Henner:
[0:07] Da hüpft er, der Amiga-Ball. Und sicher hüpfst du auch schon vor Aufregung, Gunnar, da wir heute die lange Entwicklungsgeschichte hinter uns lassen und endlich über den Amiga selbst sprechen. Den ersten, den Amiga 1000 von 1985 und über den Amiga 500. Was sagst du dazu?
Gunnar:
[0:23] Ja, jetzt geht’s los. Historische Deep Dives sind ja auch immer ganz schön, aber es juckt dann ja doch in den Fingern, über das Gerät selber zu sprechen und die Technik.
Henner:
[0:33] Ganz genau. Und über die Einführung, denn die ist nochmal eine Erwähnung wert, die Einführungszeremonie, die der Amiga bekommt, denn der Amiga verspricht ja eine große Revolution auf dem Computermarkt. Und ein revolutionärer Computer braucht ja auch eine standesgemäß feierliche Einführungsveranstaltung. Und die gibt es auch im Jahr 1985, am 23. Juli 1985. Da lädt Commodore alle Mitglieder des Amiga-Teams und weitere Commodore-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Vertreter der Presse natürlich in ein Theater im Lincoln Center ein. Das ist das größte Kulturzentrum in New York zu einer Veranstaltung, die moderiert wird von einem Commodore-Mitarbeiter, von dem Softwareentwickler Bob Pariseau. Das Ganze ist offensichtlich ein bisschen inspiriert durch das, was Apple ein Jahr vorher gemacht hat, im Januar 1984.
Henner:
[1:25] Da hat ja Steve Jobs mit großem Getöse den Macintosh vorgestellt und so inszeniert Commodore jetzt auch den Amiga mit einer Multimedia-Show, kann man nicht anders sagen. Also es gibt eine große Bühne, da stehen mehrere Amigas und deren Bild wird auch auf Leinwänden gezeigt und dort präsentiert werden das GUI, also die grafische Benutzeroberfläche samt Multitasking, denn das sind ja alles Dinge, die die allermeisten Menschen im Publikum noch nie gesehen haben. Die Boeing-Demo mit dem hüpfenden Ball wird gezeigt. Es gibt die DOS-Emulation zu sehen, also wie ein langweiliges MS-DOS-PC-Programm auf dem Amiga läuft. Man sieht dynamisch erzeugte Geschäftsgrafiken, wie man sie von Excel kennt und es gibt statische, digitalisierte Fotos. Da gibt es auch spontanen Applaus im Publikum, sowas hat man noch nicht erlebt. Es gibt Sprachausgabe zu hören, Sample-basierte Musik, da gibt es wieder Applaus.
Henner:
[2:19] Und ganz am Ende tanzt eine Ballerina rotoskopiert auf der Leinwand, einigermaßen synchron zu einer echten auf der Bühne. Das ist wirklich eine tolle Show. Aber der Höhepunkt dieser Vorstellung, das ist was ganz Besonderes. Da treten nämlich zwei Stars auf, die mit Computern eigentlich nichts am Hut haben.
Gunnar:
[2:36] Sie haben keine Kosten und Mühen gescheut. Es kommt Andy Warhol, der bekannteste, bedeutendste Pop-Art-Künstler der Welt. Der nutzt eine frühe Version des Zeichenprogramms Graphicraft und macht da eine Verfremdung eines digitalisierten Abbilds der Blondie-Sängerin Debbie Harry und das macht er dann live.
Einspieler:
[2:58] Are you ready to paint me? Yeah. You found it to be very spontaneous, haven’t you? Yeah, it’s great. It’s such a great thing. What more can you say? Well, this is kind of pretty. I think I’ll keep it. Okay. Oh, it’s beautiful. What computers have you worked on before? Oh, I’ve worked on anything. I’ve waited for this one. Really?
Gunnar:
[3:25] Und der Künstler ist richtig angetan von der Flächenfüllfunktion des Programms. Das ist ja was, was wir heutzutage völlig selbstverständlich nehmen.
Gunnar:
[3:33] Aber damit kann er dann das Porträt von der Debbie Harry auf die gleiche Weise oder auf ähnliche Weise bearbeiten wie sein berühmtestes Werk. Das Diptychon von Merlin Monroe von 1962, das hat ja auch so große Farbflächen, wo das Gesicht sozusagen so entstellt wird in der Farbe. Er kommentiert das mit, das ist irgendwie großartig. Ja, und das ist es auch für Commodore. Der Warhol hat bis dahin gar keine Erfahrung mit Computern. Er lässt sich halt für den Amiga PR wirksam begeistern. Und der Marketing-Mitarbeiter Jeff Bratt von Commodore, der hat die Aufgabe, ihm vor der Show den Umgang mit dem Amiga kurz beizubringen. Der hat das später erzählt und meinte, Warhol sei interessiert gewesen, aber vergesslich. Wir sind genau durchgegangen, was die rechte und die linke Maustaste tut und nach der Mittagspause hat er alles wieder vergessen. Aber das ist nur kurzfristig, denn den Amiga selbst, den vergisst Warhol nicht und er arbeitet bis zu seinem Tod im Jahre 1987 mit diesem Gerät. Und 1986 befragt ihn die Zeitschrift Amiga World nach der Bedeutung des Amigas für die Kunst, für die Künstler. Und dann sagt er, ein Künstler kann damit wirklich alles machen. Einen Film mit allem darin, Musik und Sound und Bilder, alles.
Gunnar:
[4:49] In der Vorführung beschließt Bob Pariseau die Sache mit, nun seid ihr an der Reihe, was werdet ihr mit dem Amiga-Computer tun? Und die erwartete Antwort offenbar von Commodore ist, nicht spielen. Denn Spielen, und wir erinnern uns, der Amiga ist ja die Spielemaschine in unserer Wahrnehmung. Spiele werden bei der Präsentation gar nicht erwähnt.
Henner:
[5:11] Ja, das ist erstaunlich, wenn man sich die Ursprünge nochmal vor Augen führt. Das Ganze war ja ursprünglich mal geplant als ultimative Spielemaschine. Erst als reine Konsole, dann als Heimcomputer, aber immer als Spielegerät. Und in gewisser Weise ist es für Commodore ja jetzt auch der Nachfolger des C64. Und der ist ja nun mal eine berühmte, sehr populäre Spieleplattform. Also dass die hier überhaupt nicht auf Spiele eingehen, ist schon einigermaßen überraschend.
Henner:
[5:37] Nun, das Ganze ist spektakulärer Einstand, der auch sehr viel in der Presse gewürdigt wird. Und diese Veranstaltung wiederholt sich dann nochmal beim Deutschlandstart am 21. Mai 1986. Da gibt es eine weitere Commodore Amiga Präsentation in Frankfurt in der alten Oper. Die wird moderiert nicht von einem Commodore Mitarbeiter, sondern von dem Showmaster Frank Elstner. Das ist derjenige, der Wetten, dass erfunden hat. Hier hören wir mal kurz rein.
Einspieler:
[6:06] Ich muss das denjenigen sagen, die nur nicht gerade die großen Fachleute sind. Was wir da oben sehen, ist nicht etwa ein vorbereiteter Film, sondern das geschieht in diesem Moment hier und wird jetzt eingegeben. Das ist live? Ja, ja. Ich möchte es nochmal betonen, weil vielleicht glaubt es einer nicht.
Henner:
[6:21] Ja, das muss man damals noch erklären, weil man im Publikum das sonst möglicherweise tatsächlich nicht glaubt, was man da sieht. Dass da in Echtzeit mit Grafik hantiert wird, mit richtiger farbiger Grafik. Das geht so weit hinaus über das, was man üblicherweise auf Bildschirmen typischer DOS-Bürorechner sieht. Da muss Elstner klarstellen, dass hier nicht getrickst wurde. Ein bisschen komisch ist es, dass es in dieser deutschen Ausgabe der Show, die ansonsten dem gleichen Drehbuch folgt, dass da kein Künstler eingeladen wurde. Hätte man ja machen können, es gibt ja auch deutsche Künstler von Rang und Namen. Man hätte da zum Beispiel Gerhard Richter einladen können, der am Amiga dann Nina Hagen malt oder so. Die hätte sich auch nicht beklagt, wenn sie farblich verfremdet worden wäre. Ja, aber das passiert nicht.
Gunnar:
[7:06] Einen deutschen Künstler, wie Richter, kannst du dir die vorstellen auf so einer Bühne? Mit einem Commodore? Weiß ich nicht. Vielleicht haben sie das versucht und es gab gar keine in Deutschland, die das gewollt hätten oder so.
Henner:
[7:17] Ja, vielleicht oder sie sind in letzter Minute abgesprungen.
Henner:
[7:20] Denn wen sie uns stattdessen präsentieren, der deutsche Warhol-Ersatz, wirkt doch etwas bemüht, wenn nicht gar verzweifelt. Frank Elstner, der kennt aus seinen Tagen von Wetten, dass einen Gedächtniskünstler namens Erich Zenker. Der ist einfach berühmt dafür, dass er besondere Gedächtnisleistungen vollbringen kann. Und der tritt dann da auf.
Henner:
[7:41] Und die versuchen verzweifelt irgendwie das Ganze thematisch relevant zu machen, indem sie sagen, das sei halt der menschliche Computer. Das ist dann die Brücke zum Thema Amiga. Und er darf dann da live im Publikum seine Fähigkeiten beweisen, indem er sich innerhalb von zehn Minuten 30 Namen aus dem Publikum einprägt und dann unter Beweis stellt, dass er sich die auch wirklich gemerkt hat. Und das war’s, dann darf er wieder gehen. Der sitzt also nicht am Amiga und macht irgendwas damit oder tritt in den Wettstreit oder so mit dem Computer. Nö, das war’s, das war der ganze Show-Act. Bisschen enttäuschend, aber gut, was soll’s.
Henner:
[8:13] Entscheidend ist ja auch, was da eigentlich an Produkten gezeigt wurde. Der Amiga 1000 wurde dort gezeigt und auf den müssen wir jetzt mal näher eingehen. Und falls ihr euch wundert, ja, der heißt damals schon Amiga 1000. Das ist sehr oft zu lesen und zu hören, der habe einfach nur Amiga geheißen oder Commodore Amiga. Und die Modellnummer Amiga 1000, die habe er erst später bekommen. In der Abgrenzung zum Amiga 2000 und 500, als die dann 87 eingeführt werden. Das stimmt aber nur so halb. Ja, der Name Amiga 1000 wird später von Commodore erst richtig offen kommuniziert und verwendet, als die anderen Modelle rauskommen. Aber es gibt ihn jetzt schon. Die Modellnummer steht schon ganz klein auf der Verpackung und auch auf einigen Typschildern. Also der Amiga 1000 wird präsentiert. Willst du ihn mal näher vorstellen?
Gunnar:
[9:00] Der Amiga 1000 ist ein eleganter Quader in dem modernen hellen Grau-Beige, 45 Zentimeter breit ungefähr, 33 Zentimeter tief, fast 11 Zentimeter hoch und damit in jeder dieser Dimensionen kompakter als der IBM PC, wobei der IBM PC aber auch Steckkarten aufnehmen kann, das kann der Amiga noch nicht.
Gunnar:
[9:23] Beiden gemein ist die grundsätzliche Bauform, anders als beim Apple II, ist die Tastatur nicht integriert im Gehäuse, sondern abgesetzt. Und die lässt sich auch unter dem aufgebockten Gehäuse in der sogenannten Keyboard-Garage verstauen. Also man kann das so ein bisschen hochstellen, das Hauptgehäuse, dann kann das darunter verschwinden. Ein Monitor ist anders als beim Macintosh auch nicht integriert. Der lässt sich aber dazukaufen und dann auf den Rechner stellen. Das Netzteil ist immerhin dabei und das ist fest eingebaut. An der Vorderseite, da sitzt links das Amiga-Logo, später kommt noch ein Commodore-Logo dazu, aber anfangs ist es das Amiga-Logo alleine und die rote Power-Leuchte. In der Mitte, versteckt unter einer Blende, da ist ein Steckplatz für eine optionale Speichererweiterung und vorn rechts sitzt das 3,5 Zoll Diskettenlaufwerk, das beschreibt SD-Disketten mit 880 Kilobyte. Es gibt an dieser Stelle keinen Platz für ein zweites Laufwerk wie bei IBM, es lässt sich aber an der Rückseite 1 anschließen.
Gunnar:
[10:20] Apropos Rückseite, da sind folgende Anschlüsse. Es gibt einen Tastaturanschluss logischerweise, es gibt einen Parallelport, da kann man ja einen Drucker anschließen, den schon genannten Laufwerksanschluss, einen seriellen Port, etwa für Modems, zwei Stereo-Audio-Ausgänge im Kinch-Format.
Gunnar:
[10:35] Einen RGB-Monitor-Ausgang, einen Anschluss für einen optionalen TV-Modulator, falls man das Ding an einen Fernseher anschließen will und einen Composite-Video-Ausgang, falls man das Ding an einen besseren Fernseher anschließen will. An der rechten Seite, versteckt unter einer Klappe, da ist der Bus-Port, der System-Bus-Connector für Hardware-Erweiterungen, etwa für den SCSI-Controller oder Speichererweiterungen von Drittherstellern. Und ab 86, aber noch nicht zum Start, da lässt sich dann da das Sidecar andocken. Das ist ein vollständiger 8088-PC inklusive 5,25 Zoll-Laufwerk. Das ist dann das, was den Amiga MS-DOS kompatibel machen soll. Auch die weiteren Eingabegeräte sind dann an der rechten Seite.
