt du, worum es geht. Am Anfang bist du eine Pünte und kannst nichts. Und so siehst du auch aus. Du hast nur Lumpen an. Wir wollten, dass du sehen konntest, wie du besser wirst mit dem Schwert, wie du andere Animationen hast. Wir wollten, dass du den Fortschritt siehst.
Mike Hoge:
[2:12:05] Ja.
Gunnar:
[2:12:06] Und dieses Prinzip, so viele Dinge wie möglich direkt in der Spielwelt zu zeigen, statt in einem Interface, das ist einer der wichtigsten Grundpfeiler für das Design von Gothic.
Chris:
[2:12:17] Ein anderer Grundpfeiler ist die Atmosphäre der Spielwelt. Wie Ultima soll das hier keine High Fantasy werden, also keine Tolkien-Welt mit Elfen, Zwergen und irgendeiner ausgefeilten Mythologie, sondern bodenständig und glaubwürdig, jetzt nicht unbedingt Dark Fantasy wie Diablo, aber doch irgendwie rau. Der Ton von Gothic wird heutzutage gern damit erklärt, dass das Spiel im Ruhrpott entstanden ist. Und da ist schon was dran, sagt Tom.
Tom Putzki:
[2:12:44] Wir wollten ja keine nette, freundliche Blümchen- und Bienchen-Fantasy-Welt schaffen. Das war eben von vornherein klar. Wir wollten etwas hinkriegen. Da hat der Ruhrpott natürlich auch stark unterstützt, was eben offen, ehrlich aufs Maul ist. Also ich bin in Gelsenkirchen geboren. Ich habe meine Kindheit und Jugend damit verbracht, wie heißt es so schön im Pott, Brikett zu Eierkohlen rumzulutschen und Heizöl zu zersägen. Und der Menschenschlag im Ruhrpott ist schon durchaus was Spezielles. Vielen Dank. Man trägt das Herz ein bisschen auf der Zunge. Du kannst dich sehr schnell unbeliebt machen. Auf der anderen Seite, wenn du ein cooler Dude bist, dann kannst du auch eine richtig gute Zeit haben. Die Menschen sind in der Regel nicht hintenrum, sondern sie sagen offen und ehrlich, dass ihnen deine Fresse nicht passt.
Chris:
[2:13:33] Also gut möglich, dass der Ruhrpott-Stil ins Spiel einsickert. Aber für Mike Hure geht es bei der Tonalität von Gothic im Kern um was anderes.
Mike Hoge:
[2:13:43] Es ging um Klausibilität. Es ging einfach darum, eine lebendige Welt zu erschaffen. Eine, die ich glaube. Wenn ich als Designer mir das vorstelle, du gehst durch das Spiel und einer sagt zu mir, ach eure Durchlauchtigkeit, die Elfen und die Zwerge sind sich graben, dann kann ich nicht so einsteigen. Zieht mich nicht so rein wie, hör mal, wenn du jetzt hier zum falschen Lager gehst, dann kriegst du was aufs Maul. Das ist eine andere Ansage und eine direktere Beziehung und eine modernere Sprache auch. Und da haben wir drauf gezielt. Wir wollten so ein bisschen weg von diesem Verstaubten. Wir wollten was machen, was ein bisschen frischer ist, was ein bisschen Greifbares ist, was die Leute mehr abholt. Glaube ich, so für mich.
Gunnar:
[2:14:25] Klar ist aber auch, alleine können die vier Piranhas und die drei Mad Scientists ein so ambitioniertes Projekt nicht stemmen. Das Team muss jetzt größer werden. Und anfangs holen sie sich dann vor allen Dingen erstmal Freiberufler dazu, zum Beispiel den Illustrator Ralf Marcinczek. Der macht dann zwei Monate lang hunderte von Konzeptzeichnungen und hilft dadurch, der Spielwelt und den Inhalten eine erste Form zu geben. Aber spätestens als die neue Engine, die bei den Mad Scientists entsteht Und die Zen-Gin heißt, als die weit genug ist, um mit dem Bau der 3D-Welt zu beginnen, da müssen Level-Designer her und Modeler. Und das, erzählt Mike Hoge, sind oft genug junge Leute, die den Einstieg in die Spielebranche suchen und bereit sind, dafür auch Kompromisse zu machen.
Mike Hoge:
[2:15:09] Wir wollten ja auch wachsen, wir brauchten ja neue Leute, das ist ja ein Riesenunternehmen, das stellt ja mal so eine Welt hin. Zu der Zeit, das darf man ja nicht vergessen, gibt es keine Ausbildung zum Spieleentwickler oder irgendwas in der Art, das sind alles Quereinsteiger. Das war der wilde Westen, der ehemalige Bergmann bei Greenwood, da gab es doch den ehemaligen, Versicherungskaufmann und den ehemaligen Banker, den ehemaligen Feuerwehrmann und ich weiß nicht was und alle fangen da an, lustig Computerspiele zusammen zu machen und dementsprechend hatten wir dann ein paar Leute bei uns auf der Matte stehen, die gesagt haben, hey, wir wollen bei euch mitmachen. Und denen haben wir dann gesagt, naja, also wir haben schon ein bisschen Geld, aber wir machen das jetzt so, wir verzichten auf unser Gehalt. Ich habe zu der Zeit meiner Frau auf der Tasche gelegen, die ist Kellnerin gewesen, haben wir zu zweit von dem Kellnerinnen Gehalt uns irgendwie durchgeschlagen und haben mit dem Geld die Leute bezahlt, die wir brauchen. Aber dafür hat es auch nicht gereicht. Also haben wir denen gesagt, hör mal zu, ich mache dir einen Deal, du kriegst die Hälfte. Und wenn es gut läuft, dann kriegst du den Rest. Lässt du dich darauf ein. Und wir haben es gemacht. Und so kamen dann die ersten Leute für halbes Gehalt zu Piranha Bytes.
Chris:
[2:16:16] Einer dieser jungen Leute, die zu Piranha Bytes stoßen, ist der damals 17-jährige Kai Rosenkranz. Kai wird dann vor allem für Sound und Musik zuständig sein, aber macht auch diverse andere Sachen, also vor allem auch die Gestaltung von Partikeleffekten. Und wir haben auch mit Kai gesprochen. Er schildert die Anfangszeit von Gothic so.
Kai Rosenkranz:
[2:16:38] Also erstmal besteht das Spiel zum größten Teil in den frühen Phasen aus ordnerweise Konzeptzeichnung. Konzeptzeichnung, Storydokumenten und einer Welt, die quasi im Kopf entsteht. Und in dieser Welt kann man auch schon erstaunlich viel machen. Mit diesem gemeinsamen Bild im Kopf, wenn es denn gut zusammenpasst. Und das hat Mike auch, finde ich, sehr gut im Griff gehabt, dass er die Visionen immer wieder homogenisiert hat im Team, dass alle die gleiche Vorstellung hatten. Da kann man schon wirklich viel gestalten, gestalterische und designtechnische Dinge auch machen und viele Fragen klären. Und dann, ungefähr 1998, gab es aber auch schon dann die Version des Engine, also die Engine, die die Mad Scientist entwickelt haben, in der man schon rumlaufen konnte. Ich erinnere mich, dass ich sehr früh beim Tom Putzki auf dem Rechner schon in einem Gothic-Testlevel rumgelaufen bin. Das war wirklich ein ganz einfacher Level, der hatte noch nichts mit der Welt von Gothic zu tun, taucht auch in Gothic nicht auf. Aber es ist halt ein Level gewesen mit einer Boulder-Wand, mit unterschiedlichen Höhen, um zu gucken, wo man hochklettern kann, wo man nicht hochklettern kann. Einen kleinen Pool zum Schwimmen und ganz viele Targets, die man versuchen kann zu treffen. Das war so ein reiner Mechanik-Test-Level. Und die Grundästhetik, wie das Spiel hinterher wirkt, war zu dem Zeitpunkt da schon spürbar.
