Gunnar spielt Slay the Princess, eine Visual Novel von Black Tabby Games. Ein Text von Gunnar Lott.

Ich wusste im Vorfeld fast nichts über Slay the Princess, außer: Indie, Visual Novel, sehr gute Kritiken. Das reicht ja manchmal schon, um neugierig zu sein – und dann sitzt man plötzlich nachts um halb zwei vor einem Schwarzweiß-Bildschirm, der aussieht wie eine Illustration aus einem düsteren Märchenbuch, und lässt sich von einer Stimme sagen: „Geh da runter in den Keller und töte die Prinzessin.“ Äh, bitte was?

Das ist die Ausgangslage, und schon auf den ersten Screens schmeißen einem die Entwickler zahlreiche Optionen hin. Töte ich sie, vertraue ich ihr, frage ich nach, flüchte ich – oder rede ich mich um Kopf und Kragen? Ich hab’s selten erlebt, dass ein Spiel die Wahlfreiheit so ernst nimmt.

Die Hütte, in der alles stattfindet

Die Struktur ist klassisch Visual Novel: Man klickt sich durch Textfenster, entscheidet, was man sagt oder tut. Aber die Konsequenzen sind ungewöhnlich stark verzahnt, sozusagen das Genre auf 11 gedreht: Schon die Kleinigkeit, ob man mit oder ohne Waffe in der Hand in den Keller geht, verändert die ganze Dynamik. Und wenn man stirbt (was oft passiert), ist das kein „Game Over“, sondern der Auftakt zu einem neuen Erzählstrang. Jede Wiederholung wird zu einer Variante, in der die Figuren anders reagieren, man selbst eine andere Haltung einnimmt.

Was mich wirklich beeindruckt hat: Slay the Princess nutzt diese Mechanik nicht nur, um viele Arcs anzubieten, sondern um die Identität der Spielfigur aktiv zu formen. Je nach Entscheidung ist man Held, Skeptiker, Liebender – oder ein bisschen von allem. Jonathan Sims (bekannt vom exzellenten Horror-Podcast The Magnus Archives) spricht all diese inneren Stimmen,die zusammen einen unzuverlässigen Erzähler bilden, einen Gesprächspartner aus Identitäten, dem man vertrauen kann oder nicht. Nichole Goodnight leiht der Prinzessin ihre Facetten – mal verführerisch, mal verzweifelt, mal schaurig. Das ist hervorragend gemacht.

Entscheidungen als Dialog-Optionen

Ästhetisch ist das Spiel streng: vergleichsweise simple Zeichnungen, cartoonhafte Augen, wenig Animationen, ordentlich Schwarzweiß-Gewalt. Dazu ein unruhig pulsierender Soundtrack, der ständig zwischen leise dräuend und aufdringlich nervös schwankt. Eigentlich simpel in der Präsentation, aber … effektiv.

Die Prinzessin in ambivalenter Pose

Thematisch geht es um Identität, Vertrauen, Manipulation, aber auch um Liebe und Humor. Es ist ein Spiel, das einen zum Lachen bringt, während man gleichzeitig mit blutigen Händen im Keller steht. Ich bin nach dem Durchspielen gar nicht so sicher, ob ich alles so richtig verstanden habe, aber das Gefühl und die Stimmung haben mich sehr abgeholt.

Kritik? Nun, am Ende gibt es eine längere Expositions-Passage, die ein bisschen steifer wirkt als die vorherige Verspieltheit. Und überhaupt ist das Spiel für die dünne spielmechanische Basis ein bisschen lang. Aber das schmälert nicht, wie stark das Gesamtpaket ist.

Fazit: Slay the Princess ist ein Spiel, das mich ständig überrascht hat, ein Spiel, bei dem zumindest ich den nächsten Schritt der Story lange nicht vorhersehen konnte. Es ist Horror, Drama, Märchen und Komödie in einem. Und es ist eines der seltenen Spiele, bei denen ich schon beim Durchspielen wusste: Das bleibt mir lange im Kopf.

Fakten:
Erscheinungsjahr: 2023
Entwickler/Publisher: Black Tabby Games
Designer: Tony Howard-Arias (Code + Text), Abby Howard (Grafik)
Genre: Visual Novel / Narrative Horror mit Choice-Mechaniken
Plattformen: Windows, macOS, Linux
Spielzeit: ca. 6 Stunden pro Durchlauf, mit hoher Wiederspielbarkeit