Henner:
[11:18] Ja, mit dieser Anschlussvielfalt hat er sich ja schon ziemlich weit verabschiedet von seinen Konsolenursprüngen, der Amiga. Das ist jetzt schon gehobenes PC-Niveau. Insbesondere, dass man hier nicht nur Fernseher anschließen kann, sondern auch einen richtigen Monitor, dass es Stereo-Audio-Ausgänge gibt. Das ist alles nicht selbstverständlich damals. Und das setzt sich fort, denn anders als eine Konsole wird dieses Gerät natürlich nicht über einen Joystick gesteuert, wie das ursprünglich mal gedacht war, sondern über eine Tastatur und eine Maus.
Henner:
[11:48] Die Tastatur, die ist nicht weiter spektakulär, die ähnelt der klassischen PC-Tastatur schon sehr. Es gibt die Zahlenreihe oben, es gibt F-Tasten oben drüber und rechts gibt es einen Nummerntastenblock und einen Pfeiltastenblock. Und die Maus, die gerne als Tank-Maus bezeichnet wird, weil sie so ein bisschen panzerförmig aussieht, ist auch nichts Besonderes. Es ist eher Branchenstandard, da ist natürlich Kugeltechnik drin, ist also keine optische Maus. Und sie hat zwei Tasten. Das erscheint uns rückblickend ein bisschen wenig, aber das ist immerhin doppelt so viel wie das, was man bei Macintosh bekommt.
Henner:
[12:22] Da hat sich ja Steve Jobs durchgesetzt mit seinem Wunsch, der Macintosh möge nur eine einzelne Taste bekommen, um die Bedienung zu vereinfachen. Aber alle anderen in der Branche setzen da einen drauf und gehen auf zwei bis drei Tasten. Ich habe dazu auch Ron Nicholson gefragt, der ja Mitglied des Entwicklerteams war und vorher bei Apple gearbeitet hat. Im Macintosh-Team, der sagte mir, ja, die ursprüngliche Amiga-Zielgruppe waren ja nun mal Gamer. Und die waren es sowieso gewohnt, sich Steuerschemata mit viel mehr als einer Taste zu merken.
Henner:
[12:53] Also denen konnte man das schon zutrauen, mit mehr als einer Taste zu arbeiten. Und so war das gar keine Frage. Und auch RJ Michael, das ist der Herr, der das GUI, also die Benutzeroberfläche erfunden hat für den Amiga, den habe ich auch dazu befragt. Und der hat ebenfalls gesagt, das sei von Anfang an klar gewesen, dass man zwei Tasten einsetzen würde und nicht nur eine wie beim Macintosh. Von Anfang an war sein Konzept darauf ausgelegt. Er hat sogar ein Patent für eine Eingabetechnik, die mit der zweiten Maustaste
Henner:
[13:23] zusammenhängt. Die Maus, die sitzt, wie du es schon gesagt hast, an der rechten Gehäuse Seite. Da sind nämlich zwei Controller-Ports. Die haben dieses 9-Pin-Format, das man vom Atari kennt, aber auch vom C64. Und da kann man nicht nur die Maus anschließen, sondern auch einen Joystick oder alternativ zwei Joysticks oder andere Eingabegeräte. Übrigens auch das Joyboard, also dieses Eingabegerät zum Draufstellen, was Amiga entwickelt hat für das Atari VCS, das ist auch damit kompatibel. Ich weiß nicht, ob es irgendein Spiel gibt, das man damit spielen kann, aber RJ Michael hat mir bestätigt, doch das ist durchaus kompatibel.
Henner:
[14:02] Die Power Sticks, das sind ja diese Amiga eigenen Joysticks, die sie vorher verkauft haben, um ein bisschen Geld einzusammeln für ihr Computerprojekt, die liegen hier nicht bei. Aber man kann diverse gängige Drittherstellermodelle anschließen, die man vom C64 oder vom Atari 400 kennt, Competition Pro oder Quickshot.
Henner:
[14:23] Diese Joystick-Ports, die haben zwar das gleiche 9-Pin-Format wie die, die ich genannt habe, aber die haben hier am Amiga noch eine Besonderheit, die sehr wenig bekannt ist. Die unterstützen nämlich mehr als eine Feuertaste. Und das dürfte jetzt viele überraschen da draußen, weil die allermeisten Spiele nur eine Taste nutzen. Genau wie auf dem C64 oder auf dem Atari ST.
Henner:
[14:43] Die allermeisten Joysticks, die es so auf dem Markt gibt, die unterstützen auch nur eine Taste. Selbst wenn da zwei drauf sind, sind die elektrisch identisch. Also es sind keine zwei unterschiedlichen Signale, aber es gibt einzelne Joystick-Modelle, bei denen das zwei verschiedene Tasten sind. Oder man kann sie auch ein bisschen umbauen, damit sie zwei verschiedene Signale ausgeben. Und dann lassen sich einige Spiele auf diese Weise steuern. Theoretisch sind sogar drei separat nutzbare Tasten möglich am Amiga, aber in der Praxis nutzen fast alle Spiele eben nur eine und wenige unterstützen zwei. Ein Beispiel dafür ist Lionheart. Da wird Taste 2 dann zum Springen benutzt oder Desert Strike, da kann man mit der zweiten Taste die Waffe wechseln. Und das ist ja eine riesen Verbesserung gegenüber diesem Eintasten-Modell. Ich habe ja jahrelang am Atari ST gespielt und das hat mich schon gestört im einen oder anderen Spiel, zum Beispiel bei Kick-Off oder so oder Fußball-Simulation, dass man alles mit einer Taste machen musste. Oder bei IK Plus, dieses Karate-Spiel, da hat man ja als Kämpfer durchaus ein komplexes Bewegungsrepertoire, kann sehr viele verschiedene Kampfmanöver ausführen und alles muss irgendwie mit einer Taste möglich sein. Ist schon erstaunlich, spricht für die Spieleentwickler damals, dass sie das hingekriegt haben, dass das überhaupt funktioniert hat. Aber eine zweite Taste wäre schon cool gewesen. Und das hat auch ein Spieleentwickler mir bestätigt, nämlich ich konnte Andrew Braybrook befragen.
Henner:
[16:07] Der hat einige Amiga-Spiele entwickelt, Unter anderem Paradroid 90 und Uridium 2. Ich habe ihn gefragt, ja warum unterstützen denn so wenig Amiga-Spiele zwei Tasten? Und er war völlig überrascht und sagte, ich wusste bis eben nicht, dass der Amiga zwei Tasten unterstützt. Er sagte, Zitat, zwei Tasten wären fantastisch gewesen. Genau wie bei den vielen Arcade-Maschinen. Das hätte das Leben so viel leichter gemacht. Ja, 30 Jahre später hat er es dann auch erfahren. Aber es ist schon seltsam, dass nur so wenige Spiele davon Gebrauch machen.
Gunnar:
[16:41] Was für ein Erkenntnismoment.
Henner:
[16:43] Ja.
Gunnar:
[16:43] Kommen wir kurz zu den inneren Werten. Der Hauptprozessor ist ein Motorola 68000, der läuft mit rund 7 MHz, arbeitet intern mit 32-Bit-Registern, extern aber nur mit einem 16-Bit-breiten Datenbus für den Zugriff auf den Arbeitsspeicher und die restliche Hardware. Deswegen ist es kein reines 32-Bit-Gerät, sondern gilt als 32-16-Bit-Hybrid. Ein aktueller IBM-PC zu dieser Zeit, der AT-Baureihe, der arbeitet vollständig auf 16-Bit-Basis, intern wie extern.
Henner:
[17:17] Commodore spricht auch selbst in den eigenen Marketing-Unterlagen immer nur von 16-Bit. Also da sprechen sie selbst nicht mal von 32-Bit, wie man es vom Marketing eigentlich eher erwarten würde, dass sie da ein bisschen übertreiben. Aber nee, es ist offiziell ein 16-Bit-Gerät.
Gunnar:
[17:30] Das ist erstaunlich, dass sie das nicht versucht haben. Nintendo ist doch auch mit dem N64 durchgekommen.
Henner:
[17:36] Ja, oder Atari mit der Jaguar-Konsole, Jaguar 64.
Gunnar:
[17:39] Ja, genau. Für diese Adressierung des Arbeitsspeichers, also nicht für die Datenübertragung, dafür steht dem Motorola aber wie beim 286er des IBM ein 24-Bit breiter Bus zur Verfügung. Und damit kann er dann bis zu 16 Megabyte Arbeitsspeicher adressieren. So viel kriegt er natürlich nicht. Das gönnt ihm Commodore nicht. Lorraine und die Vorserienmodelle auf der Basis des Velvet-Prototyps. Die hatten noch 128 KB. Der Amiga wird jetzt mit 256 KB.
Gunnar:
[18:10] An der Gehäusefront gibt es ja diese erwähnte Klappe, das haben wir schon erzählt. Da kann man eine Erweiterung einsetzen mit zusätzlichen 256 KB, dann kommt er einmal hin auf 512. Der Speicher wird nicht nur von der CPU genutzt, sondern auch vom Chipsatz. Es gibt Fast-RAM-Erweiterungen, die arbeiten dann schneller, die dann aber ausschließlich dem Prozessor zur Verfügung stehen. Und das wird möglich durch eine DMA-Architektur, durch Direct Memory Access.
Gunnar:
[18:36] Viele Computer zu dieser Zeit setzen auf eine CPU-zentrierte Architektur. Da steuert der Hauptprozessor alles, auch die einzelnen Datenströme zwischen den Chips. Und im Amiga-Chip-Satz übernimmt der DMA-Controller halt viele dieser Aufgaben, um die CPU zu entlasten. Das Prinzip ist jetzt nicht neu, das hat er nicht erfunden. Auch ein IBM-PC nutzt DMA, aber nicht so konsequent. Für Diskettenzugriffe etwa nutzen sie DMA, aber Bilddaten, da muss die CPU persönlich rübergehen und die in den Videospiecher kratzen. Das geht nicht anders. Im Atari 400-800, da nutzt schon der Grafikchip DMA und mit dem Amiga geht das Team um DeCure und Miner noch einen Schritt weiter.
Gunnar:
[19:17] Der Joe DeCure, mit dem du gesprochen hast, der hat dir auch dann gesagt, es gebe große Parallelen zwischen den Architekturen des Atari Computers und des Amigas. Und neben der Aufteilung vieler Funktionen auf spezialisierte Schaltkreise, also durch den Chipsatz, sei das vor allen Dingen die starke Nutzung von DMA für Funktionen mit hoher Bandbreite. Und das betrifft vor allem die Grafik.
Gunnar:
[19:38] Und dieser Chipsatz, dieses Setup an Chips, das ist auch der Star des Amiga. Er besteht aus den drei Chips mit den berühmten Namen Agnes, Denise und Paula. Die sitzen auf der Platine direkt nebeneinander und es sind vollprogrammierbare Mikrochips und deswegen wird der Amiga oft auch als Multiprozessor-System bezeichnet.
Henner:
[19:58] Was das Commodore Marketing auch nicht macht. Also hier hätten sie durchaus noch mehr rausholen können aus ihrer Werbung. Dann sprechen wir doch mal über diese Chips und was sie überhaupt können und was sie tun, warum sie so wichtig sind. Die sind wirklich das Alleinstellungsmerkmal, denn diese CPU, die du erwähnt hast, dieser Motorola Prozessor, den nutzen ja auch andere, der steckt zum Beispiel im Macintosh oder auch im Atari ST. Aber was den Amiga so einzigartig macht, das ist dieser Chipsatz.
Henner:
[20:26] Und der wichtigste von den dreien ist der Agnus-Chip. Der heißt offiziell MOS Technology 8361. MOS Technology, das ist ja Commodores eigene Chip-Tochter. Und dort wird er natürlich gefertigt. Das ist ja auch ein Vorteil für Commodore, dass sie ihre eigenen Chips bauen können. Die CPU zwar nicht, anders als beim C64 noch, aber zumindest den Chipsatz. Und Agnus ist das Kontrollzentrum, wenn man so will, denn der verwaltet die DMA-Kanäle. Das heißt, der kümmert sich alleine um die Speicherzugriffe, stellvertretend für den ganzen Chipsatz. Aber der enthält auch selbst zwei mächtige Recheneinheiten, nämlich Copper und Blitter.
Henner:
[21:05] Darauf müssen wir noch mal näher eingehen. Sprechen wir erstmal kurz über Copper. Copper steht für Coprocessor. Und ja, das ist in gewisser Weise die Fortführung dieses Racing-the-Beam-Gedankens aus dem Atari VCS.
Henner:
[21:18] Erinnern wir uns kurz dran, was das bedeutet. Das VCS zeichnet natürlich, wie alle Geräte damals, das Bild von oben nach unten, Zeile für Zeile auf den Fernseher. Und für jede einzelne Zeile, die das VCS so malt, kann es neue Befehle mitgeben und so den Bildaufbau dynamisch anpassen. Also während das Bild gezeichnet wird, kann sich der Spielablauf verändern und damit auch der Bildaufbau. Kann also zum Beispiel, während das Bild aufgebaut wird, für eine neue Zeile plötzlich die Hintergrundfarbe geändert werden oder ein Sprite an eine andere Position verschoben werden. Die zweite Generation dieser Miner-de-Cure-Maschinen, also der Atari 8-Bit-Computer, geht noch einen Schritt weiter, denn dessen Grafikchip, der Antic, der kann ja ebenfalls über eine Displaylist genannte Funktion bei der Bildkomposition eigenständig, also CPU-unabhängig, Zeile für Zeile den Grafikmodus dynamisch anpassen. Also zum Beispiel während des Bildaufbaus die Farbpalette wechseln oder Sprites umsortieren.