Gunnar:
[2:17:52] Von da an ist es noch ein weiter Weg bis zum fertigen Spiel. Und um den gehen zu können und die Mitarbeiter dabei ordentlich bezahlen zu können, da muss ein Geldgeber her, ein Publisher. Anfang 1998 geht Tom Putzki deshalb auf Tour. Erstmal zur Spielepresse, um Gothic überhaupt anzukündigen und erste Berichterstattung zu erwirken. Dann zu so vielen Publishern wie möglich, um das Projekt dort an den Mann zu bringen. Und darunter sind alle großen Namen der Zeit. Von Electronic Arts bis Activision, von Eidos bis Microprose. Aber, wie vorhin angedeutet, das Interesse ist überschaubar. Zum geringen Interesse an Rollenspielen kommen auch noch Vorbehalte angesichts der Tatsache, dass das Thema noch sehr jung und unerfahren ist. Und am Ende hat Piranha Bytes dann einfach Glück.
Tom Putzki:
[2:18:37] Letztlich ist dann im Februar 99 ein Publisher tatsächlich kleben geblieben. Das war Egmont Interactive, die frisch gegründete Interaktivabteilung des Egmont e Harper Comic Verlages.
Mike Hoge:
[2:18:51] Wir hatten 70, 80 Prozent Marktanteil an Comics, was damals lief, konnten nicht mehr wachsen und wussten nicht, wohin mit ihrem Geld. Da sind sie ausgerechnet zu uns gekommen.
Chris:
[2:19:01] Und ihr habt nicht Nein dazu gesagt?
Tom Putzki:
[2:19:03] Nö. Und wir haben auch ein paar große Kisten von Comics gekriegt.
Gunnar:
[2:19:08] Im Februar 1999 wird der Vertrag unterschrieben, da ist Gothic seit rund anderthalb Jahren in der Entwicklung. Angepeilter Erscheinungstermin, ein gutes Dreivierteljahr später, Ende 1999.
Chris:
[2:19:20] Mit dem Vertrag mit Egmont kommt jetzt Geld rein. Damit können dann allen Mitarbeitern erstmal nachträglich die vollen Gehälter ausbezahlt werden. Und wir sagen hier Mitarbeiter in der männlichen Form, denn wir reden hier nur von Männern. Piranha Bytes stellt dann weitere Leute ein und zieht in größere Büros in Bochum um. An dem Spiel wird jetzt fortlaufend gearbeitet und zwar überwiegend zum einen in dem 3D-Editor für die Spielwelt, in 3D-Modellierungssoftware und in Textdateien, wie Kai Rosenkrantz erzählt.
Kai Rosenkranz:
[2:19:50] Es gab dann den Zengin-Editor, der hieß Spacer. Der Spacer ist aber in erster Linie nur das Weltbautool. Da ist jetzt keine Game-Logik oder sowas, keine KI drin konfiguriert worden, sondern man hat die 3D-Welt eingeladen und hat dann die Möglichkeit gehabt, das Waynet, also das Navigationsnetz an Wegpunkten über die Welt zu verteilen, Objekte zu platzieren. Ich habe diesen Spacer auch benutzt, um zum Beispiel die Musikzonen einzuzeichnen. Wo endet das alte Lager? Wo beginnt die Außenwelt? Welche Soundeffekte sollen wo sein? Da kann man die Soundeffekte so in die Welt pflanzen. Das findet alles im Spacer statt. Die eigentliche Spiellogik, die Story, die KI, das ganze Thema Steuerung des Spiels ist komplett in Skripte ausgelagert gewesen. Das waren also reine Textdateien, wo dann quasi in so einer kleinen Skriptsprache oder Programmiersprache die Spiellogik definiert wurde.
Chris:
[2:20:43] Neben dem Vertrag mit Egmont passiert im Jahr 1999 aber noch was anderes. Markus Scheer, der ehemalige Greenwood-Geschäftsführer und ja stiller Anteilseigner bei Piranha Bytes, der führt diese ganzen Greenwood-Nachfolgerfirmen wieder in einer neuen Einheit zusammen, nämlich der Phenomedia AG. AG deswegen, weil er die an die Börse bringt. Im November 1999, das ist ja damals die Zeit, wo der neue Markt boomt Und da kommt Phenomedia dann auch hin. Für Piranha Bytes und Gothic ändert sich dadurch eigentlich nichts. Diese ganze Phenomedia-Geschichte wird erst später relevant werden, als die Firma dann spektakulär pleite geht im Jahr 2002 und in der Folge dann Piranha Bytes selbstständig wird. Aber das ist eine Geschichte, die hat wie gesagt mit dem ersten Gothic noch nichts zu tun und deswegen erzählen wir dir jetzt an dieser Stelle auch nicht weiter.
Gunnar:
[2:21:36] Die Finanzierung für das Projekt Gothic kommt ja auch vom Publisher, also von Egmont Interactive. Und dadurch kann Piranha Bytes erstmal ganz entspannt weiterarbeiten. Die Engine wird derweil von den MedScientists immer weiter ausgebaut. Die ziehen von Oldenburg in eine Arbeits-WG in Bochum um. Und im Kernteam bei Piranha Bytes hat man Zeit, entlang der Design-Grundprinzipien zu experimentieren.
Kai Rosenkranz:
[2:22:01] Also über die Jahre hinweg hat man schon gemerkt, das ganze Projekt ist jetzt sehr darauf ausgelegt, eine gewisse Vision zu erreichen.
Kai Rosenkranz:
[2:22:11] Dementsprechend, wenn wir jetzt Sachen eingebaut haben, die nicht dieser Vision entsprechen oder die sich dann, wenn man sie tatsächlich in der Hand hat und man darin rumläuft und es spüren kann, als nicht passend herausstellen, dann haben wir gesagt, okay, wir müssen es ändern.
Kai Rosenkranz:
[2:22:26] Zum Beispiel das erste Dialogsystem, wo der Spieler nur einen Daumen hoch und runter steuern konnte. Also sprich, die NPCs haben ja Nein-Fragen gestellt, weil Mikes Ziel war, das komplette UI so zu entschlacken, dass man wirklich komplett eintauchen kann in dieses Spiel. Also Immersion stand über allem. Und alles, was irgendwie kompliziert ist mit Multiple-Choice-Dialogen, sollte halt so weit runtergebrochen sein, dass man wirklich nur quasi Daumen hoch, Daumen runter machen konnte. Auch sowas wie Hitpoints-Anzeigen und so weiter waren einfach nur so kleine Herzchen anstelle von Lebensbalken. Es war also noch viel reduziert, auch vom UI her. Dann haben wir aber festgestellt, dass uns das als narratives Element nicht ausreicht. Also wir schaffen es nicht, die Charaktere so zu präsentieren, wie wir sie präsentieren wollen und auch die Story so vielschichtig und auch durch den Spieler gestaltbar voranzutreiben, wenn der Spieler einfach immer nur so Ja-Nein-Fragen beantworten muss. Deswegen ist dieses Dialogsystem dann weggeschmissen worden und eben durch ein Multiple-Choice-Dialogsystem ersetzt worden. Die ganze Entwicklung entlang ging es immer so voran, dass wir was gebaut haben, dann haben wir es getestet, haben dann bewertet, passt es zur Vision, entspricht es dem, was wir erreichen wollen? Und wenn nicht, haben wir es entweder weggeschmissen oder umgeändert und eine neue Iteration gemacht. Immer in diesem Ausprobieren, Evaluieren, Neumachen-Modus. Und das kann man sich eine ganze Weile gut leisten, Aber irgendwann muss man halt auch den Deckel auf den Topf kriegen.
Chris:
[2:23:51] Tja, aber den Deckel auf den Topf zu kriegen, das ist ein Problem. Denn Ende 99, du hast es vorhin gesagt, sollte Gothic ja eigentlich fertig sein, nach zwei Jahren Entwicklungszeit. Aber Egmont stellt bald fest, davon kann keine Rede sein.
Mike Hoge:
[2:24:07] Die wollten natürlich irgendwie kontrollieren, dass wir auch vorankommen bei der Kohle, die sie uns geben. Also haben wir einen Milestone-Plan gemacht, der auf zwei Jahre passte und sich gut las. Es stellt sich raus, wir brauchen länger.
Tom Putzki:
[2:24:19] Es stellt sich mehr als einmal raus, wir brauchen länger.