Henner:
[22:14] Das fußt also wieder auf dem Racing-the-Beam-Paradigma des VCS, nur weiterentwickelt. Und Agnos geht nun noch einen Schritt weiter. Dicure hat mir dazu gesagt, Zitat, der Agnos-Chip kann durchaus führen, seine eigenen Befehle Hardware-Register nicht nur zwischen den Scanzeilen, sondern auch innerhalb einer einzigen Scanzeile ändern. Also er ist noch flexibler als der Antic-Chip oder das VCS. Copper kann dabei auch direkt auf die anderen Chips zugreifen und ihnen Daten schicken, ohne dass die CPU da eingreifen müsste. Der kann zum Beispiel Denise dem Bildprozessor Daten schicken, um ihn an einer bestimmten Position auf dem Bildschirm die Farbpalette ändern zu lassen.
Henner:
[22:55] Die Idee, sagte Cure zu mir, sei es den Spiele-Designern enorme Flexibilität zu geben. Und das ist ja auch gelungen. Wie beim VCS, wo das noch aus der Not geboren war und genau wie beim Atari 800, wo es schon geplant war. Und deshalb, jetzt kann ich es aufklären nach vielen Stunden, deshalb sagte ich gleich zu Beginn des allerersten Teils dieser Folge, eigentlich sei das jedoch eher Folge 3 unserer Atari-Reihe und nicht so sehr Teil 3 unserer Commodore-Reihe. Denn der Amiga folgt in technischer Hinsicht nicht so sehr den früheren Commodore-Maschinen wie dem VC20 oder dem C64, sondern er steht ganz klar in der Tradition von Atari VCS und Atari 400-800. Man kann natürlich auch argumentieren, alle drei Geräte, egal ob VCS oder Amiga, seien eigentlich weniger Atari- oder Commodore-Produkte, sondern vielmehr seien sie eigentlich Miner-The-Cure-Produkte.
Henner:
[23:46] Diese Flexibilität zeigt sich auch in der zweiten wesentlichen Funktionseinheit, die in Agnus steckt, neben dem Copper, das ist der Blitter. Blit steht für Block Image Transfer und der Blitter dient der schnellen CPU-unabhängigen Manipulation von Grafiken direkt im Speicher. Der Cure nennt den Blitter auch die erste GPU. Das ist ja das Kürze, was wir heute für Grafikchips verwenden. Graphics Processing Unit. Der Blätter, der kann beliebig geformte Teile einer Bitmap-Ebene, also einer Bitplane eines großen Bildes manipulieren, verschieben.
Henner:
[24:21] Ausstanzen und kopieren und der ist dabei wesentlich flexibler als die Sprite-Engine. Eine Sprite-Engine hat der Amiga auch, aber die ist stark begrenzt beim Amiga auf acht Sprites, die jeweils 16×16 Pixel groß sein können. Und für komplexe Szenen und Animationen reicht das nicht. Und deswegen wird beim Amiga viel häufiger für komplexe Animationen und Szenen der Blitter eingesetzt, der wesentlich flexibler ist. Außerdem kann der Blitter auch noch Linien zeichnen, er kann Polygone zeichnen und das ist ja auch der Grund dafür, dass er überhaupt drin ist, denn ursprünglich wollte Jay Miner, wir erinnern uns ja, mit dem Amiga-Chip-Satz 3D-Flugsimulationen möglich machen. Die basieren natürlich auf Polygon-Grafik und genau die sollte der Blitter zeichnen können. Das hat sich nicht so ganz ergeben. Der Blitter ist dann doch nicht schnell genug für 3D-Polygon-Grafik, aber er ist drin und das kommt jetzt auch den 2D-Spielen zugute.
Gunnar:
[25:17] Das ist ein erstaunlicher Umweg der Geschichte, dass das hier schneller geworden ist, weil er 3D machen sollte und ist dann dafür aber eine fantastische 2D-Maschine geworden.
Gunnar:
[25:26] Kommen wir zum nächsten Chip. Das ist die Denise, der Grafikchip, alias MOS Technology 8362, zuständig für die eigentliche Bildausgabe. Der enthält etwa die Sprite-Logik und die Farbregister und hat dafür eine Palette von 4096 Farbtönen.
Henner:
[25:45] Wow.
Gunnar:
[25:45] Wahnsinn. Es gibt mehrere Grafikmodi, je nach Auflösung mit unterschiedlicher Farbtiefe. Der High-Res-Modus etwa hat 640×256 Pixel in der europäischen PAL-Version, beim NTSC ist ein bisschen weniger, bei 16 Farben. Spiele nutzen den selten, die bevorzugen den Low-Res-Modus mit halbierter horizontaler Auflösung, also 320×256, weil man da dann doppelt so viele Farben hat, 32 nämlich.
Gunnar:
[26:14] Und einige Spiele verwenden noch eine alternative Low-Res-Variante, den EHB-Modus Extra Half-Bright. Der verdoppelt die Farbauswahl auf 64, indem er die Helligkeit der 32 Farben
Gunnar:
[26:26] auf Wunsch halbiert. Das ist noch nicht alles. Nach einigen Jahren erscheinen Spiele für den Amiga, die seine technischen Grenzen dann erweitern. Etwa Shadow of the Beast, das stellt bis zu 128 Farben gleichzeitig dar. Lionheart aus Deutschland sogar 184. Die beiden setzen dabei vor allem auf dynamische Änderungen der Farbpalette während des Bildaufbaus. Das hat gar keine geheimen Programmiertricks erfordert, das wurde ganz normal über diesen Copper realisiert. Und dieses ganz normal, das sage nicht ich, sondern es hat dir Erik Simon gesagt, der damals bei Talion arbeitete, an dem Spiel Lionheart. Der sagt, das sei einfach ganz normal gewesen, ganz einfach und hardwarekonform. Und er wundert sich selbst darüber, dass die Technik nur selten in diesem Umfang genutzt worden ist. Und auch der Andrew Braybrook, mit dem du gesprochen hast, lobt sie speziell, denn das Clevere am Amiga seien all die Dinge, die man mit Copperlisten anstellen kann. Zum Vergleich, ein IBM-PC mit EGA-Grafik, 1984 eingeführt, zeigt üblicherweise von den 64 verfügbaren Farben nur 16. Der ST hat 512 Farben, kann aber natürlich auch aus denen nur 16 zeigen. Und der Macintosh, der geht gar nicht ins Rennen, der kann ja nur schwarz und weiß.
Gunnar:
[27:44] Die Denise hat noch ein Ass im Ärmel, den HEM-Modus, Hold and Modify, H-A-M. Der erlaubt die gleichzeitige Darstellung aller 4096 Farben. So, wie geht das denn jetzt? Wie passt denn das in den Speicher? Nun, das Bild wird Pixel für Pixel aufgebaut, Zeile für Zeile, von oben nach unten und von links nach rechts. Und das macht sich der HEM-Modus zunutze.
Gunnar:
[28:07] Dabei speichert nämlich die Denise nicht die vollständigen Farbwerte eines jeden neuen Pixels im Rahmen, sondern konstruiert sie auf der Basis des zuletzt gezeichneten. Also die Farbkomponenten des letzten Bildpunktes, Rot, Grün, Blau, das sind ja drei Zahlen sozusagen, die werden entweder übernommen, Hold, dann braucht man dafür nur eine Zahl oder Verändert, Modify. Und dann muss man natürlich wissen, wie weit sich das verändert. Es ist eine differenzbasierte Farbkomprimierung, weil wirklich in jedem neuen Pixel nur der Unterschied zum letzten Pixel gespeichert werden muss, keine vollständigen Farbwerte. Und ein 12-Bit-Farbbild braucht deshalb nur 6 Bit pro Pixel. Die Kompression ist natürlich verlustbehaftet, weil sich für die neue Pixel nicht jeder beliebige Farbwert wählen lässt. Das erzeugt dann kleine Kompressionsartefakte und der Modus erlaubt keinen wahlfreien Zugriff auf alle Bildbereiche.
Gunnar:
[28:54] Für schnelle Animationen ist er daher nicht geeignet, deswegen kommt er nicht oft in Spielen vor, eigentlich fast nie, aber das sieht natürlich ziemlich beeindruckend aus. Eigentlich ist das auch eine dieser Funktionen von Miner, die er gemacht hat in der Hoffnung, dass Flugsimulationen damit besser werden, weil dann die Polygone vielfarbig werden können, aber mit dem fertigen Chipsatz stellt sich raus, dass Denise dafür zu langsam ist. Und dann wollte der Miner diesen Modus wieder entfernen. Das hat ja nicht geklappt. Das ist ja nicht schnell genug, um Flugsimulationen damit zu machen oder Polygone einzufärben. Und dann hat man ihm das aber verboten, denn eine Änderung am Chip-Design ist ja zu teuer jetzt in dieser späten Phase der Entwicklung. Und dann bleibt er jetzt da drin und wird so eine Art Alleinstellungsmerkmal der Plattform, denn er eignet sich zwar nicht für schnelle Spiele, wohl aber für digitale Grafik und Digitalisierung von Fotos.
Henner:
[29:45] Genau, hochauflösende Bilder mit fotorealistischen Farben. Naja, das ist noch keine True-Color-Grafik, aber in der Welt der 8-Bit-Grafik mit 4 bis 6 Farben sind 4096 Farbtöne doch eine neue Dimension. Und diese Fähigkeit mit diesem Ham-Modus digitalisierte Fotos darzustellen, das mag für uns heute natürlich seit ein paar Jahrzehnten selbstverständlich sein, dass ein Bildschirm das kann. Aber in den 80ern war das nicht selbstverständlich und deshalb ist auch diese Warhol-Show in New York so beeindruckend. Nicht, weil er da rummalt, sondern weil es da überhaupt ein digitales Foto von Debbie Harry auf dem Monitor zu sehen gibt.
Henner:
[30:19] Das war auch für mich damals, nicht diese Show, aber etwas ähnliches, eine Art Erweckungsmoment, als ich zum ersten Mal Zeuge solch einer Technologie wurde.
Henner:
[30:29] Daran erinnere ich mich nämlich genau, das war so rund um das Jahr 1988 und da war ich mit meinem Vater in Kiel in einem PC-Geschäft und er hat sich da beraten lassen und ich habe mir die ausgestellten Rechner angesehen. Und auf einem dieser Rechner, vielleicht war das ein Amiga, vielleicht war es aber auch ein 486er PC mit VGA-Grafik, spielt keine Rolle. Jedenfalls lief da ein Programm zu Demonstrationszwecken. Das war vielleicht eine Adressenverwaltung oder sowas. An sich ziemlich langweilig, aber da war neben diversen langweiligen Personendaten ein kleines Bild zu sehen, das Porträt einer Frau. Es war nicht Debbie Harry, irgendeine Frau, Andrea Mustermann oder so. Jedenfalls ein digitales Foto. Und ich weiß noch, dass ich minutenlang dieses Foto angestarrt habe. Weil das nicht zu meiner Vorstellung dessen passte, was ein Computer kann.
Henner:
[31:18] Weil ich kannte den C64, ich kannte auch ein NES und Computerbilder waren für mich Zeichnungen. Das waren immer flächige, abstrakte, grobe 2D-Bildchen, grobe Formen, monochrom oder vielleicht mit einer Handvoll Farben. Aber das waren doch keine realen Bilder wie im Fernsehen, keine Fotos. Das waren in meinem Kopf bis dahin völlig getrennte Welten. Comic-Figuren tauchen ja auch nicht in unserer Realität auf und reale Menschen haben nichts auf dem Computerbildschirm zu suchen. Das geht einfach nicht. Und jetzt brach diese Grenze auf einmal auf und mir wurde klar, Computer können viel mehr. Die verschmelzen Realwelt und Datenwelt. Also das waren vermutlich nicht meine wörtlichen Gedanken damals als Achtjähriger. Aber ich erinnere mich noch ganz genau daran, dass das ein profunder Moment der Erkenntnis war, der mein Verständnis von Computern völlig verändert hat.
Henner:
[32:07] Ja und diese Übertragung von Realwelt in die Datenwelt, die gibt es auch an anderer Stelle, nämlich beim Soundchip und dann sprechen wir doch mal kurz über Paula. Paula heißt offiziell auch wieder anders, das ist der MOS Technology 8364, der ist zuständig für ein paar weniger interessante sekundäre Funktionen, Ansteuerung des Diskettenlaufwerks, aber vor allem für den Sound. Der Amiga hat ja vier unabhängige Mono-Audio-Kanäle, von denen sich dann jeweils zwei zusammenschließen lassen, also zwei pro Stereo-Kanal und anders als ein Atari 400, 800 oder ein C64 generiert der die Töne aber nicht, der beherrscht keine Klangsynthese, wie es damals üblich ist.
Henner:
[32:53] Er enthält also keinen Synthesizer im engeren Sinne, sowas wie den SID im C64. Wie er seine Töne erzeugt, dazu kommen wir gleich. Vorher nochmal, was er auch nicht tut. Es gibt ja noch eine fortschrittlichere Methode der Klang-Synthese, die FM-Synthese, die Frequenzmodulation. Mehr dazu in unserer Soundkarten-Folge. Wie sie die Adlib-Karten auf dem PC ab 1987 unterstützen, das macht er auch nicht. Ich habe Ron Nicholson dazu gefragt, warum eigentlich nicht und er sagte mir, nun die Lizenzgebühren.
Henner:
[33:25] Die die Universität Stanford als Erfinderin dieser Technik verlangt hat, denn diese Technik hat sie sich patentieren lassen, die seien sehr hoch gewesen, deswegen beherrscht der Amiga keine AFM-Synthese. Und es gibt noch einen zweiten Grund. Der anfängliche Amiga-Präsident Dave Morse, der hat ja die Vorgabe gemacht, dass der Amiga interaktive Cartoons abspielen können soll. Und dafür ist es schon hilfreich, wenn man etwas anderes kann auf der Tonebene, nämlich Samples abspielen, digitalisierte Klänge und Sprache. Und genau das macht Paula. Also alle Töne, die Paula ausgibt, werden als 8-Bit-Samples im Speicher abgelegt, wo sie dann von Agnus per DMA ausgelesen werden und von Paula dann abgespielt. Also der Amiga erzeugt keine eigenen Klänge, er spielt immer fertige Samples ab. Die kann er natürlich verfremden und miteinander modulieren, ein bisschen verändern, aber das Ausgangsmaterial ist immer ein Sample. Das können digitalisierte Aufnahmen sein, also wie das Hüpfgeräusch der Boeing-Demo zum Beispiel. Das ist ja ein digitalisiertes Geräusch. Es können aber auch Geräusche sein, die vorher an einem Computer, egal ob am Amiga oder anderswo, Computer generiert wurden, also künstliche Wellenformen, die dann in variabler Geschwindigkeit und Tonhöhe abgespielt werden. Und damit klingt es so ähnlich wie die Klangsynthese auf dem C64 und anderswo, ist aber trotzdem eine andere technische Basis, weil diese Töne eben vorher digitalisiert wurden.
Henner:
[34:50] Und ganz oft ist zu lesen, um damit mal aufzuräumen, der Amiga nutze Wavetables, also Bibliotheken aus vorgefertigten Wellenformen, auf einem ROM-Chip zum Beispiel, wie es spätere Soundblaster-Soundkarten machen.
Henner:
[35:03] Aber das ist nicht der Fall. Also der Amiga hat keinen eigenen Wavetable-Speicher. Jeder Ton, jede Wellenform muss von der Software bereitgestellt werden als so ein PCM-Sample. Das klingt ziemlich unflexibel, das ist ja ein hoher Aufwand dann für die Programmierer von Spielen zum Beispiel, dass sie jeden einzelnen Ton erstmal digitalisieren müssen, aber das eröffnet dem Amiga auch ganz neue Klangwelten, die man damals von Computern und Konsolen noch nicht kennt. Ganz real klingende Instrumente, die nun mal auch real sind in vielen Fällen, also aufgezeichnet wurden vorher oder andere Echtweltgeräusche und Sprachsamples und das gab es in diesem Umfang zumindest vorher auf keinem Heimcomputer und keiner Konsole zu hören. Es gibt ja ab und zu mal Sprachsamples, stay a while, stay forever habt ihr vielleicht schon mal gehört vom C64 und einige andere, aber in diesem Umfang wie jetzt auf dem Amiga, das kennt man noch nicht. Die Cure sagt mir dazu, auch der Amiga habe damals den fortschrittlichsten Klang von allen Heimcomputern und Plattformen gehabt. Ja, das stimmt auch. Natari 400-800, der hat zwar auch vier Stimmen, aber der beherrscht eben nur die begrenzte Synthese und der IBM PC, der ist überhaupt kein Vergleich. Der ist ja noch auf seinen einstimmigen PC-Speaker angewiesen. Hören wir uns mal einen etwas unfairen Vergleich an, wie Musik in einem PC-Spiel klingt. Vielleicht erkennt ihr es. Also erzeugt durch den PC-Speaker. Das klingt so.
Henner:
[36:29] Und jetzt zum Vergleich Amiga-Musik aus dem Spiel Lotus. Und hier hören wir digitalisierte Schlagzeugklänge und E-Gitarrenklänge.
Henner:
[36:57] Ja, das ist eine andere Qualität. Und mit diesen Fähigkeiten etabliert sich der Amiga auch recht schnell bei Musikschaffenden. Der bringt nämlich eine neue Software-Gattung hervor, den Tracker. Das ist eine spezielle Art von Mehrspur-Sequencer-Software, also ein Programm, mit dem sich Musik aus einzelnen, wiederholten und variierten Samples zusammenbauen lässt. Das wird sehr schnell sehr populär auf dem Amiga und das hat seinen Ursprung eben auf dieser Plattform, genau wie das populärste zugehörige Dateiformat Mod. Die Musik arbeitet also hörbar mit Samples und sowas ist auf allen anderen Systemen halt nur mit Programmiertricks und hohem CPU-Rechenaufwand möglich.
Henner:
[37:39] Das sorgt aber nicht nur für sehr eindrucksvolle Musik, sondern das hilft auch bei der Untermalung von Spielen mit Soundeffekten und Sprachsamples. Und jetzt müssen wir uns auch mal ein Beispiel anhören aus dem fantastischen Speedball 2. Das ist ja diese futuristische Handballvariante mit Stahlkugeln. Und was wir jetzt gleich hören, das ist eine Spielszene, ein kurzes Gerangel auf dem Spielfeld, gefolgt von einem Tor, dann gibt es eine Szenenwiederholung und dann Jubel aus dem Publikum. Und zuerst, zum Vergleich, hören wir mal, wie das früher für mich klang, als ich Speedball 2 rauf und runter gespielt habe, an meinem Atari ST mit seiner Klangsynthese.
Henner:
[38:25] So und nun dieselbe Szene nochmal auf dem Amiga.
Einspieler:
[38:37] Get ready.
Henner:
[39:07] Und als ST-Spieler nix davon. Ein bisschen Getröte. Also da hätte man zum Ausgleich der ST-Packung ruhig mal ein Cornetto Erdbeer oder sowas beilegen können. Aber so ist das echt unverschämt.
Gunnar:
[39:20] Mir ist schon aufgefallen, dass du das PC-Beispiel aus Donkey Bus gewählt hast, damit hier wieder Donkey Bus drin vorkommt.
Henner:
[39:27] Ah, hast du es gemerkt, sehr gut.
Gunnar:
[39:28] Ja, weiß ich nicht, ob das so gilt hier. Ich habe mich schon gewundert, wo du das wieder einschmuggeln willst. Also falls es irgendjemand nicht bemerkt hat, da war es drin jetzt. Wir machen einen Vermerk. Ich sage das jetzt auch bloß als Trenner, weil wir jetzt das Thema wechseln und nochmal zu dem Betriebssystem gehen.
Gunnar:
[39:43] Das Amiga-Betriebssystem besteht nämlich aus vier Komponenten. Das hat Trennen. Kickstart, das ist das grundlegende System, das startet den Rechner und hat Basisfunktionen wie die Hardware- und Speicherverwaltung, ähnlich dem BIOS beim PC.
Gunnar:
[39:59] Dann gibt es das Amiga-DOS, das macht das Dateisystem und das Kommandozeileninterface vergleichbar mit MS-DOS auf dem PC. Das kann auch dynamisch Gerätetreiber laden. Dann gibt es die Workbench, das ist die grafische mausgesteuerte Benutzeroberfläche für Dateimanagement und allgemeine Anwendungen in Fenstern und so. Vergleichbar mit Windows und dann gibt es noch Intuition und das ist die technische Basis für die Workbench, also die GUI-Bibliothek und die Steuerungsengine, die Fenster-, Menüs- und Mausinteraktionen verarbeiten kann.
Gunnar:
[40:31] Kickstart soll eigentlich beim Start des Amiga direkt auf einer Platine in einem ROM-Chip stecken, damit es super schnell geladen werden kann und den Nutzer nicht aufhält. Das ist aber im Sommer 1985 noch nicht stabil genug. Dann lassen sie diesen Plan fallen, dann bauen sie in den Amiga eine notdürftig ergänzte und auch teure Tochterplatine ein mit einem 256 KB großen Speicherchip, der Writable Control Store, der dann den Kickstarter-Code bei jedem Rechnerstart lädt. Also ein Umweg, ein Workaround, weil das, was sie eigentlich machen wollen, nicht geht. Nach dem Einschalten wird jetzt der Nutzer von einer Grafik zum Einlegen der Kickstart-Diskette aufgefordert. Das ist ja ein berühmtes Bild, das jeder Besitzer eines Amiga 1000 kennt. Und erst spätere Amiga-Modelle erhalten das Kickstart-ROM. Die brauchen dann diese Diskette nur noch für die Workbench.
Gunnar:
[41:26] Die Workbench auf Intuition-Basis, die setzt statt der üblichen Schreibtisch-Metapher auf eine, man ahnt es schon, Werkbank-Metapher. Workbench ist ja klar.
Gunnar:
[41:36] Da gibt es dann statt Aktenordnern halt Schubladen, aber das ist in der Praxis kaum relevant. Die Werkzeuge sind die üblichen Programme, die man auch von anderswo her kennt. Editor, Kommandozeile, Sprachsynthesizer und die Uhr. Die Uhr ist ganz lustig, weil man muss die bei jedem Systemstart neu einstellen. Der Amiga kann sich das nicht merken, wie die Uhrzeit ist. Der hat keinen Batteriepuffer dafür. Das ist ein bisschen peinlich auf eine Art. Natürlich jetzt nichts Schlimmes, aber da kommt man sich schon ein bisschen blöd vor, wenn man das machen muss. Da nochmal die Zeit eingeben. Aber das sieht aus wie eine zu der Zeit moderne grafische Oberfläche. Man kann da Fenster verschieben und Icons anklicken, kann Sachen in den Papierkorb werfen. Aber im Gegensatz zu Windows 1.0, das ab 1985, ab Ende 1985 am Markt ist, kann Intuition auch überlappende und freiskalierbare Fenster erzeugen.
Henner:
[42:28] Wow.
Gunnar:
[42:29] Alles in ein bisschen komischen Farben, weil es hat nur vier Farben und das sind die Farben Grau, Weiß, Blau für den Hintergrund und Orange. Und dazu gibt es noch ein mehrfarbiges Mauszeigersprite. Das ist ein bisschen schräg, man erkennt das auch sofort. Das gibt dem einen ganz distinktiven Look. Aber generell ist es so, dass Intuition Fenster nicht darauf limitiert. Jedes Programm kann seinen eigenen Grafikmodus holen, anfordern, wenn es den will. Aber Spiele laufen in dieser Workbench-Umgebung trotzdem nur ganz, ganz selten. Welche Software gibt es noch? Es gibt noch eine Basic-Programmiersprache. Das haben wir schon kurz erwähnt. Anfangs ist das eine Version namens ABASIC von der Firma Metacom Co. Später gibt es dort Amiga Basic von Microsoft. Außerdem liegt eine Diskette von Electronic Arts bei. Was mag da drauf sein?
Henner:
[43:20] Oh, bestimmt Spiele.
Gunnar:
[43:22] Ja, Demo-Versionen von allen möglichen Programmen, aber keine Spiele. Und es können sogar einige Programme auf dem Amiga gleichzeitig laufen.
Henner:
[43:33] Ja, denn der beherrscht Multitasking und das ist auch direkt aus der Zukunft.
Henner:
[43:38] Aber ich muss noch mal kurz auf diese Grafik eingehen, die angezeigt wird, wenn man den Amiga einschaltet. Also da wird eine Hand gezeigt, die eine Diskette präsentiert. Diese Grafik kennt wirklich jeder, der ein Amiga mal benutzt hat, aber bei den späteren Modellen steht darauf Workbench auf dieser Diskette, denn man soll die Workbench-Diskette einlegen, bitteschön. Beim allerersten Modell hingegen steht da noch Kickstart drauf, weil man eben die Kickstart-Diskette einlegen muss als allererstes, weil dieses grundlegende Betriebssystem noch nicht direkt auf der Platine sitzt. Ansonsten hat sich die Grafik nicht geändert. Nur die Beschriftung der Diskette. Aber ich muss mal sagen, ich fand das damals schon ganz schön peinlich, wie dieses Bild aussieht. Diese krude gezeichnete Hand. Also das könnte ich mit Paint nicht hässlicher malen. Das sieht wirklich fürchterlich aus. Ich habe RJ Michael, den Verantwortlichen für das GUI, mal gefragt, wäre das nicht schöner gewesen, hier ein digitalisiertes Foto von der Hand zu zeigen?
Henner:
[44:32] Das hätte doch gleich beim Einschalten mal gezeigt, wozu der Amiga fähig ist. Aber er hat das verteidigt und gesagt, ja, dieses Bild, das muss ja im ROM-Chip vorliegen. Das muss direkt auf der Platine gespeichert sein, das wird ja nicht von Diskette geladen. Und da zählt nun wirklich jedes Byte. Und hier ein hochauflösendes Foto reinzupacken, das hätte den Rahmen gesprengt, wäre viel zu teuer gewesen. Deswegen wurde es diese platzsparende, aber sehr detailarme, vierfarbige Illustration. Das ist die Hand der verantwortlichen Grafikerin, die diese Zeichnung gemacht hat. RJ Michael hat sie in Schutz genommen.
Henner:
[45:07] Nun gut, aber zurück zur Zukunft, nämlich zum Multitasking. Das ist ja für das Jahr 1985 ebenso bahnbrechend wie diese Benutzeroberfläche. Also Multitasking, die parallele Ausführung von mehreren Programmen.