Mike Hoge:
[2:24:22] Aber die Philosophie war damals, wie gegen einigen Leuten der Arsch auf den Grundeis. Wir können nicht liefern, wirklich. Und dann habe ich gesagt, halt, stopp, warte mal. Jetzt haben die schon, ich weiß nicht genau, wie viel reingesteckt. Eine Million pro Jahr ungefähr. Zwei Millionen sollten es werden für zwei Jahre. So die Größenordnung ungefähr auf jeden Fall. Die genauen Zahlen weiß ich jetzt wirklich nicht mehr. Aber so ungefähr. Und dann hast du zwei Millionen reingesteckt und dann kommt jemand und sagt, die brauchen noch ein halbes Jahr, dann kannst du entweder zwei Millionen im Klo runterspülen und auch noch eine halbe drauflegen. Aber ich habe mich eigentlich entspannt. Ich habe gedacht, das machen die schon. Haben sie auch gemacht. Und dann ein halbes Jahr später, wo ist unser Spiel? Ja, wir sind schon echt einiges weiter, aber wir brauchen noch ein halbes Jahr. Die Logik greift wieder und wir kriegen das halbe Jahr. Und dann wurde es eng. Dann wurden sie dann doch ein bisschen knatschig und dann musste es dann vier Monate fertig werden. In drei Jahren, vier Monaten, dann wird es dann aus dem Boden gestampft, das Ding.
Chris:
[2:25:16] Das klingt jetzt ziemlich abgeklärt, aber Maik und Tom haben in unserem Gespräch beteuert, dass da jetzt keine Absicht dahinter steckte, sondern dass das einfach Unerfahrenheit gewesen sei. Sie hätten sich in ihrer Ambition überschätzt und Zeit verloren mit der Entwicklung von Systemen, die sie dann wieder verworfen haben. Da war zum Beispiel längere Zeit ein Multiplayer-Modus in Arbeit. Den haben sie mehr als ein Jahr lang mitgeschleppt, bevor der dann aufgegeben wurde. Das Team wird dann auch davon überrascht, dass Ende der 90er Jahre die Ära der Voodoo-3D-Beschleuniger-Karten abrupt endet. Die CENGEN ist zu dem Zeitpunkt ausschließlich auf die Gleitschnittstelle gebaut, also auf Voodoo-Unterstützung, und muss jetzt auf DirectX umgestrickt werden, was auch nicht ganz einfach ist. Und das Team hält zu lange an Design-Elementen fest, die dann in letzter Minute doch noch geändert werden müssen.
Tom Putzki:
[2:26:07] Wir waren ja bis kurz vor Schluss der festen Überzeugung, dass unsere Steuerung mit zehn Tasten ohne Maus das Tollste wäre, bis der Rest der kleinen Menschheit gerade in Form von uns zugeneigten Journalisten uns klargemacht hat, sagt mal Leute, meint ihr nicht, dass ihr vielleicht so eine Steuerung nehmen solltet, wie der Rest der Welt sie erwartet und erhofft?
Mike Hoge:
[2:26:33] Der Rest der Menschheit.
Tom Putzki:
[2:26:36] Wann war das so? Ich würde sagen, weniger als ein halbes Jahr vor Release.
Mike Hoge:
[2:26:41] Das habe ich verbockt. Das ist meine größte Designsünde. Zu glauben, dass es so etwas wie ein gewohntes Interface nicht gibt, Die Leute machen das dann schon so, wie man sich das ausgedacht hat. Das ist ja ein tolles Konzept. Es war eine Esellei, die habe ich verbockt.
Tom Putzki:
[2:26:57] Wir waren alle davon überzeugt. Ich meine, ich konnte das auf den Tasten spielen wie sonst was. Man hat es ja auch nur mindestens eine Million Mal gemacht. Aber die Welt hatte recht.
Gunnar:
[2:27:08] Ende 2000 bekommt Piranha Bytes dann von Eggman Interactive, die sich zwischenzeitlich mit dem Hamburger Vertrieb DTP Entertainment zusammengetan haben, richtig die Pistole auf die Brust gesetzt. Jetzt noch vier Monate, dann muss das Spiel fertig sein. Und erst jetzt passiert bei Piranha Bytes das, was eigentlich schon länger hätte gemacht werden müssen. Die streichen das Spiel auf ein machbares Maß zusammen.
Mike Hoge:
[2:27:32] Als wir gemerkt haben, wir schaffen den ersten Release-Termin, den wir uns vorgenommen haben, nicht, haben wir gesagt, es gibt nichts. Ich habe das auch vehement verteidigt. Ich wollte ja dieses Spiel machen und war halt auch ein paar Jährchen jünger. Und ich habe das auch überhaupt gar nicht eingesehen, warum wir jetzt irgendwie Features weggelassen werden sollten. und das gehört auch alles jetzt gefälligst in das Spiel. Und als wir das dann hinterher eingetütet haben, da sind wir mit der Kettensäge dran gegangen, haben gesagt, okay, alles klar, jetzt mal Butter bei der Fische, was fliegt jetzt und was nicht.
Gunnar:
[2:27:58] Und dann entsteht der Großteil von Gothic, also zumindest der Großteil der Inhalte des Spiels, auf den letzten Metern der Entwicklung.
Mike Hoge:
[2:28:05] Ich will jetzt nicht übertreiben, aber gefühlt war es so, dass wir 80 Prozent des Contents in den letzten vier Monaten gemacht haben. Wir haben eigentlich nur die Systeme entwickelt, die ganze Zeit. Und dann haben wir uns auf den Arsch gesetzt zu gut Deutsch und haben das da reingeprügelt den ganzen Content. Die Pläne gab es natürlich, es gab die Charaktere es gab das Kampfsystem, aber noch nicht alle Monster hatten Animationen und waren richtig eingestellt die Kampf-KI musste dann auch noch irgendwie eingestellt werden und getestet werden wir hatten halt ein paar Kreaturen fertig, dass uns da irgendwie weiß ich nicht, fünf gehabt haben und den Rest haben wir dann in den letzten vier Monaten hochgezogen.
Chris:
[2:28:44] Dass die ganzen Entscheidungen erst so spät getroffen wurden, das liegt laut Mike Hoge auch daran, dass alle im Team chronisch überarbeitet waren und so tief drinsteckten im Tagesgeschäft, dass der Blick fürs Ganze irgendwie verloren gegangen ist. Und das wurde am Ende dann noch schlimmer, als der Quatsch dazu kam.
Mike Hoge:
[2:29:04] Wir haben ja Überstunden gekloppt, auch wie die Blöden. Wir mussten ja die ganze Engine from scratch entwickeln, alle Systeme entwickeln und so weiter, etc. Der Matthias Filler, Kollege von mir aus der Zeit, auch heute noch ein guter Freund, von dem kommt der Spruch zu der Zeit, ich atme Gothic. Wirklich, und das ist jetzt keine Übertreibung, mehr als 80 Stunden Wochen gemacht haben. Wir haben aus Spitzenzeiten 110, 120 Stunden Wochen gemacht. Wir sind wirklich nur arbeiten gegangen, nach Hause, essen, eine halbe Stunde auf der Couch, noch ein bisschen quatschen, Pennen, nächsten Tag wieder arbeiten. Das war ein Phänomen, wieder in die Welt rauszugehen, nach der Entwicklung dieses Spieles, durchs Bochumer Bermuda-Dreieck und mehr als dieselben 20 Menschen zu sehen. Das war überwältigend. Das war wie ein Besuch auf einem anderen Planeten für mich. Wahnsinn. Also man ist halt im Modus und dann passiert sowas.
Tom Putzki:
[2:29:55] Du warst so dermaßen in diesem Ding drin, in diesem viel zu großen, umfangreichen Werk, dass du wirklich nicht unbedingt immer klar denken konntest.
Chris:
[2:30:07] Auch Kai Rosenkranz erinnert sich an die Endphase als anstrengende, aber irgendwie auch spannende Zeit.
Kai Rosenkranz:
[2:30:13] Meine Haltung und mein Mindset war, wenn das erforderlich ist fürs Team und für das Projekt, dann arbeite ich hier halt auch ein paar Nächte durch und schlafe zwei Stündchen. Dann habe ich noch auf Pappkartons geschlafen unterm Schreibtisch und habe dann weitergearbeitet. Diese reflektierte Haltung gegenüber dem Thema Crunch ist bei mir erst viel später gekommen. Zu dem Zeitpunkt fand ich das einfach ein unglaublich faszinierendes Abenteuer. Das hat sich auch irgendwie cool angefühlt.