Henner:
[45:21] Das heißt, in der Praxis, ein Amiga-Nutzer kann zum Beispiel im Hintergrund mit Deluxe Music Construction Set oder einem anderen Programm Musik abspielen lassen. die er vorher selber komponiert hat, während er im Vordergrund mit dem Texteditor einen Brief schreibt. Und nebenbei wird auch noch eine Diskette kopiert oder es wird was ausgedruckt oder so. Und das ist nun wirklich futuristisch für jemanden, der DOS gewohnt ist oder selbst eines der frühen Windows, denn Windows 1.0 kann sowas nicht. Da kannst du zwar mehrere Fenster parallel offen haben, aber wenn du ein größeres Programm startest, etwas, was über eine Uhr oder so hinausgeht, Dann wird alles, was im Hintergrund läuft, pausiert. Also die Programme laufen nicht wirklich parallel. Und genau so ist es am Macintosh auch. Der hat zwar eine recht fortschrittliche grafische Benutzeroberfläche und das ja immerhin schon seit 1984, aber auch dort laufen bestenfalls Mini-Gadgets wie eben die Uhr, der Kalender oder dieses Puzzlespiel, was dabei liegt, nebeneinander. Aber richtigere, größere Anwendungen, Textverarbeitung zum Beispiel oder Tabellenkalkulation, das verlangt auf dem Macintosh immer nach dem Fullscreen-Modus und damit laufen alle anderen Programme im Hintergrund nicht weiter. Das kann aber der Amiga und das wird auch gerne präsentiert mit der Boeing-Demo. Da wird dann in einem Fenster der Ball hüpfen gelassen und in einem anderen wird gearbeitet und dass das gleichzeitig geht, sagenhaft. Macht vielleicht nicht so viel Spaß auf den Mini-Monitoren dieser Zeit, aber es geht. Und es ist nicht nur…
Henner:
[46:50] Irgendein Multitasking, das der Amiga beherrscht, es ist sogar präemptives Multitasking, denn man unterscheidet zwischen kooperativen und präemptivem Multitasking und das Präemptive, das der Amiga beherrscht, ist das fortschrittlichere. Also ein Windows 3 zum Beispiel, das setzt auf kooperatives Multitasking und der Name sagt es schon, das verlässt sich darauf, dass die Programme miteinander kooperieren, dass sie sich gegenseitig brav die Kontrolle übergeben. Das klappt aber in der Regel nicht und so kommt es sehr oft zu Abstürzen. Die Programme reißen sich gegenseitig runter. Beim Präemptiven hingegen, da wird alles vom Betriebssystem gesteuert. Also das Betriebssystem weist den einzelnen Prozessen Rechenzeit zu, der steuert das Ganze und das läuft viel zuverlässiger. Allerdings auch nicht perfekt, denn der Amiga muss noch ohne geschützte Speicherbereiche auskommen. Der Motorola 68000 Prozessor unterstützt sowas nicht, anders als der Intel 80286 zum Beispiel. Das heißt, die Prozesse, die gleichzeitig laufen, kriegen keine exklusiven Speicherbereiche. Die sind nicht voneinander abgeschottet, sondern sie greifen alle auf denselben Arbeitsspeicher zu und das kann dann weiterhin dazu führen, dass einzelne Programme, wenn sie abstürzen, das ganze System mitreißen. Also es ist nicht perfekt, aber trotzdem wesentlich mehr als das, was andere Systeme zu dieser Zeit bieten. Das ganze System läuft zu Beginn leider noch nicht so stabil, deswegen haben wir auch das Kickstart nicht im ROM, sondern auf der Diskette, damit man regelmäßig und schnell Updates nachliefern kann.
Henner:
[48:20] Und ja, so kommt es eben dazu, dass die ersten Amiga-Exemplare noch relativ oft abstürzen. Das läuft noch nicht sehr stabil, aber das bessert sich nach kürzester Zeit.
Henner:
[48:31] Und sowas verzeiht man ja einem Computer auch, der gerade die ganze Branche revolutioniert. Solche Startschwierigkeiten. Oder nicht? Schauen wir mal, was sagt denn die Welt dazu? Was sagt die Presse zu diesem Amiga-Exemplare?
Gunnar:
[48:47] Als der Computer in New York vorgestellt worden ist, da ist das halt auch nur eine Vorstellung gewesen, ein Auftakt in den Markt eingeführt, wird der Computer im September 1985 und man beginnt im Heimatmarkt USA. Und die Presse überschlägt sich mit Lob. Die Byte ist noch eins der zurückhaltenden Magazine, aber auch die nennt den Amiga den fortschrittlichsten und innovativsten PC. Andere Magazine gehen noch weiter. Die Compute sagt, er sei der erste echte persönliche Computer und die Messlatte für alle neuen Computer der nächsten Jahre. Und um ihn zu toppen, bräuchte man einen Minicomputer und ein 10.000-Dollar-Grafik-Terminal und noch einen Synthesizer aneinandergekettet wahrscheinlich. Oder miteinander verkoppelt oder so.
Henner:
[49:33] Das wird eng auf dem Schreibtisch, ja.
Gunnar:
[49:35] Das wird knapp, ja, diese ganzen Geräte. Und wer kann sich das leisten? Und der Amiga hat alles in einem. Laut Personal Computing ist er der mögliche Beginn einer neuen Computer-Ära, laut Creative Computing ist er ein neues Ausdrucksmedium und man prognostiziert, der sei für Programmierer nah an einer religiösen Erfahrung. Auch die Spielepresse ist voller Lob. Die Computer Gaming World nennt den Amiga den Superman unter den PCs und die ultimative Spielemaschine. Völlig korrekt. Später. Zu dem Zeitpunkt. Schon noch ein bisschen verfrüht. Sie erwartet, dass der eine Computer- und Videospiel-Renaissance einläuten kann und zumindest theoretisch jeden Mikrocomputer auf dem Markt ersetzen könne. Und auch die deutsche Happy Computer stimmt ein, nennt ihn einen Traumcomputer. Kritik gibt es selten. Und wenn, dann kommt sie ein bisschen aus dem Off. Die Creative Computing bemängelt den fehlenden Uhren-Batterie-Puffer. Ja, aber mei, das kann man jetzt wirklich mal verzeihen und die New York Times meint, naja, die Geschäftsfeld ist ja an Farben vor Grafik gar nicht interessiert. Was soll denn das? Da ist doch eh alles rot oder schwarz. Und erstaunlich selten wird das schwache Softwareangebot kritisiert. Für die Computer Gaming World ist das allenfalls ein temporäres Problem. Naja, vielleicht, aber es ist ja auch tatsächlich richtig, es muss überhaupt erstmal die Hardware auf den Markt. Und damit fangen ja die Probleme schon mal an, Henna.
Henner:
[50:58] Ja, die verzögert sich. Wir haben es ja gerade schon beschrieben, die Software wird nicht so richtig fertig und deswegen ja auch diese Notlösung mit dem beiliegenden Kickstart auf Diskette. Der Amiga kommt also recht spät. Es gibt unterschiedliche Angaben darüber, wann nun eigentlich die Massenproduktion beginnt. Also im September werden wohl noch recht geringe Stückzahlen ausgeliefert, im Oktober auch und im November erst kommen dann die richtig großen Stückzahlen.
Henner:
[51:24] Aber trotzdem, auch wenn er recht spät kommt, ist er der Konkurrenz ja in vielerlei Hinsicht voraus und auch nicht besonders teuer. Und da können wir uns mal die Konkurrenzsituation zu dieser Zeit ansehen. Die Presse nennt den Amiga oft so eine Art Farb-Macintosh. Schreibt sie, weil es einfach sonst nichts Vergleichbares gibt, aber darunter kann man sich was vorstellen. Also ein fortschrittlicher 16-Bit-Rechner mit grafischer Benutzeroberfläche und Maussteuerung, aber eben in Farbe. Aber der Amiga ist ja viel, viel mehr wegen seines Chipsatzes und er kostet auch viel weniger. Ein Macintosh, den gibt es zu dieser Zeit auch mit ein bisschen mehr Arbeitsspeicher als zum Start. Einer mit 512 Kilobyte RAM kostet zu der Zeit über 3000 Dollar. Der Amiga, als er auf den Markt kommt in den USA, nur ungefähr 1300 Dollar.
Henner:
[52:11] Umgerechnet auf eine heutige Währung, inflationsbereinigt ungefähr, entspricht das 3300 Euro. Ein passender Monitor, der ist nicht dabei, anders als beim Macintosh, wo er eingebaut ist, der kostet dann nochmal 500 Dollar obendrauf und bei uns kostet das Gerät, als es dann in Deutschland auf den Markt kommt, anfangs 6700 DM, das entspricht ungefähr 7300 Euro. Ja, das ist kein Schnäppchen. Allerdings liegt bei uns gleich der Monitor bei. Und das ist immer noch ein happiger Preis, aber der fällt auch sehr schnell. Im Laufe des Jahres 1986 zu Weihnachten 86, ich fand da eine Phobis-Werbeanzeige, gibt es dieses Set aus dem Rechner und dem zugehörigen Monitor schon für 2700 Mark. Also da hat er sich mehr als halbiert.
Henner:
[52:56] Das ist immer noch weniger als das, was man für einen Macintosh verlangt damals und der Amiga kann ja viel mehr und auch der Marktführer IBM spielt damals preislich noch in der anderen Liga, zumindest in den USA. Auch ein älteres PC-Modell von IBM mit 256 Kilobyte RAM kostet über 2000 Dollar. Und wir sagten es ja gerade, der Amiga nur 1300. Und wenn man das Neueste vom Neuen haben will, bei IBM ein PC der neuen AT-Generation, der kostet mindestens 4000 Dollar. Die etwas höherwertigen Modelle sogar 6000 Dollar. Und da ist dann in vielen Fällen auch nur so ein CGA oder ein Schwarz-Weiß-Grafikadapter drin. Wer eine halbwegs zeitgemäße EGA-Grafikkarte haben will bei IBM.
Henner:
[53:42] Da kostet allein die Grafikkarte im Vollausbau 900 Dollar. Und selbst die reicht ja nicht ran an das, was der Amiga beherrscht in grafischer Hinsicht. Also so gesehen auf dem Papier sind das doch eigentlich sehr gute Voraussetzungen für den Amiga, auch wenn er ein bisschen zu spät kommt. Er ist günstiger als ein Mac und als ein PC.
Henner:
[54:03] Aber Gunnar, das ist leider nur die halbe Wahrheit. Es gibt da ja noch ein paar mehr Rechner auf dem Markt, zum Beispiel den neuen Atari ST. Große Konkurrenzmodell. Den gibt es inklusive Farbmonitor schon für 1000 US-Dollar. Und der Markt, der bewegt sich ja gerade ganz stark in Richtung der Klone, also der IBM-kompatiblen PC-Klone. Und die, ja, die sind deutlich günstiger als das, was IBM verlangt. Und das wird den Amiga bis zu seinem Ende verfolgen, dieses Problem, dass die IBM-kompatiblen PCs immer günstiger werden.
Gunnar:
[54:39] Die Hersteller von den IBM-kompatiblen Klonen, die bieten Low-End-Modelle schon zu Preisen des Amiga an, etwa den PC412 von Corona. Der hat 256 Kilobyte RAM und der kostet auch diese 1300 Dollar, die der Amiga kosten soll. Die gehören nicht zur technischen Avantgarde, klar, aber die haben halt eine gigantische Softwarebibliothek, die ja schon da ist jetzt und die sich in den Büros schnell als Standard etabliert. Und es ist wichtiger, kompatibel zu sein, als technischen Fortschritt zu etablieren.
Gunnar:
[55:15] Das zeigt das Schicksal auch eines weiteren neuen Computers, das Mindset 1984 von anderen ehemaligen Atari-Mitarbeitern entwickelt. Das ist ein x86-PC mit MS-DOS, aber mit fortschrittlichen Grafik- und Soundchips und einer Maus und dabei noch günstiger als ein IBM-PC. Der Mindset hat aber das Problem, er ist nur eingeschränkt IBM-kompatibel und zack, floppt. Schon 1985 wird er wieder eingestellt. Ist ja vielleicht ein schlechtes Omen für den Amiga.
Gunnar:
[55:44] Und überhaupt verschwinden um das Jahr 1985 viele Nicht-Kompatible wieder vom Markt. Sogar der IBM-eigene PC Junior, der nicht vollkompatibel ist, floppt. Der Texas Instruments TI-994A floppt, der Commodore Plus 4 geht unter, der Sinclair QL geht unter, die Verkaufszahlen der anderen etablierten Plattformen wie Apple II, Atari XL und C64 und auch des neuen Macintosh, die gehen zurück. Der Markt konsolidiert sich und der Markt konsolidiert sich in Richtung PC-kompatible. Ein Kolumnist der Zeitschrift InfoWorld schreibt im September 1985, seltsame Betriebssysteme wie der Macintosh fliegen in der Geschäftswelt so gut wie ein Bleiballon. Und das erschwert natürlich den Vertrieb. Meine Herren, klare Worte.
Henner:
[56:33] Ja, wirklich keine guten Voraussetzungen für diese Revolution, die da eigentlich versprochen wurde. Übrigens, der Mindset, spektakulär, oder? Der braucht doch auch eines Tages dringend eine Technikfolge mit drei Teilen. Oder, Gunnar?
Gunnar:
[56:46] Ja, ja, bestimmt. Oder mit vier Teilen.
Henner:
[56:48] Mal sehen. Jedenfalls erstaunlich, wie viele Parallelen es gibt zwischen dem Amiga und dem Mindset. Aber der wurde, wie du gesagt hast, nach einem Jahr schon wieder eingestellt. Mal gucken, wie es dem Amiga ergeht.
Henner:
[57:01] Aber den muss man ja erstmal kaufen können. Und wie läuft denn der Vertrieb damals in den USA? Computer werden zu dieser Zeit über vier wesentliche Kanäle verkauft. Es gibt noch einen fünften, das ist der Versandhandel, aber der spielt jetzt für die teureren Gerätschaften eher keine große Rolle. Es gibt die großen Computerketten, sowas wie Computerland. Es gibt die kleinen unabhängigen Fachhändler, die großen Warenhäuser, wo es alles gibt, Es gibt sowas wie Sears, die ja traditionell mit Atari viel zusammengearbeitet haben. Und es gibt die Spielzeugläden natürlich, sowas wie Toys R Us. Ja, und wo gibt es jetzt den Amiga?
Henner:
[57:38] Also das ist kompliziert. Der Evening Independent, eine Zeitschrift aus Florida, hat im September 1985 über dieses Problem geschrieben. Die schreiben dort, führende Computerketten, also sowas wie Computerland, die würden den Amiga nicht ins Sortiment aufnehmen wollen. Sie würden sich dagegen sträuben, noch ein PC-Modell ins Sortiment aufzunehmen. Du hast es ja gerade beschrieben, der Markt konsolidiert sich. Alles geht in Richtung IBM PC und Kompatible. Damit machen sie ihr Geschäft, in die Richtung geht der ganze Markt und jetzt was anderes ins Sortiment aufzunehmen und damit wertvollen Regalplatz zu belegen, was nicht PC-kompatibel ist, dagegen sträuben sie sich. Da sehen sie wenig Chancen. Die bedienen vorwiegend Geschäftskunden und die wollen halt IBM-Kompatibilität und nichts anderes. Die InfoWorld schreibt im August, es gebe zu diesem Zeitpunkt, also noch kurz vor der Markteinführung, nur eine einzige Händlerkette in den USA, die den Amiga führen wolle. Die heißt Computer Factory und die hat gerade mal 20 Filialen.
Henner:
[58:38] Dann bleiben natürlich noch die kleineren Fachgeschäfte, die Unabhängigen, die nicht zu diesen großen Ketten gehören, aber die haben auch kein Interesse, den Amiga aufzunehmen, denn die trauen dem Hersteller nicht. Die trauen Commodore nicht. Commodore wurde ja gegründet und bis vor kurzem noch geleitet von Jack Trammell und der war leider dafür berüchtigt, seine Geschäftspartner über den Tisch zu ziehen. Das hat er auch zu Zeiten des VC20 und des C64 immer wieder getan. Hat Rechnungen auf letzten Drücker bezahlt, hat sie belogen und die trauen jetzt einfach Commodore nicht mehr. Die wollen den Amiga deswegen auch nicht aufnehmen. Ja, dann bleiben noch die zwei anderen Kanäle, die großen Kaufhäuser und die Spielzeugläden. Aber das will Commodore nicht, denn die versuchen ja mit dem Amiga die Geschäftswelt anzusprechen. Die wollen ins Büro, die wollen das Spielzeugimage abstreifen, das der C64 noch hat, der ja in Spielzeugläden verkauft wird. Und damit sich das nicht auf den Amiga überträgt, meiden sie diese Kanäle. Es gibt Gerüchte darüber, ich konnte das nicht belegen, dass sogar die große Kaufhauskette Sears Interesse gehabt haben soll daran, den Amiga zu verkaufen.
Henner:
[59:46] Die haben 1800 Kaufhäuser zu dieser Zeit. Das wäre also ein riesiger Boost gewesen für den Vertrieb des Amigas. Aber Commodore habe das ausgeschlagen. Sie wollten nicht über diese Massenkaufhäuser verkauft werden, um dieses Spielzeug-Image eben nicht auf den Amiga zu übertragen. Aber wie gesagt, das ist unbelegt. Aber so viel kann man belegen. Sears hat den Amiga nicht verkauft. Im Weihnachtskatalog 1985, da findet man den C64 und auch den C128, aber den Amiga nicht.
Henner:
[1:00:16] Und auch im nächsten Jahr ist es genauso. Und bei der Konkurrenz, es gibt ja noch ein paar andere Kaufhausketten, ist es exakt dasselbe. Ich habe all die Weihnachtskataloge durchgestöbert. Kein einziger Amiga.
Henner:
[1:00:28] Also wo kauft man ihn überhaupt? Ja, bleiben nicht viele. Es gibt aber noch ein Problem. Nicht nur, dass die Händler den nicht haben wollen. Commodore hat auch riesige Lieferprobleme. Denn wir haben es ja beschrieben, die Technik wird zu spät fertig. Die Auslieferung verzögert sich ja auf Ende September. Die Massenproduktion, wie gesagt, sogar bis November. Und das ist fürs Weihnachtsgeschäft viel zu spät. Die Händler müssen ja ihre Waren viel früher einkaufen können, um sie dann zu Weihnachten im Regal stehen zu haben. Und das reicht nicht, wenn die erst im November geliefert werden, die großen Stückzahlen. Da sind ja auch die Kataloge längst gedruckt und so weiter. Also das ist zu spät. Aber auch im folgenden Jahr ändert sich das leider kaum.
Henner:
[1:01:08] Und ein Grund für das Zögern dieser Händler, den Amiga ins Sortiment aufzunehmen, auch als er dann lieferbar ist, ist das große erwähnte Problem, ist die fehlende Software. Es gibt einfach zu wenig Programme für den Amiga.
Gunnar:
[1:01:24] Die Zeitschrift Infoworld schreibt im September 1985, dass das Betriebssystem des Amiga ja noch nicht fertig ist. Das verzögert nicht nur die Auslieferung, sondern auch noch die Entwicklung passender Programme von Drittherstellern. Und diese fehlende Software wiederum hindert dann die Händler daran, den Rechner ins Sortiment aufzunehmen. Und zum Beispiel diese in New York gezeigte DOS-Emulation namens Transformer, die basiert noch nicht auf der Hardware-Erweiterung Sidecar, die erscheint erst 86 und die läuft dann so langsam, dass sie auch gar keine Abhilfe schafft.
Gunnar:
[1:01:56] Commodore präsentiert den Amiga in New York mit verschiedenen Programmen, auch eine Tabellenkalkulation, sie wollen ja auch zeigen, dass sie alles haben, aber davon waren noch nicht alle marktreif und kurz nach dem Marktstart verfügbar, also real in den Läden, ist nur Commodores eigene Textverarbeitung, Textcraft, und das von Warhol nachweisbar demonstrierte Zeichenprogramm Graphicraft. Und weitere Anwendungen werden von Publisher Electronic Arts angekündigt, etwa das Financial Cookbook oder die spätere Killer-Applikation Deluxe Paint. Die erscheinen aber erst im Jahr darauf, also 1986.
Gunnar:
[1:02:31] Und das gilt auch für die Spiele. EA-Titel wie Arkham und Seven Cities of Gold erscheinen im Laufe des Jahres 86. Dazu kommt die Softwarebibliothek von Infocom, das natürlich jetzt auch nichts, worauf der Markt gewartet hat. Die Infocom-Spiele, die haben wir ja alle schon gespielt zu dem Zeitpunkt. Und so kommen im Startjahr 1985 nur drei Amiga-Spiele raus, die wir finden konnten. Und das ist ein Lernspiel und zwei Adventures. Das ist weit davon entfernt von einer technischen Machtdemonstration. Sogar für den Atari ST, der ja auch noch neu ist, erscheinen im gleichen Jahr zehnmal so viele Spiele. Darunter immerhin Ultima 2, jetzt auch kein Grafikblender und F-15 Strike Eagle. Es fehlt also im Startjahr des Amiga an Hardware und an Software. Das bessert sich beides im Folgejahr, aber davon muss der Markt ja auch erfahren. Das muss man dem Markt sagen, Henna. Wie sagt man das dem Markt?
Henner:
[1:03:27] Mit Werbung, ja. Oh, noch so ein trauriges Kapitel. Aber noch ganz kurz zur Software. Das ist schon erstaunlich, dass Commodore hier so wenig Starttitel am Start hat. Denn eigentlich müssten sie es besser wissen. Sie haben ja 1982 den C64 rausgebracht. Und noch im gleichen Jahr, in dem der C64 erscheint, 1982, erscheinen fast 100 Spiele dafür. Und auch viele davon von Commodore selbst verlegt. Das sind vor allem Klone von Arcade-Spielen, sowas wie Froggy, was könnte das wohl sein? Oder Alien Invasion, kann man sich auch vorstellen, was es ist. Es sind jetzt also nicht die ganz großen Titel, aber immerhin, es gibt welche. Das müssten sie doch eigentlich wissen, dass ein Computer nur mit passender Software verkauft wird.
Henner:
[1:04:09] Insbesondere, wenn er technisch so herausragend ist. Das muss man ja mit irgendeiner Software demonstrieren können. Ich habe auch RJ Michael dazu befragt, warum hattet ihr so wenig Software zum Start? Und er sagt, ja, war uns bewusst dieses Problem. Wir hätten uns auch gewünscht, wir hätten mehr Software am Start. Aber ihnen ging das Geld aus und ihnen ging die Zeit aus. Sie waren halt froh, sagt er, zumindest ein paar Titel zu haben. Und wir waren froh, dass die Maschine endlich fertig war und dass wir sie auf den Markt bringen konnten. Aber mehr war halt nicht drin. Und meine beste Ausrede ist, schreibt er, dass wir nur Kinder waren. Wir hatten keine Ahnung, was wir wirklich taten. Außer Mitchie. Mitchie ist der Hund von J. Minor, der wusste, was er tat, aber der konnte leider auch nicht helfen bei diesem Softwareproblem. Ja, also es fehlt zunächst an Hardware und dann auch noch an Software.
Henner:
[1:04:57] Das kann man natürlich versuchen ein bisschen auszugleichen mit einer starken Werbekampagne. Die Werbung hilft aber nicht so richtig. Also die Werbung hat jetzt natürlich auch eine schwierige Aufgabe zum Start im Jahr 1985, den Menschen zu erklären, was der Amiga überhaupt ist und was er alles kann. Denn er kann ja nun mal Dinge, die noch kein Mensch jemals gesehen hat. Man muss den Menschen also in 30 Sekunden irgendwie klar machen, was er kann und was das bringt.
Henner:
[1:05:24] Commodore weiß das ja auch selbst nicht mal so genau. Ich habe einen Beitrag in der wunderbaren US-Computersendung Computer Chronicles gefunden. Da wird der Amiga auch vorgestellt im Sommer 85. Und da ist ein Commodore-Manager zu Gast. Und der darf die Frage beantworten, an wen richtet sich denn der Amiga eigentlich? Und Gunnar, du bist der Marketing-Experte. Was glaubst du, was hat der gesagt, der Commodore-Vertreter, was hat er mit dieser Steilvorlage gemacht? Hat er gesagt, A, der Amiga ist der Computer für jeden, für Manager, die mit Zahlen die Welt bewegen, für Spieler, die fantastische Welten entdecken und Künstler, die neue Welten erschaffen wollen. Oder hat er gesagt, B, irgendwas mit Allzweckrechner, Multitasking, bla bla, selbstentwickelter Hardware. Was hat er wohl gesagt?
Gunnar:
[1:06:08] Er hat doch hoffentlich A gesagt.
Henner:
[1:06:10] Nein, er hat B gesagt.
Gunnar:
[1:06:12] Ah, wie traurig.
Henner:
[1:06:13] Es ist traurig und so begeistert man natürlich niemanden. Aber es ist halt auch schwierig, die Menschen zu begeistern für etwas, was sie nicht kennen und nicht verstehen, weil es einfach etwas völlig Neues ist. Das wird auch erschwert durch das Hersteller-Image damals. Commodore ist nun mal bekannt als ein 8-Bit-Billigcomputer-Hersteller, der ständig die Preise senkt, aber nicht für technische Avantgarde und nicht für technische Revolution. Und das muss man jetzt versuchen mit einer Werbekampagne zu ändern, dieses Commodore-Image. Die Ahoi, die Spielezeitschrift, die schreibt damals auch im September 85, Commodore habe nun mal den Ruf, billige Wegwerfcomputer zu bauen. Das ist ein bisschen hart, aber so rücken sie das halt aus. Und die Redaktion schreibt, sie hoffe, die Firma würde jetzt ihre Marketingbemühungen für den Amiga darauf konzentrieren, diese Wahrnehmung zu ändern.
Henner:
[1:07:02] Ja und wie machen sie das? Nun, sie haben leider nicht allzu viel Geld für eine teure Werbekampagne. Das ist ein großes Problem. Die haben ja gerade die Firma Amiga übernommen und gleichzeitig schwinden die Margen für den C64, weil die da ständig die Preise senken und so haben sie einfach nicht viel Geld für eine teure Kampagne. In dem Quartal, in dem der Amiga auf den Markt kommt, von Juli bis September 1985, in genau dem Quartal häufen sie gerade 40 Millionen Dollar Verlust an. Für so eine kleine Firma wie Commodore ist das existenzbedrohend und deswegen haben sie wenig Geld für Werbung und die Kampagne bleibt entsprechend zögerlich.
Henner:
[1:07:41] Es gibt ein paar Fernsehspots, die im Herbst 1985 laufen und wir können mal einen davon näher vorstellen, das ist der wahrscheinlich bekannteste, der heißt Creative Edge und da sehen wir, ja was sehen wir? Sehen wir da vielleicht einen Bildschirm mit grafischer Benutzeroberfläche, auf dem eine Grafikanwendung läuft? Sehen wir vielleicht Andy Warhol, der Deborah Harry zeichnet. Irgend sowas, was einen wirklich mitreißt. Nein, wir sehen einen älteren Herrn, der nicht Andy Warhol ist, sondern irgendein anonymer alter Mensch, der durch so einen futuristischen, surrealen Tempel läuft, über verschiedene Treppen. Da ist nirgendwo ein Computer zu sehen, bis am Ende er auf einen Altar trifft in diesem Tempel und auf dem Altar steht ein leuchtender Amiga.