Gunnar:
[2:30:39] Kreativität und Qualität brauchen auch Zeit, sagt der Hoge. Man kann das halt nicht übers Knie brechen und mit manchen Ideen muss man eine Weile schwanger gehen, die müssen halt reifen. Piranha Bytes hätte Gothic nach Mikes Ansicht vielleicht effizienter und mit weniger Crunch entwickeln können, aber nicht unbedingt schneller, zumal sie ja noch diese parallele Engine-Entwicklung hatten. Dass das Spiel am Ende dann in diesen vier Monaten magisch schnell zusammenkommt, das klappt auch deswegen, weil die ganze Vorarbeit ja geleistet war und die Vision des Spiels, die Idee, wie es werden sollte, deutlich war. Und so erscheint Gothic am 15. März 2001 als Debütwerk von Piranha Bytes aus Bochum. Und wie zufrieden ist Mike Hoge mit dem Ergebnis?
Mike Hoge:
[2:31:25] Es gibt viele Sachen, die ich gerne noch verbessert hätte. Unterm Strich ist es aber für das, was es ist, finde ich gut. Das wurde ein bisschen gebasht wegen der Bugs und so. Ja, okay, ich bin schon zufrieden damit. Der größte Manko aus meiner Sicht an dem Titel ist, dass die Storydichte nach dem ersten Kapitel so hart abnimmt. Das ist einfach dann klar der Beschneidung zu schulden. Da hätte ich gerne noch ein bisschen mehr gesehen. Aber generell finde ich es schon ganz gut.
Chris:
[2:31:57] Das ist, glaube ich, ein bisschen Understatement. Und in der deutschen Presse kommt Gothic sehr gut an. Die Wertungen gehen da von 85 in der PC Games bis zu 90 bei PC Action und 4 Players. Die GameStar vergibt 88 Punkte. Du hattest auch gesagt, der GameStar-Test ist ja von Peter. Und dann habe ich mich schon gefragt, hat er sich wieder darüber beklagt, dass die Welt nicht bunt genug ist? Wir hatten das zuletzt bei Max Payne und Deus Ex. Dann habe ich seinen Meinungskasten gelesen und gesehen, ach nee, kein Wort davon da drin. Aber es gibt noch einen zweiten Meinungskasten in dem Test, der ist von Jörg. Und da steht es, Zitat, die Landschaft ist zwar gut gelungen, aber etwas farbarm. Und da war meine Welt wieder in Ordnung. Zum Glück, die Gamester hat sich über die mangelnde Farbigkeit beschwert.
Gunnar:
[2:32:45] Das ist das Lied, das sie immer gesungen haben, ey, meine Herren.
Chris:
[2:32:48] Mir war das nicht bewusst, Gunnar, wir waren doch da dabei damals. Haben wir echte Spiele so darauf abgeklopft, geklopft, ob die farbig sind oder nicht. Also mir scheint das jetzt eher ein Zufall zu sein, aber ich fand es echt amüsant.
Gunnar:
[2:32:59] Nee, das war eine Fraktion, da war ganz stark Jörg dabei, der ja auch geprägt ist durch die klatschbunten Ultimas. Und Peter und Mick und du, hätte ich jetzt gedacht.
Chris:
[2:33:10] So, ja.
Gunnar:
[2:33:11] Und ich und Rüdiger und glaub noch irgendwer, wir waren für braune Spiele aus Russland.
Chris:
[2:33:18] Wir waren die Fraktion Matsch.
Gunnar:
[2:33:19] Ja, wir waren die Fraktion Dunkelheit und Matsch, genau. Aber die andere Fraktion war deutlich einflussreicher und deswegen kam das in jedem Test vor. Also das war wirklich wie so eine Marotte. Mich hat das auch genervt, weil ich das unfair fand gegenüber vielen Spielen. Weil die ja waren ja künstlerische Projekte, die ja mit Absicht so gemacht worden sind und dann kommt so ein Redakteur und sagt, das ist immer zu braun.
Chris:
[2:33:39] Also wir hatten es jetzt dreimal in kurzer Folge, das kann eigentlich kaum noch Zufall sein.
Gunnar:
[2:33:42] Nee, das zieht sich durch die ganze Geschichte von GameStar. Also zumindest als Jörgs Chefredakteur war, kommt das immer mal wieder vor. Diese Kritik. Naja, ist ja wurscht. Das ist ja jetzt nicht unser Thema. Jedenfalls dauert es ein bisschen bis zum November 2001 und dann erscheint eine englische Version von Gothic für den US-Markt. Der Publisher dort ist Xycat Interactive aus Florida.
Gunnar:
[2:34:04] Das ist so, wenn man so Publisher anguckt, nicht die A-Klasse und auch nicht die B-Klasse, eher so die C-Klasse. Die bestanden auch nur kurz von 1998 bis 2004. Die englische Synchro macht Effective Media, das ist ja die Partnerfirma aus dem Haus, genauso wie die deutschen Sprachaufnahmen. Und es wurde der Auftritt von In Extremo rausgeschnitten, wahrscheinlich aus Lizenzgründen. Es gibt ja übrigens die Mehr, dass Gothic in der internationalen Presse verrissen wurde oder zumindest krass unterschätzt wurde. Und das stimmt nicht so richtig. Wir haben auch hier Wertungen in den 70ern und 80ern. Das geht immerhin bis 86 hoch von IGN USA. Dass Gothic außerhalb Deutschlands nicht so besonders erfolgreich war, dürfte nicht in den Wertungen gelegen haben. Und vielleicht auch nicht an der Farbigkeit, sondern eher am Publisher und an dem mangelnden Marketing. und vielleicht an der Tatsache, dass es im heißesten Teil des Jahres, im Vorweihnachtsgeschäft rausgekommen ist, wo die Konkurrenz super stark war. Es gibt leider keine offiziellen Verkaufszahlen für das erste Gothic, aber laut Mike Hoge hat das Spiel seine Kosten nicht eingespielt. In Deutschland dürfte das erste Gothic im Jahr 2001 eine hohe fünfstellige Zahl verkauft haben. Langfristig geht es schon über 100.000. Das ist für den deutschen PC-Markt zu der Zeit ein gutes Ergebnis, ist aber kein herausragendes. Der größere Erfolg, auch finanziell, kommt dann erst mit Teil 2 und dem Add-on.
Chris:
[2:35:30] Ja, und nach dem Release des ersten Gothics steigen dann die Mad Scientist-Leute aus. Die Engine von Gothic 2 wird dann in-house weiterentwickelt. Eine Fortsetzung steht zunächst aber auch gar nicht auf dem Programm. Das Team bei Piranha Bytes teilt sich intern auf. Stefan Newell und Alexander Brüggemann, die sollen ein Add-on für Gothic entwickeln, während Mike Hoge die Entwicklung eines Science-Fiction-Shooters startet. Tom Putzki ist schon während der Entwicklung von Gothic aus Piranha Bytes rausgegangen und zu Phenomedia gewechselt, um dort PR- und Marketingleiter zu sein. Aber der Egmont-Ehapa-Verlag, der Geldgeber, steigt Mitte 2001 schon wieder aus dem Games-Abenteuer aus, schließt seine Interactive-Sparte. Piranha Bytes braucht dann also einen neuen Publisher für Folgeprojekte und findet den in Österreich, in Joe Wood. Und dann gibt es auch noch interne Verwerfungen im Team und das führt dann dazu, dass das Add-on eingestellt wird und Mike Hoge dann die Entwicklung eines Gothic-Nachfolgers übernimmt, der diesmal nach sehr viel kürzerer Entwicklungszeit dann Ende 2002 erscheint. Aber auch das ist eine Geschichte für einen anderen Podcast, genau wie das weitere Schicksal der Gothic-Reihe, denn wir sind natürlich noch nicht fertig damit. Dieser Podcast behandelt das erste Spiel, aber das zweite und vielleicht auch das dritte sind irgendwann mal eigene Folgenbild.
Gunnar:
[2:36:50] Ja, das war die Entstehungsgeschichte. Und jetzt müssten wir schon nochmal so ein bisschen ins Werten kommen, Christian. Wie hat es uns denn gefallen und wie schätzen wir das Spiel ein, wenn wir unsere damalige Stimmung und unsere heutige Stimmung vergleichen?
Chris:
[2:37:06] Ja, ich würde zum Beginn dieses Blogges gerne nochmal dem Kai Rosenkranz das Wort geben, denn der hat in unserem Gespräch, wie ich finde, sehr schön zusammengefasst, was seiner Meinung nach die Vision von Gothic ist, was so die wichtigsten Leitgedanken sind. Das beschreibt er so.
Kai Rosenkranz:
[2:37:22] Ich würde sagen, die Vision von Gothic beruht auf ein paar Grundpfeilern. Das eine ist das Thema Immersion.
Kai Rosenkranz:
[2:37:30] Also man soll eintauchen können in diese Welt, ohne dass sie einem durch auf der einen Seite UI versperrt wird, aber auch durch Komplexität im Umgang mit Charakterbögen und vielen Skills und so weiter. Diese abstrakten Elemente, die der Spieler sozusagen nur mit sich im Kopf ausmacht, sollten so reduziert wie möglich sein und die erlebbaren Elemente in der Welt sollten viel Raum bekommen. Dem Untergeordnet ist dieser Aspekt der Lesbarkeit. Ich gucke mir den Charakter an und weiß, wie ist der drauf. Ich gucke mir andere NPCs an und sehe erstens, welcher Fraktion gehören sie an, aber auch, wie stark sind sie bewaffnet, was haben sie für einen Job, was machen sie den ganzen Tag. Das Spiel erklärt mir das nicht in Flavortexten oder sperrigen Dialogen, sondern ich gucke mir das an und ich verstehe es. Dann haben wir den Aspekt befriedigende Entwicklung. Am Anfang geht das Spiel auch bewusst hart mit einem um. Man kommt sich erstmal sehr klein vor, sehr unwichtig vor. Und du musst dich wirklich hocharbeiten. Und dieses Gefühl, dann irgendwann mal die Leute, die dich am Anfang gepiesagt haben, besiegen zu können und umhauen zu können, das ist unglaublich befriedigend. Und ich glaube auch befriedigender als in Spielen, die einen so an die Hand nehmen und einem auch das Gefühl dadurch ein bisschen wegnehmen, das selbst geschafft und selbst erreicht zu haben. Und die vierte Säule ist einfach die Porträtierung einer rauen, düsteren Fantasy-Welt.
Gunnar:
[2:38:53] So, dann gehen wir diese vier Grundpfeiler doch mal durch. Das erste ist Immersion und das ist ja eindeutig das Ziel, dem vieles untergeordnet ist. Das berührt den Levelbau, das berührt die Waldgeschichte, das berührt das zurückgenommene Interface. Und da muss man doch sagen, das hat sehr gut funktioniert. Das ist ein Spiel mit einer hohen Eintauchwahrscheinlichkeit in diese Welt. Im Guten wie im Schlechten, finde ich. Weil es lädt auch durch die Tatsache, dass es an ein paar Stellen krude ist und broken ist, zum Experimentieren in dieser Welt ein. So wie, was passiert eigentlich, wenn ich alle Leute im alten Lager umbringe? Und das ist aber für mich irgendwie positiv immersionsfördernd, weil mir das dieses Selbstwirksamkeitsgefühl gibt.
Chris:
[2:39:35] Ja, da stimme ich dir vollkommen zu. Ich finde, die Art und Weise, wie Gothic eine Unmittelbarkeit herstellt, wie es einen reinzieht in die Spielwelt, trägt maßgeblich dazu bei, dass sich das Spiel auch heute noch ziemlich modern anfühlt. Oder dass es zumindest eine relativ geringe Einstiegshürde nach wie vor gibt. Und das kann man ja nun wirklich nicht von allen Spielen dieser Zeit sagen. Es hat eine gewisse Zeitlosigkeit, einfach weil es Prinzipien von Zugänglichkeit, guter Spielerführung und sowas so stark in den Vordergrund stellt. Und dazu gehört auch dieser Punkt der Lesbarkeit, den Kai genannt hat. Es gibt so hübsche kleine Entscheidungen wie, dass es ja ein Highlighting gibt von Objekten und Gegnern, die man anvisiert. Du musst ja irgendwie als Spieler wissen, wann ist ein Objekt aktiv. Und das könnte man über ein UI-Element machen, über einen Rahmen, wie es im zweiten Teil zum Beispiel dann optional passiert. Aber hier entscheidet sich das Spiel, den einfach heller zu machen, also so ein Highlight zu setzen. Das gefällt mir ausgesprochen gut. Das Spiel ist da nicht immer konsequent, was die Lesbarkeit angeht. Was mich am meisten nervt, ist, dass man manchmal von Questgebern Belohnungen bekommt und dann sagt das Spiel, du hast fünf Gegenstände erhalten. Ja, danke, ich habe aber schon 247 in meinem Inventar. Woher weiß ich jetzt genau, welche fünf die neun sind, die dazugekommen sind?
Gunnar:
[2:40:45] Manchmal sagen sie, was sie dir geben, aber nicht jedes Mal.
Chris:
[2:40:48] Nee, nicht jedes Mal. Und sowas wie ein Kompass wäre schön gewesen, eine Uhr wäre ganz schön gewesen, damit man weiß, welche Tageszeit ist.
Gunnar:
[2:40:54] Oh, ein Kompass habe ich so vermisst.
Chris:
[2:40:56] Ja, du hast den Pfeil auf der Karte, also du weißt, wenn du die Karte aufrufst, in welche Richtung du dich orientierst.
Gunnar:
[2:41:01] Ja, musst du die Karte aufrufen.
Chris:
[2:41:02] Ja, eben, genau.
Gunnar:
[2:41:04] Dass die Karte kein Interface-Element ist, macht es ein bisschen schwieriger. Aber ich verstehe schon die Entscheidung, was die Lesbarkeit angeht. Also ich finde, auch die Welt ist so gebaut, dass du halt relativ klar sehen kannst, wo du hingehen kannst und wo du nicht hingehen kannst. Und die Tatsache, dass Gebiete, wo du nicht hingehen sollst, dass da Monster stehen, das kann man auch einfach gut sehen. Schon aus der Ferne. Da steht dann halt eine Gruppe von acht Monstern, die alle so groß sind wie du. Und du musst auch noch gar nicht wissen, was das für Monster sind, dann weißt du schon, okay, lass mal, ist vielleicht noch nicht jetzt. Also man hat schon ein relativ klares Gefühl dafür, auch wie stark die Monster sind, wo du lang gehen sollst und wo die Wege hinführen. Ich hab zum Beispiel, um jetzt zum vierten Mal in diesem Podcast das Wort Skyrim zu sagen, bei Skyrim viel häufiger das Problem gehabt, dass ich irgendwelche Wände hochkraxeln wollte, weil ich dachte, ich kann da hoch. Und dann fällt man da halt runter, weil es dann doch nicht geht. Das ist natürlich ein typisches Beispiel von schlechter Lesbarkeit, weil es hat mich dazu eingeladen, durch sein Design einen Fehlversuch zu machen. Und das ist bei Gothic fast gar nicht. Das passiert eigentlich nie, dass du nicht weißt, ob du da lang gehen kannst oder ob du da hinspringen kannst.
Chris:
[2:42:11] Ja, in Bezug auf das, was Kai auch gesagt hat, diese raue, düstere Fantasy-Welt, das ist richtig, insbesondere auch in der Sprache. Ich habe aber überlegt, was habe ich denn damals, als ich Gothic gespielt habe im Jahr 2001, was ist mir denn in Erinnerung geblieben als das Besondere? Und ich muss sagen, ich habe die Stimmung von Gothic damals nicht als super besonders wahrgenommen. Lag vielleicht auch an mir, das ist schon ein wesentlicher Teil der Spielerfahrung, ohne Zweifel.