Henner:
[1:08:27] Den schaltet er ein, dann wird er in gleißendes Licht getaucht und in einen Fötus verwandelt aus irgendwelchen Gründen. Also hier wird der Amiga nicht als Produkt vorgestellt, sondern als so eine Art mythisches Artefakt mit schöpferischer Macht, die dem Menschen einen Neuanfang beschert. Wir hören mal kurz rein.
Einspieler:
[1:08:49] Mein, unbounded. Amiga, der erste Personal Computer der dir eine Kreative Edge.
Henner:
[1:08:59] Ja, das ist sehr verkopft, sehr künstlerisch, man könnte sagen prätentiös. Commodore wurde hier offenbar inspiriert durch den berühmten 1984 Spot von Apple, aber der neue Spot hier von Commodore, der schafft das nicht, den zu replizieren und dessen Wirkung. Und er hat auch keine klare, vergleichbare Botschaft. Es ist völlig unklar, was der Spot einem sagen will. Irgendwie wird alles neu, aber das ist doch reichlich abstrakt. Also ich glaube nicht, dass daraufhin jemand in den Laden gelaufen ist, um den Amiga zu kaufen. Wäre auch schwierig geworden, den gab es ja fast nirgendwo. Ja und dann im neuen Jahr verbessert sich ja wie gesagt die Liefersituation, man könnte den Amiga jetzt kaufen und bald danach gibt es ja dann auch Software. Jetzt wäre es also an der Zeit nochmal eine neue Marketingkampagne nachzuliefern, die wirklich erklärt, was der Amiga überhaupt ist und was man damit machen kann. Aber was folgt, es kommt nix, es kommt Stille.
Gunnar:
[1:09:56] Im Jahr 86 sind die Lieferprobleme dann zumindest gemildert, aber Commodore investiert nicht mehr in Werbung. Es kommt einfach nichts mehr. Sie sind auch nicht auf der CES im Januar und auf der CES im Juni. Commodore hat kein Geld mehr. Thomas Rattigan, der ist ab 86 kurzzeitig der CEO von Commodore, der berichtet später, Commodore habe zu dieser Zeit praktisch von der Hand in den Mund gelebt. Als ich da war, haben wir nicht viel Werbung gemacht, denn wir konnten es uns nicht leisten. Die Rettung verheißen zwei neue Amiga-Modelle, nämlich ein günstigeres und ein erweiterbarer High-End-PC. Die sollen schon im September 1986 erscheinen und jeweils dieses Zielgruppenproblem so ein bisschen lösen, indem sie sich klarer positionieren können. Und dann soll das auch wieder zielgerichtete Werbung ermöglichen. Die Geräte erscheinen als Amiga 500 und 2000, aber Monate später als geplant, im Frühjahr 1987.
Gunnar:
[1:10:53] In der Zeit laufen ja die technischen Veränderungen schnell, insbesondere bei aufrüstbaren Geräten wie dem PC. Zu der Zeit hat der PC schon wieder ganz schön nachgelegt. Ja, da ist jetzt plötzlich VGA-Grafik möglich und FM-Klangsynthese. Also Commodore verschenkt wertvolle Jahre. Das beklagt auch der Miner später. Der hat nämlich gesagt, ich kann euch nicht sagen, wie wütend es mich macht, wie der Amiga behandelt wurde. Die Werbung, die sie machten, war absolut grauenvoll. Und dann gab es ein ganzes Jahr lang gar keine Werbung. Sie verloren Händler und vor allem verloren sie die öffentliche Aufmerksamkeit. Die New York Times konstatiert im Dezember 85, der Commodore sei für das Weihnachtsgeschäft zu spät gekommen. Und auch noch mit zu wenig Software. Commodore wollte bis Jahresende noch 60.000 Geräte ausliefern. Keine sehr große Zahl in diesem Markt übrigens. Doch das werde schwierig und es sei unklar, ob es am fehlenden Angebot liegt oder doch an mangelnder Nachfrage.
Gunnar:
[1:11:49] Und dann auch 86 wird kein Erfolgsjahr. Um es höflich auszudrücken, schreibt die Compute im August über den Amiga-Ansatz. Er ist verwelkt. Das ist das Gemeinste, was ich je gelesen habe über einen Computer.
Henner:
[1:12:02] Ja.
Gunnar:
[1:12:03] Das ist echt so fies, ja. Und der Atari ST hingegen, der stehe in voller Blüte. Nach einem Jahr, Amiga sind etwa nur 100.000 bis 150.000 Stück verkauft. In der gleichen Zeit braucht der C64 für 150.000 Stück drei Wochen. Es werden Stimmen lauter, die von Commodore eine Abkehr vom Büromarkt verlangen. Das funktioniert ja eh nicht. Und eine Rückbesinnung auf den Heimcomputermarkt. Zum Beispiel schreibt die Compute, die Lethargie in der Marktpositionierung, die Commodore seit der Einführung des Amigas heimgesucht hat, ist eine der schockierendsten Kehrtwänden in der modernen Geschichte dieser Branche.
Gunnar:
[1:12:39] Wow, toll. Der Marketingdirektor von EA, Bing Gordon, zeigt sich enttäuscht und der sagt, der Amiga hat sich nicht so entwickelt, wie wir hofften. EA habe eigentlich einen 600-Dollar-Heimcomputer erwartet und keinen 1800-Dollar-Teuren-Büro-Rechner. Entsprechend schlecht verkaufen sich die Amiga-Spiele von EA. Mit den besten Games kommen sie nur auf 25.000 Stück.
Gunnar:
[1:13:02] Nun, Commodore zieht die Konsequenzen. 1986 halbiert das Unternehmen seine Belegschaft. Total krass. Mehrere alte und erfolglose Modelle werden eingestellt. Der VC20 geht über den Jordan. Der Plus4, der C16, das C900-Projekt wird eingestellt. und auch das Amiga-Team muss federn lassen. Ein Großteil der Belegschaft muss bis zum Jahresende 86 gehen. 1987 schließen sie dann den Standort in Kalifornien, in Los Gatos. Die verbliebenen Amiga-Entwickler müssen dann an die Ostküste, da ist die Commodore-Zentrale in Pennsylvania. Jay Miner macht das nicht mit, diesen Move, der wird wieder externer Berater. Es hilft nichts, der Amiga braucht dringend einen Neustart.
Henner:
[1:13:43] Ja, denn so geht es nicht weiter. Revolution hin oder her, er findet keinen Markt. Denn der Amiga sitzt quasi zwischen den Stühlen. Er ist einerseits keine richtige Spieleplattform, weil er dafür einfach zu teuer ist. Er funktioniert nicht als Heimcomputer. Und andererseits als Bürorechner, wo er preislich eher hingehört, wird er nicht ernst genommen, weil er nicht IBM-kompatibel ist, zumindest nicht vollständig, weil es für ihn zu wenig Bürosoftware gibt. Ja, du hast es schon angesprochen, die Lösung liegt ja eigentlich auf der Hand. Man muss diversifizieren, man muss verschiedene Modelle für verschiedene Zielgruppen entwickeln. Und das ist ja auch schon länger geplant, schon 1986. Es verzögert sich dann nur leider ein wenig und damit ist dieses Jahr 86 ja auch weitgehend verloren für den Amiga. Aber im Jahr 86 beginnt also die Entwicklung von zwei neuen Amiga-Modellen. Ein günstiger Heimcomputer soll her auf Basis der gleichen Technik, aber in einem kompakteren Gehäuse. Und gleichzeitig wird ein professionelles Arbeitsgerät entwickelt, das größer und erweiterbar sein soll und damit etwas näher dran am PC.
Henner:
[1:14:48] Allerdings hat man sich jetzt vom Plan verabschiedet, den IBM PCs in den Büros Konkurrenz zu machen. Also in klassischen PC-Aufgaben wie in der Buchhaltung zum Beispiel, da wird er vermutlich eher nicht eingesetzt, hat Rattigan, also der damalige CEO von Commodore mal in einem Interview gesagt. Aber er erwarte, der neue große Amiga würde eher in Bereiche gehen, in denen es ein hohes Maß an Kreativität gibt, also in die Grafikbearbeitung. Und da hat er natürlich völlig recht, da gehört der Amiga auch hin.
Henner:
[1:15:20] Also Commodore scheint so langsam mal das Wesen des Amigas zu begreifen.
Henner:
[1:15:25] Fangen wir mal an mit dem vielleicht interessanteren Modell, mit dem die meisten wohl Erfahrung gemacht haben, die den Amiga kennen aus eigener Erfahrung. das ist der kleinere, der Heimcomputer, der Amiga 500. So einer wird ja schon länger verlangt, nicht nur von der Presse, die du gerade zitiert hast, oder von Electronic Arts, die sich den wünschen als günstige Spieleplattformen, Sondern auch innerhalb Commodores gibt es viele, die von Anfang an gesagt haben, wir hätten einen günstigen Heimcomputer bauen sollen und keine überteuerte Büromaschine. Und jetzt werden diese Stimmen erhört und das Ergebnis ist der Amiga 500. Aber wer darf den entwickeln? Nicht das originale Amiga-Team in Kalifornien. Das ist ja auch 1986 schon stark ausgedünnt. Viele davon sind schon umgezogen oder haben das Projekt ganz verlassen. Sondern die Entwicklung des Amiga 500 obliegt der Commodore-Zentrale in Westchester in Pennsylvania. Die Projektleitung für den Amiga 500 erhält ein Ingenieur namens Jeff Porter und die Chefingenieure heißen Robbins und Welland. Die haben zuvor an dem C900-Projekt gearbeitet, also dieser eingestellten Commodore Unix Workstation. Und jetzt dürfen sie einen günstigen Heimcomputer auf Amiga-Basis entwickeln.
Henner:
[1:16:39] Zuallererst ändern sie dafür mal den Formfaktor. Der 500er soll wieder ein Tastaturcomputer werden, so wie der C64, also alles in einem. Genau wie der größere Bruder auch, der C128. Und auch von dem erbt der 500er die Gestaltung. Der sieht also sehr ähnlich aus wie der C128. Das senkt natürlich auch die Kosten, dass man jetzt ein kompakteres Gehäuse hat. Und der Vertrieb hat auch größere Erfahrung damit, diese Art von Computern zu verkaufen. Das machen sie ja schon seit vielen Jahren erfolgreich mit dem C64 und mit dem VC20. Und auch der Atari ST, der große Konkurrent, hat diesen Formfaktor. Das Diskettenlaufwerk soll aber weiterhin integriert bleiben. Das Netzteil hingegen muss raus, das wird ausgelagert aus Platzgründen. Aber etwas wird dafür wiederum integriert, nämlich, wie von Anfang an eigentlich ja geplant, der ROM-Chip mit dem Kickstart. Ja, das Kickstart ist jetzt fertig genug, dass man es auch in einen Chip brennen kann und das heißt, man braucht jetzt für das Kickstart keine Diskette mehr einzulegen. Gönnen wir uns mal kurz eine Pause von der technischen Beschreibung. Hier sind 10 Sekunden Nostalgie mit Amiga 500 Geräuschen. Bitteschön. Ah, da werden doch bestimmt Erinnerungen wach, nicht wahr? Ja.
Gunnar:
[1:18:03] Ja, schön.
Henner:
[1:18:04] Ja, ich finde auch, dieses Tastaturgeräusch ist sehr charakteristisch. Mein Atari ST klang ganz anders. Ansonsten sind die technischen Änderungen gegenüber dem Ur-Amiga, also dem 1000er, sehr überschaubar. Der Chipsatz ist weitgehend noch derselbe. Es gibt eine kleine Änderung, da kommen wir gleich dazu. Ansonsten gibt es nur kleine Änderungen bei der seriellen und der parallelen Schnittstelle. Aber ansonsten sind die Anschlüsse weiterhin dieselben. Also sehr großzügig. Nur der Tastaturanschluss, der ist jetzt natürlich redundant, der verschwindet. Und der Erweiterungsport, der jetzt Zorro 1 genannt wird, der ändert seine Orientierung, der steht quasi auf dem Kopf. Das erschwert die Kompatibilität mit ein bisschen existierendem Zubehör, ist aber ansonsten nicht weiter schlimm. Nach wie vor ist der TV-Modulator nicht integriert, den muss man also nach wie vor hinzukaufen, wenn er nicht beiliegt.
Henner:
[1:18:56] Das gilt auf dem US-Markt, wo viele den Fernseher an den Antennenausgang anschließen als Manko. In Europa weniger. Da schließt man Fernseher sowieso üblicherweise an den SCART-Anschluss an. Und das ist mit einem Adapter leicht möglich. Da braucht man keinen Modulator. Die wichtigste Änderung, ich habe es gerade schon angedeutet, betrifft den Chipsatz und den Arbeitsspeicher. Denn der wird jetzt verdoppelt, so wie J. Miner das von Anfang an haben wollte. 512 Kilobyte, die gibt es jetzt für den Amiga 500 und der DMA-Controller im Agnus-Chip wird dafür aktualisiert. Der kann jetzt sogar bis zu ein Megabyte-Chip-Ram adressieren. Dadurch bekommt Agnus dann auch einen neuen Namen und wird jetzt bekannt als Fat Agnus, also die adipöse Agnus. Es kommen auch recht schnell entsprechende Speichererweiterungen raus von verschiedenen Herstellern, die das Chip-Ram auf ein Megabyte vergrößern. Wer den Amiga aber primär zum Spielen einsetzt, braucht das nicht unbedingt.
Henner:
[1:19:55] Ja, und für alle anderen, die professionell damit arbeiten wollen, die kriegen ja noch eine Alternative. Das große Schwestermodell für Grafikdesigner und Mod-Musiker der Amiga 2000.