Chris:
[2:42:37] Aber damals war das für mich gar nicht das Ausschlaggebende, sondern für mich war das zentrale, auszeichnende Element von Gothic die freie Bewegung in der offenen und wunderschönen Spielwelt. Die Nahtlosigkeit dieser Spielwelt. Dass es da keine Ladepausen gibt, keine Selbstverständlichkeit in dieser Zeit. Dass du diese Fernsicht hast, wo sich dieser Effekt einstellt, den wir heute mit sowas wie Skyrim oder einem Elden Ring oder anderen Open Worlds verbinden, dass du etwas in der Ferne siehst und dich fragst, hm, das sieht interessant aus, was mag das sein? Und dann gehst du hin und kannst dir das angucken. Was ich faszinierend finde an Gothic, ist, dass man ja rausgeht in die Welt, um sie zu erkunden und dass das aber weitgehend eine anlasslose Erkundung ist. Es ist in Gothic selten so, dass dir ein Questgeber sagt, geh mal in diese Ruine oder schau mal in diese Höhle. Kommt schon vor, aber nicht zwangsläufig. Und eigentlich ist es der eigene Antrieb, der dich rausführt in die Welt, weil sie interessant genug ist für sich und weil du sie natürlich erkunden möchtest. Schon auch, um besser zu werden und Gegenstände zu finden und so weiter. Aber die Zugkraft der Welt, die Faszination ist stark genug, dass ich da auch von alleine rausgehen möchte und das zeichnet sie aus.
Gunnar:
[2:43:43] Ich finde, da ist viel Entwicklung passiert seit Gothic. Man hat dann später diese Spielwelten dichter gebaut mit mehr kleinen Geschichten in den Spielwelten, mehr Sachen, die du erleben kannst, mehr Belohnungen fürs Erkunden, auch Story-Belohnungen und das hast du hier jetzt in der Tendenz nicht. Wir haben ja auch schon gesagt, die Spielwelt ist an vielen Stellen menschenleer. Du findest halt höchstens Tiere, die du töten kannst, wenn du sie denn töten kannst. Und an viele Stellen kannst du halt erst zu bestimmten Zeiten richtig hin, weil die Gegner zu gefährlich sind. Wobei das echt auch ein Spiel ist, wo man die Gegner gut mal umgehen kann. An vielen Stellen, wo ich dachte, hier darf ich überhaupt nicht hin. Aber ich will jetzt mal wissen, was da ist, wenn ich den Berg hochlaufe. Dann bin ich halt den Berg hochgelaufen, mitten durch zwischen allen Gegnern. Und dann eine Kette von acht oder neun Monstern hinter mir hergezogen. Aber man kann denen schon weglaufen. Und die geben auch irgendwann auf, wenn sie zu weit aus ihrer Zone rauskommen, in der sie eigentlich beheimatet sind. Und dann kann man sich schon nochmal Sachen angucken. Man guckt sich auch einfach gern die Landschaft an. Ich muss nicht hinter jeder Ecke eine Truhe finden.
Chris:
[2:44:50] Ich möchte nochmal zu dem Punkt zurückkommen, den ich ganz am Anfang erwähnt habe, dass das ein Spiel ist, das offensichtlich viele Menschen nachhaltig beeindruckt hat. Nicht nur in Deutschland übrigens. Das Land, wo Gothic fast noch beliebter ist und noch mehr gefeiert wird, als in Deutschland ist Polen. Und das auch eine riesige Fangemeinde hat. Aber auch in anderen osteuropäischen Ländern, in Tschechien, in Russland sogar, ist Gothic ein beliebtes Spiel. Also das hat viele Menschen berührt. Und was berührt Menschen? Was macht eine nachhaltige Spielerfahrung aus? Das kommt selten aus einer Spielmechanik, die ja was Abstraktes ist. Das kommt häufiger aus einer Erzählung, aus einer Handlung, aus der Beziehung, die man zu Charakteren aufbaut. Aber am häufigsten, finde ich, entsteht das aus einem Spielgefühl, aus einer fesselnden, auf irgendeine Weise berührenden Atmosphäre.
Chris:
[2:45:40] Gothic ist ein atmosphärisches Spiel und es ist entwickelt als solches. Die Entwicklung von Gothic kommt ja nicht, wie wir das so häufig bei anderen Spielen haben, aus einer spielmechanischen Idee, aus einem Kampfsystem oder sowas. Es kommt auch nicht aus einem Weltenbaugedanken. Hier, ich habe irgendein literarisches Vorbild oder ich möchte eine Tolkien-artige Welt erschaffen oder sowas. Es kommt nicht aus einem konkreten Regelwerk wie Dungeons & Dragons oder Das Schwarze Auge. Und es kommt auch nicht aus einem technischen Aspekt. Aus einer bestimmten Fähigkeit einer Engine, um die dann ein Spiel rumgebaut wird und so. Das sind ja alles Arten und Weisen, wie Spiele entstehen. Sondern das hier kommt aus dem Gedanken, wie mag es sich anfühlen, in dieser Welt unter der Barriere reingeworfen zu sein. Wie muss sich diese Welt anfühlen und wie muss es sich anfühlen, dort ein Held zu sein, der eine Heldenreise macht. Und dem ordnet Gothic ganz vieles unter. Wie gesagt, es trifft dann pragmatische Entscheidungen. Am Ende leidet es ja auch unter echt vielen Nicklichkeiten und Bugs. Aber es ist alles irrelevant. Es ist irrelevant, weil das Kerngefühl erhalten bleibt.
Gunnar:
[2:46:41] Eine der Sachen, die mir jetzt erst so richtig auffallen in der Rückschau ist, dass das Spiel sich auf eine angenehme Art ernst nimmt und seine Welt ernst nimmt. Wir kennen ja alle Spiele, die sich zu ernst nehmen, wo der Spieler dann irgendwelche dummen Aufträge kriegt und man das Gefühl hat, das würde ich in der richtigen Welt gar nicht machen.
Gunnar:
[2:46:59] Und dieses Spiel hier hat bei aller Schnotterigkeit so eine Art von Grundrespekt vor dem, was es da gebaut hat und diesen Kulturen. Es ist niemand eindeutig böse, es ist niemand eindeutig nur gut. Alle Fraktionen kriegen so ein bisschen ihr Fett weg. Es gibt nicht so richtig eine Siegerfraktion. Alle treffen pragmatische Entscheidungen zum Guten wie zum Schlechten. Und ich finde, eine der Sachen, woran man das gut sieht, ist an den Orks. Die Orks werden ja aufgebaut am Anfang als der mysteriöse Feind. Das Königreich Muthana führt Krieg gegen die Orks. Mehr müssen wir nicht wissen. So ist es halt. Königreiche führen Krieg gegen die Orks. und dann erlebst du sie in der Spielwelt erstmal gar nicht. Sie sind halt in ihren eigenen Gebieten, die haben Siedlungsgebiete, das ist alles total gut bewacht, du kannst da nicht gut hin. Was machen die Orks in dieser Welt überhaupt? Die führen ja hier keinen Krieg gegen die Menschen. Der Krieg ist nicht hier reingeschwappt in die Barriere. Hier scheint eine Art von gespanntem Frieden zu herrschen zwischen den Orks und den Menschen. Die Menschen haben Stress miteinander, das alte Lager gegen das neue Lager und so, aber nicht gegen die Orks. Und die Orks belagern die Kolonie auch offenkundig nicht. Keine Ahnung, was die hier tun. Die Orks sind hier so ein bisschen für den Spieler, um die Stimmung gefährlicher zu machen und düsterer und noch so eine andere Art von Bedrohung zu geben. Und die sind ja auch wirklich einfach drecksgefährlich, wenn man ihnen begegnet.
Gunnar:
[2:48:21] Aber man kriegt schon Hinweise darauf, dass das ein Volk ist und nicht einfach so ein Abziehbild einer bösen Gegenrasse. Du hast Hinweise auf deren Kultur, die haben Religion, das dreht sich auch die Handlung so ein bisschen, als du den Orks dann näher kommst, als du dann mit Xardas arbeitest. Die haben schon eine eigene Sprache und solche Sachen. Und du hast vorhin beschrieben diesen Ausflug in diesen Orkfriedhof.
Gunnar:
[2:48:47] Und da bin ich so rausgekommen aus dieser Höhle, die der Orgfriedhof ist und dachte so, was habe ich hier eigentlich gemacht? Ich bin ja hier voll der Grabschänder. Du wirst da nämlich reingeschickt und tötest da lauter Orks drin, erforscht diese Höhle bis zum Ende und findest genau nichts. Du gehst da wieder raus, dein Begleiter wird wahnsinnig und greift dich an. Das ist nur ein Streit, den du mit in diese Welt gebracht hast, der Orks. Und du hast da nichts erreicht, nichts gefunden, keinen Schatz gehoben. Niemand von den Orks, die da drin waren, hatte dir was getan. Du bist da einfach der Eindringling gewesen. Da hatte ich echt so einen Moment, da dachte ich so, hm, was tue ich da eigentlich? Das war echt ganz schön.
Chris:
[2:49:26] Ich verstehe, was du meinst. Ich finde, das ist eine wohlwollende Betrachtung. Denn gerade nach hinten raus sind diese Anlagen, die in den Orks existieren, als eigene Kultur, doch so dünn, dass das nie stark ausgearbeitet wird. Und ich fand es sogar einen der enttäuschenden Momente im Spiel, als man spät im Spiel die Orkstadt betritt.
Chris:
[2:49:46] Dramatischer Moment, das ist ja der Feind. Aber man hat so ein Totem dabei, das einem erlaubt, da reinzugehen. und dann reagieren die Orox einfach nicht. Ja, da laufen ein paar Krieger danach und ja, wir sprechen die Sprache nicht, da ist keine Kommunikation möglich. Aber dass man da einfach so konsequenzlos durchläuft, das war enttäuschend. Aber das bringt mich auf meinen abschließenden Punkt. Ich habe mich nämlich gefragt, wenn Gothic so tolle Anlagen hat und so ein beliebtes Spiel ist bis heute, warum ist denn daraus nicht The Witcher geworden? Warum ist denn daraus nicht diese wegweisende, weltweit erfolgreiche Serie geworden. Was fehlt denn da? Und ich finde, dass es eine Reihe von Dingen gibt, die Gothic daran hindern, eine weitreichendere Wirkung zu erfalten. Das ist zum einen, dass Gothic Dieses dramaturgische Versprechen von einer düsteren, gefährlichen, gewalttätigen Spielwelt, ehrlich gesagt nur unzureichend einlöst. Ja, theoretisch passieren da grausame Dinge, da werden im Laufe der Handlung Dutzende von Menschen hingemetzelt und so. Aber man sieht die Konsequenzen von Gewalt eigentlich nie. Wo ist denn die Unterdrückung, die hier herrscht? Die Butler, die hauen so fröhlich in der Mine vor sich hin. Wo ist denn das Leid? Wo ist denn mal ein individuelles Schicksal, wo man anknüpfen und mitfühlen könnte? Wo ist die Emotion?
Chris:
[2:51:02] Unser Held ist ein Badass, der ist total abgeklärt, die Leute sind alle abgeklärt. Ja, das ist die Kehrseite dieser Medaille. Es ist halt auch eine relativ kühle Welt, wo nicht so wahnsinnig tiefe Emotionen herrschen. Die Selbstbestimmtheit ist auch eine Illusion. Wir treffen kaum Entscheidungen. Da sagen uns die Leute halt, was wir tun sollen. Geh dahin, mach das. Jetzt musst du hier den bekämpfen, jetzt musst du hier das finden und sowas. Die Story ist ja völlig linear. und unser Protagonist führt eigentlich nur Aufgaben aus, ohne eigene Ideen einzubringen. Das ist kein Vergleich mit Fallout zum Beispiel, wo du ja ganz viele Entscheidungen triffst und hinterher auch viele Konsequenzen hast. Es gibt ja auch keine Entscheidung für eine gute oder eine böse Seite wie in Baldur’s Gate 2. Nein, das läuft einfach straight durch und in der Hinsicht ist Gothic dann doch sehr konventionell. Das finde ich gar nicht so schlimm, aber das sind andere Rollenspiele der Ära vielseitiger. Was ich am unglücklichsten finde, ist, dass Gothic einfach der Weltenbau fehlt. Gothic ist seiner Natur nach klein. Das ist auf diese kleine Welt, auf einste Charaktere fokussiert. Dem fehlt das Epische, das Weite, wenn man das vergleicht mit einem Baldur’s Gate 2 oder einem Ultima 9 oder sogar einem Diablo 2, wo nicht nur eine Region bereist wird, sondern ganze Länder, ganze Reiche.
Chris:
[2:52:14] Und das hier ist alles im Vergleich dazu eigentlich so lokal und auch so belanglos. Viele von den Storys, von den Dialogen, die wir erleben, haben keine große Tiefe. Und unser namenloser Held ist, sorry, auch einfach kein starker Protagonist, wenn man das vergleicht mit einem Witcher zum Beispiel, dem fehlten Schicksal, dem fehlen Bindungen, er ist halt ein Badass und das ist alles, der hat noch nicht mal starke Motivationen. Es fehlt auch ein starker Antagonist zum Beispiel. Also alles, was man so unter Worldbuilding verstehen würde, der Ausbau von einem übergeordneten Universum, das fehlt gothic stark. Und das im Zusammenspiel damit, dass Piranha Bytes aus den verschiedensten Gründen, teils selbstverschuldet, teils einfach nur durch Pech, nie aus diesem Modus, dass es muss irgendwie schnell gehen, rauskam. Die Spiele sind immer irgendwie gefrickelt, sie sind am Ende immer irgendwie unpoliert, am wenigsten noch in Gothic 2, aber ganz stark natürlich bei Gothic 3. Die haben ihre Engine technisch nie so richtig in den Griff bekommen, habe ich das Gefühl. Und im Zusammenspiel, ist das meine Theorie, dass das verhindert, dass Gothic zu größeren Höhen aufgestiegen ist. Leider.
Gunnar:
[2:53:19] Ach, ich weiß nicht. Ich finde das nicht ganz fair. Ich finde, gerade die Enge ist ja die Stärke dieses Teils und das muss dann halt der zweite Teil aufmachen.
Chris:
[2:53:26] Macht er ja nicht. Der ist ja eher noch enger.
Gunnar:
[2:53:28] Genau. Und der zweite Teil hätte dann die Chance geboten, diese Serie, die so stark angefangen hat in der Enge, was ich wirklich weiterhin für einen super Kniff halte, die dann halt ins leicht Epische zu führen.
Chris:
[2:53:40] Ich halte den begrenzten Raum im ersten Teil auch für eine Stärke als geografischen Raum und als sozialen Raum. Aber die Barriere hält auch das Denken so klein. Das hält die Fantasie so lokal. Das Worldbuilding endet ja an der Barriere. Also, ich muss jetzt kurz nachdenken, aber ich glaube, jeglicher Kontext darüber, was außerhalb der Barriere liegt, stammt aus dem Intro und vielleicht noch aus den paar Seiten Vorgeschichte im Handbuch. König, Orkrieg, Varand, Ende. Die gesamte Welt jenseits der magischen Wand ist ein großer weißer Fleck und das wäre vielleicht noch egal, wenn nicht die meisten im Minental inklusive unseres Protagonisten da so dringend raus wollen. Und man fragt sich schon ein bisschen, wer oder was erwartet euch dann da draußen? Wohin wollt ihr denn zurück?
Chris:
[2:54:26] Aber Gothic interessiert sich nicht für individuelle Motivationen oder Schicksale. Es erzählt ja auch nichts davon zu Ende. Wir treffen den Org-Schamanen Urshak, der wurde von seinem Stamm verbannt, der hilft uns. Was wird denn aus dem Gunnar? Wissen wir nicht. Xardas, der Supermagier, liegt am Ende ohnmächtig im Schläfertempel. Was wird aus ihm? Wissen wir nicht. Milton, der Feuermagier, einer unserer Freunde, den lassen wir umringt von feinseligen Wassermagiern im neuen Lager zurück. Was passiert mit ihm, wissen wir nicht. Ich meine, das Spiel endet mit einem schwarzen Bildschirm und den Worten Die magische Barriere ist gefallen, aber für mich war das erst der Anfang meines Abenteuers. Ich lobte vorhin den Payoff im Kleinen und die Betonung liegt auf im Kleinen, weil im Großen kriegt man nämlich überhaupt keinen Payoff von Gothic. Und das ist für mich ein Makel. Ich finde, Gothic erzeugt richtig gute Bindungen an den Ort und richtig schlechte Bindungen an Personen. Dauer ist das vielleicht die falsche Priorisierung.