Gunnar:
[1:20:08] Dessen Geschichte ist nicht so tight zu erzählen wie die, die du eben vom 500er erzählt hast. Die ist etwas verworrener. Zeitweise wird dieses High-End-Modell oder überhaupt erst mal ein High-End-Modell auf der Amiga-Basis in drei verschiedenen Commodore-Abteilungen entwickelt. Im kalifornischen Los Gatos, in Westchester und in Braunschweig. Das verbliebene Amiga-Team in Los Gatos rund um J-Minor entwirft 1986 einen fortschrittlichen Prototyp namens Ranger. Diese Version hätte womöglich einen schnelleren Prozessor bekommen, zum Beispiel den 68.020 und einen weiterentwickelten Chipsatz für höhere Auflösungen. Viele der darum kursierenden Spezifikationen sind allerdings reine Spekulationen. Dave Haney stellt später klar, der Ranger wurde von einer Legende zum Mythos und erhielt neue Fähigkeiten bei jeder neuen Erzählung, so wie alle guten Mythos. Also so weit ist das auch alles gar nicht gegangen. Die Commodore-Führung entscheidet sich gegen das Los Gatos-Design und für ein weniger ambitioniertes, das bei der Commodore-Tochter in Deutschland entsteht. In Deutschland wurde zuvor die Sidecar-Erweiterung entwickelt und Commodore’s IBM-PC-Klone, die gibt es ja auch, die Modelle PC10 bis PC70.
Gunnar:
[1:21:24] Und der als Amiga 2000a bekannte Rechner behält den Aufbau des Vormodells mit der abgesetzten Tastatur, aber ohne die Keyboard-Garage kann man also nicht mehr drunterschieben. Das klobigere Gehäuse erinnert an die Prototypen von dem eingestellten C900. Neben dem 3,5 Zoll Diskettenlaufwerk des Vorgängers lässt sich jetzt auch noch ein zweites einbauen und es wird noch ein 5,25 Zoll Schacht ergänzt.
Gunnar:
[1:21:49] Der Grund für das größere Gehäuse ist die wesentliche Neuerung des 2000A. Es gibt neun Steckplätze für Erweiterungskarten, fünf im proprietären Zorro 2 Format und vier für das vom PC stammende ISA Format. Diese vier lassen sich nur im PC-Betrieb mit entsprechender X86-Erweiterung nutzen und nicht mehr mit dem extern angedockten Sidecar, sondern mit einer überlangen Steckkarte, die sowohl einen Zorro-Steckplatz und auch einen Isar-Steckplatz belegt, was hier den Beinamen Brückenkarte einbringt. Sehr schön. Dafür veröffentlicht Commodore auch PC-Karten, die über den alten 8088 hinausgehen. In den 90ern erscheinen sogar drei 386-basierte Modelle. Der Arbeitsspeicher wächst da dann auf einen Megabyte, davon 512 Kilobyte Chip-Ram. Und der Arbeitsspeicher lässt sich anders als im Amiga 500 nicht mehr vergrößern, da Arknus hier unverändert bleibt. Aber bei diesem Modell wird es nicht lang bleiben.
Henner:
[1:22:48] Ganz recht, es gibt noch einen zweiten Amiga 2000. Deswegen ist diese Geschichte auch so ein bisschen verworren. Aber wie cool ist das, dass man jetzt eine Karte einsetzen kann und so den Amiga in einem PC verwandelt. Das sind ja dann praktisch zwei verschiedene Computerwelten in einem Gehäuse, die man auch mit einer Maus und einer Tastatur steuern kann. PC-Software kann man dann in einem Fenster auf der Workbench laufen lassen und so. Also es ist schon alles ziemlich cool, läuft nur leider ein bisschen langsam.
Henner:
[1:23:17] Ja, der zweite Amiga 2000, der kommt wieder aus den USA. Dieser deutsche Amiga 2000a, wie er ja auch genannt wird, der ist zwar einigermaßen erfolgreich, zumindest in Europa, aber der ist in der Produktion ziemlich teuer. Vor allem, weil das ein sehr konventionelles Design ist. Also im Grunde hat das deutsche Team den Amiga 1000 genommen, in ein größeres Gehäuse gesteckt, die Platine vergrößert. Also viel hinzugepackt, aber nichts optimiert. Also es gibt keine Kostenoptimierungen und Vereinfachungen, wie es sie beim Amiga 500 gab. Und dadurch ist er in der Produktion sehr aufwendig. Und jetzt macht sich in den USA wieder in der Commodore-Zentrale in Westchester in Pennsylvania ein drittes Team an die Arbeit, solch einen Amiga 2000 zu entwickeln. Die nehmen also den 2000A aus Deutschland und vereinen den jetzt mit den Verbesserungen des Amiga 500. Das ist eine Aufgabe, die zwei Herren obliegt, namens Terry Fisher und Dave Haney, den wir schon ein paar Mal zitiert haben. und die setzen in diesen 2000er Amiga jetzt den FAT-Agnus-Chip ein aus dem Amiga 500.
Henner:
[1:24:24] Dadurch ist jetzt der Arbeitsspeicher auch in voller Größe von einem Megabyte durch den Chipsatz adressierbar. Also es hat jetzt ein Megabyte Chip-Rahmen, anders als der 2000a. Die CPU kann man ähnlich wie beim IBM PC durch eine schnellere ersetzen. Gute Idee, mehr Modularität ist ein Erfolgsmodell des IBM PCs. Und sie ergänzen einen Videoslot. Das ist ein Steckplatz für Grafikerweiterungen, wie zum Beispiel den GenLog, den wir auch schon mal erwähnt haben. Der lief bislang über externe Hardware, jetzt kann man ihn in Form einer Karte nachrüsten. Der GenLog dient der Synchronisierung mit einem externen Videosignal und das wird für den Erfolg des Amigas auch noch sehr wichtig, weil man ihn dadurch für eine Form von Videobearbeitung einsetzen kann.
Henner:
[1:25:11] Ja und insgesamt nähert er sich in Sachen Modularität also dem IBM PC an. Und diese Variante, die wird auch bekannt als Amiga 2000 B oder auch 2000 CR, wobei das CR für Cost Reduced steht. Also obwohl sich hier einiges gebessert hat, ist er in der Produktion so günstiger als der 2000 A aus Braunschweig. Und der wird dann auch weltweit eingeführt, also diese B-Variante erscheint dann im Jahr 1988 und löst das A-Modell ab. Die sind allerdings äußerlich kaum zu unterscheiden, also dieser 2000B sieht fast genauso aus wie der 2000A und beide, muss ich sagen, sind nicht mehr so elegant wie der Amiga 1000, aber das Gehäuse musste nun mal wachsen, damit man da diverse Karten reinstecken kann.
Henner:
[1:25:59] Aber jetzt müssen wir nochmal einen Schritt zurück machen. Wir sind ja jetzt schon im Jahr 1988, aber erstmal müssen ja die beiden neuen Modelle, also der 500er und der 2000a, auf den Markt kommen. Und das passiert im Frühjahr 1987. Zuerst in Europa und etwas später dann auch in den USA. Und bei dieser Gelegenheit wird jetzt auch der erste Amiga umbenannt, ganz offiziell auch in Amiga 1000, also auch als solcher beworben, obwohl er, wie gesagt, diesen Namen immer schon eigentlich hatte. Und in den USA, da nehmen wir mal die Preise uns vor, da kostet der Amiga 2000, also das erste Modell, rund 2400 Dollar. In Deutschland kostet er 4000 Mark, das entspricht dann hierzulande ungefähr 4400 Euro. Und der kleine, der A500, der eigentlich interessantere von den beiden, der kostet beim Start in den USA 700 Dollar und bei uns ungefähr 1300 Mark. Das ist schon eher ein Heimcomputerpreis. Das entspricht heute ungefähr 1400 Euro. Ja und was sagt denn die Presse damals dazu, Gunnar?
Gunnar:
[1:27:05] Ja die Presse ist erstmal wieder hingerissen, die wankelmütige Presse. Das Info-Magazin mutmaßt dann im Mai 87 der Amiga 2000 sei dank seiner offenen Architektur eine Maschine, die erst weit im neuen Jahrtausend obsolet sein wird, vielleicht sogar nie.
Henner:
[1:27:25] Oh.
Gunnar:
[1:27:25] Da hat sich mal jemand weit aus dem Fenster gelehnt und die Happy Computer in Deutschland sagt im April 1987, der Amiga 500 habe alle Anlagen, den Heimcomputermarkt zu revolutionieren. In seiner Preisklasse hat er einen klaren Technologievorsprung. Na, immerhin, die Presse glaubt jetzt nochmal wieder an die Wände und es muss ja auch nun diesmal klappen. Die Werbung positioniert den 2000er jetzt klar als Arbeitsmaschine. In Deutschland verspricht die Werbung die ganze MS-DOS-Welt. Jawohl, natürlich. Und beim Amiga 500 ist sich Commodore immer noch nicht sicher, was er jetzt eigentlich darstellen soll. Eine deutsche Broschüre beschreibt ihn holprig als Computer, der alle organisatorischen und kreativen Aufgaben erledigt.
Henner:
[1:28:11] Och, Commodore.
Gunnar:
[1:28:12] Meine Fresse, wir wollen doch nur spielen. So kommt es dann auch. Der Amiga 2000 wird ein respektabler Erfolg in der kreativen Branche,
Gunnar:
[1:28:21] kommt in der Videoproduktion zum Einsatz und der 500er wird ein Hit. Er hat den richtigen Formfaktor und den richtigen Preis, um in den späten 80er Jahren jetzt endlich den C64 als populärsten Spieleheimcomputer zu beerben und damit das Potenzial seiner Grafikchips zu entfalten. Und damit hat der Amiga endlich Mitverspätung zu sich gefunden. Sogar J. Minor zeigt sich 1990 zufrieden und meint, der Amiga 2000, das sei ziemlich genau der Computer, den ich im Sinn hatte, als Amiga 1982 startete und der 500er, der sei ähnlich zu der Spielemaschine, die Dave Morris haben wollte. Das war ja der Chef von Amiga, der so gerne Cartoons laufen lassen wollte. Dafür, dass das so klappt, dafür sorgen vor allem die Spielebündel, beginnend mit dem erfolgreichen Batman-Pack, das erscheint in England 1989 im Oktober, ähnliche Bündel gibt es bald auch in Deutschland, etwa das Airbus A320-Paket, der Amiga ist jetzt entgegenwärtig. Auf dem Spielemarkt angekommen und die Entwicklerstudios stürzen sich auf die Maschine.
Gunnar:
[1:29:28] Insgesamt erscheinen 1988 mehr als doppelt so viele Spiele für den Amiga wie 1987 und ein Jahr später überholt er in dieser Disziplin auch noch den C64. Entsprechend beliebt ist der Rechner unter Spielern wie uns so. In wenigen Jahren verkauft Commodore Millionen Stück vom Amiga 500. So kann es weitergehen. Jetzt kann der Höhenflug beginnen, Henner. Kommt aber nicht, Ja.
Henner:
[1:29:53] Wir werden sehen, ob es so weitergeht oder nicht. Das erfahren wir dann im nächsten Teil und können wir schon spoilern vielleicht, dass das der Niedergang sein wird, denn es geht nicht so weiter. Aber das ist doch trotzdem ein versöhnliches Ende für diesen zweiten Teil, dass der Amiga endlich zu sich gefunden hat und endlich auch Spielemaschine sein darf, was ihm zwischendurch immer mal wieder verwehrt wurde. Und mittlerweile scheint sogar Commodore das begriffen zu haben, zumindest in Europa, denn dieses Spielebündel, das Batman Pack, das wollen wir mal nicht unterverkaufen, das ist quasi die Erfindung des Computerspielebündels, sowas gab es vorher gar nicht und das ist ein gigantischer Erfolg, alleine verantwortlich für viele hunderttausend verkaufte Amiga 500. Das ist aber eben eine britische, eine europäische Erfindung. Auf die Idee ist man in den USA nicht gekommen. Trotzdem, er ist jetzt endlich eine Spielemaschine und beim nächsten Mal reden wir dann auch über Spiele.
Gunnar:
[1:30:51] Ja, das machen wir. Bis dahin, Henner, vielen Dank für das Gespräch und vielen Dank euch fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal.
Henner:
[1:30:58] Bis dann.
Aaaah perfektes Timing, habe gestern Abend die 19.1 beendet
/e Hahaha der Schaumstoffschläger vs. Garagentor Sound als Intro, ich liebe euch <3
Die Folge kam wie gerufen heute
Ich kann jetzt auch für mich beantworten - die Aufteilung finde ich inzwischen richtig gut! Letzte Woche war ich zwar überrascht vom abrupten Ende, aber die Tage vergingen doch schnell bis zur nächsten Folge. Und thematisch habt ihr das gut abgegrenzt.
Auch was das Hören betrifft, kann man die kürzeren Folgen doch besser weg frühstücken, so gern ich auch die ultra langen Folgen habe. So haben am Ende ja alle mehr davon.
Ich hätte jetzt nach der letzten Folge schon direkt weiterhören können (die war ja, wie erwartet, ganz hervorragend
). Die Wartezeit war jetzt aber in der Tat auch noch im Rahmen.
*Bin gerade mittendrin. Das Art & Magic- Logo im Intro von Agony müsste ein Beispiel für den Hi-Res-Modus sein. Der Zauberer hat mich damals weggeblasen.
Der Sound
:
Kann gut sein, für solche statischen Bilder wurde der Modus gelegentlich auch in Spielen genutzt.