Gunnar:
[2:55:23] Ich glaube, man kann da noch so viele Gründe anführen, die was mit dem Spiel zu tun haben. Es liegt halt hauptsächlich daran, dass es aus Deutschland kommt und mit relativem Druck von einem unerfahrenen Team entwickelt worden ist. Und dass da halt dann nicht mehr die Möglichkeit war, wie bei den Witcher-Leuten, die ihr erstes Spiel ja auch in den Sand gesetzt haben, da noch so lange zu arbeiten, bis das erste Spiel noch irgendwie lauffähig geworden ist.
Chris:
[2:55:46] Das würde ich wiederum nicht gelten lassen, weil The Witcher kommt auch aus Polen. Also ich meine, wenn du sagst, das ist ein Standortnachteil, dass es aus Deutschland kam, naja, dann war das zu der Zeit, wo The Witcher rauskam, auch ein Standortnachteil, aus Polen zu kommen.
Gunnar:
[2:55:56] Ja, sicherlich. Aber irgendwie hatten sie ja die Möglichkeit, wir machen jetzt ja keinen Witcher-Podcast, das müssen wir ein andermal diskutieren, wo das Geld herkam. Aber die konnten halt so lange entwickeln, bis das Spiel bugfile war.
Chris:
[2:56:07] Ja, ja, dieser strukturelle Grund ist sicher auch ein wichtiger.
Gunnar:
[2:56:10] Und dass sie halt keinen guten Publisher hatten, weder hier noch international, war sicherlich eine Schwierigkeit. Ich finde, das größte Problem ist, dass der Held namenlos bleibt und dass du dem Held keine Gestalt geben kannst. Ich finde, dass Helden nicht selber entscheiden können, ja, mei, das ist ja in Spielen nicht unüblich. Der muss ja schon Fallout bemühen, um mal irgendwie Figuren Agenda zu geben oder so. Du kannst ja hier schon noch ein paar Sachen machen, wo du hingehst zunächst und so. Es fühlt sich zumindest wie eine Entscheidung an. Du weißt ja vorher nicht, dass die Story genauso verlaufen wäre, wenn du anderswo angefangen hättest in einem anderen Lager. Aber dass der Held so namenlos ist und keine eigene Vorgeschichte mitbringt, dass man daraus nichts erfährt und dass der Held nicht einen faszinierenden Aspekt hat, das ist schon ein Teil dieser grundlegenden Erdung, den es ja auch will. Es will ja nicht eine Witcher-Figur, die ja eine total abgedrehte, mutierte, besondere Gestalt ist mit einem literarischen Vorbild, sondern es will ja einen normalen Menschen. Aber in dieser Umgebung wäre es vielleicht besser gewesen, auch noch eine Journey für die Figur zu machen. Die anderen Charaktere bleiben ja auch ein bisschen schwach.
Chris:
[2:57:18] Ja, genau.
Gunnar:
[2:57:19] Du findest im Laufe des Spiels diese Gruppe von vier Freunden, die dann auch eine Rolle spielen und mit denen du dann mehr zu tun hast und dir halt auch diese Lager verbinden. Aber als diese vier Freunde sich zu erkennen gegeben haben als deine vier Freunde in der Suche nach den Fokussteinen, dachte ich, ach so. Weil mit denen hatte ich ja vorher überhaupt noch nichts zu tun, so richtig. Zu denen hatte ich gar keine Beziehung. Und plötzlich baut das Spiel die so ein bisschen wie meine Crew auf. Und da ist so einer dieser Teile, wo man wahrscheinlich noch interessanter hätte erzählen können, um mehr emotionalen Impact zu haben.
Chris:
[2:57:54] Ja, wie gesagt, das ist die Kehrseite der Medaille, dieser kaltschnäuzigen Einstellung. Das lässt dann halt auch keine tiefgehenderen emotionalen Bindungen zu.
Chris:
[2:58:04] Nun, ich möchte gerne versöhnlich enden bei all diesen Dingen. Das ist trotzdem unterm Strich wichtig zu sagen, Gothic ist ein exzellentes Spiel. Es hat so viele wunderbare Eigenschaften. Es ist insbesondere auch nochmal im Kontext seiner Zeit und im Kontext der deutschen Branche ein Meilenstein und ein ganz wesentliches Werk, das zu Recht bis heute so beliebt ist. Vielleicht abschließend noch zu sagen, wenn man das heute noch spielen möchte. Es ist nicht so einfach, wie man denken sollte. Nominell gibt es das auf GOG und auf Steam. Aber das zum Laufen zu bekommen, ist ein bisschen eine Glückssache. Also zuerst mal muss man wissen, die beiden Versionen sind unterschiedlich. GOG ist einfach die ursprüngliche Version gepatcht auf 1.08K. Und bei der Steam-Version sind schon Community-Patches enthalten. Da ist das Player-Kit und der System-Pack schon mit dabei. Die Steam-Version hat bei mir gar nicht funktioniert. Bei mir war es eines von diesen Fällen, wo das mit dem Player-Kit V1.8 nicht funktioniert. Bei mir geht nur V1.7. Und die GOG-Version lief bei mir ab Werk nur in 640×480. Also ich musste mir das so ein bisschen zurechtpatchen, bis es funktioniert hat. Und man sollte auch wissen, wenn man das heute noch spielt, das sind in beiden Fällen deutsche Versionen mit deutscher Sprachausgabe, aber keine der heute verfügbaren Versionen enthält, die in Extremo-Szene. Die ist aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen in beiden Versionen entfernt. Aber wenn man es zum Laufen bekommt, dann ist Gothic auf jeden Fall auch heute noch spielenswert.
Gunnar:
[2:59:30] Ja, in der Tat. Ich habe nicht so lange dafür gebraucht. Die GOG-Version lief mit ein bisschen Gefrickel und einem weiteren Patch. Ja gut, dann habe ich dem auch nicht mehr so viel hinzuzufügen. Du hast dich ja noch ein bisschen eingekriegt mit deiner Fundamentalkritik.
Chris:
[2:59:43] Ja, gut, dass ich die Kurve noch gekriegt habe.
Gunnar:
[2:59:46] Dem stimme ich dann schon zu und freue mich aber, dass wir es endlich geschafft haben, Christian, nach all der Zeit.
Chris:
[2:59:52] Wir können an Gothic einen Haken machen. Jetzt wird natürlich die große Frage sein, wann reden die beiden über Gothic 2. Aber da lassen wir uns dann noch ein bisschen Zeit. Zunächst mal, das können wir schon ankündigen, werden wir nochmal über Gothic reden, denn es wird natürlich auch hier eine Wusstet ihr eigentlich Folge für Unterstützerinnen und Unterstützer geben. Im offenen Feed werden wir noch das Interview mit Mike und Tom veröffentlichen und wir haben mit Kai noch relativ intensiv über die Musik von Gothic gesprochen, die jetzt hier in dieser Folge gar nicht zur Sprache gekommen ist, aber da kommt eine extra Folge dann noch. Wir haben uns entschlossen, der Musik von Gossip eine eigene kleine Folge zu widmen, die wir dann in den offenen Feed bringen werden, Anfang nächsten Jahres.
Gunnar:
[3:00:36] Genau, das war es dann damit. Vielen Dank fürs Zuhören und für die Geduld, dass es bis zur 150. Folge gedauert hat. Dann sage ich Tschüss, vielen Dank für das Gespräch, Christian und wir hören uns.
Chris:
[3:00:49] Wir hören uns, Tschüss.
Ja ist denn schon Weihna… oh!
Oh! My! F*****g! Gosh! Es gibt noch Zeichen und Wunder!
ich freu mich sehr!! 
Wenn Jubiläum auf Weihnachten trifft… hatte bei der Weihnachtswoche-Folge schon so ne Vorahnung
Frohe Weihnachten euch allen!