Chris entdeckt einen kleine Sticker auf einer alten Spiele-Packung und fällt in ein Recherche-Loch. Ein Text von Christian Schmidt.

Manchmal sind es Kleinigkeiten, die meine Aufmerksamkeit wecken. Zum Beispiel ein Aufkleber auf einer Spieleschachtel. Aufkleber sagen uns Spielesammlern: Hier wurde nachträglich eine Information hinzugefügt; hätte der Hersteller das vorher schon gewusst, hätte er’s direkt auf die Packung gedruckt. In diesem Fall war es ein großer, runder Sticker auf dem 1994er Sportspiel Mindscape Winter Sports, der verkündet: „Jetzt mit Bobfahren in ultrarealistischer, 3D-gerenderter Grafik!“ Wieso, fragte ich mich, wird ein Sportspiel nachträglich um eine Disziplin erweitert? Und was ist so spektakulär an dessen Grafik – das wird doch wohl die gleiche sein wie im Hauptspiel?

Die Suche nach der Antwort führt uns zurück in die Frühzeit der CD-ROM-Spiele, und in ein außergewöhnliches Jahr für den Wintersport. Denn auf die olympischen Winterspiele 1992 im französischen Albertville folgen nur zwei Jahre später schon die nächsten; das Internationale Olympische Komitee hatte beschlossen, Sommer- und Winterspiele (die bis dato im gleichen Jahr stattfanden) auseinanderzulegen. So kamen Wintersport-Fans im Jahr 1994 gleich wieder in den Genuss olympischer Wettkämpfe, diesmal im norwegischen Lillehammer. Das offizielle Begleitspiel dazu stammte von U.S. Gold und hieß Winter Olympics: Lillehammer ’94. In dessen Pulverschnee-Wolken carvte in Europa ein Konkurrent mit, nämlich Super Ski 3.

Dessen Ahnenreihe geht zurück bis 1987, wo in Frankreich das erste Super Ski erschien. Entwickelt wurde es von Microïds, die im Vorjahr mit dem Motorrad-Rennspiel 500cc Grand Prix ihren ersten Hit gelandet hatten. Nun legte man ähnliche Titel nach: Super Ski ist ein klassischer Sprite-Scaler, nur eben mit einem Skifahrer statt Motorrädern.

Vier Jahre später führte die US-Firma Accolade mit dem hervorragenden The Games: Winter Challenge 3D-Vektorgrafik ins Genre ein. Kurz darauf brachte Microïds Super Ski 2 heraus, das dem US-Vorbild mit seinen eleganten blauweißen Polygonflächen verdächtig ähnlich sah, aber bei weitem nicht an dessen Qualität heranreichte.

1994 folgt dann Super Ski 3: Die 3D-Flächen sind nun texturiert, darauf zoomen nach wie vor Sprites. Das sieht für die Ära völlig okay aus, zumal die Skifahrer, Snowboarder und Skispringer von echten Vorlagen abgepixelt wurden. Und es unterstützt (sofern man einen sündteuren Pentium-Prozessor im Rechner stecken hat) sogar einen Splitscreen-Modus für vier Spieler gleichzeitig – ein technisches Kabinettstückchen. Es macht dank der verkorksten Steuerung nur leider keinen großen Spaß.

Super Ski 3: Pixeliges Abfahrtsrennen im Splitscreen.

Super Ski 3 wiederum landet über den Publisher The Software Toolworks auch im US-Markt und heißt dort Mindscape Winter Sports. Mindscape war mal ein eigener Publisher, dann aber von The Software Toolworks geschluckt worden.

Nun könnte es das gewesen sein, wären wir hier nicht im Zeitalter der CD-ROM; und träfen hier nicht zwei Entwicklungen aufeinander, eine in den USA und eine in Frankreich.

The Software Toolworks nämlich hat in den frühen 90ern ein äußerst lukratives Geschäft für sich entdeckt: OEM-Bundles, also beigelegte Software für Hardware und PCs. Die Firma kam ursprünglich mal aus der Anwendungs-Ecke, in den Jahren davor hatte sie ein recht diverses Portfolio aufgebaut; im Programm befinden sich normale Spiele ebenso wie Tools, Lexikon-Software, Schachprogramme, Lernspiele. Das wiederum ist attraktiv andere Player im Markt. „Wir hatten einige sehr lukrative Deals mit amerikanischen PC-Herstellern, die ihren angesagten ‘Multimedia-PCs‘ mit eingebauter Soundkarte und CD-ROM-Laufwerk passende Software beilegen wollten“, erzählt mir Steve Hutchins, der damals als Producer bei The Software Toolworks gearbeitet hat. „Die Hersteller wollten diese Bundles alle sechs bis acht Monate erneuert sehen, um das Angebot frisch zu halten. Das war eine klasse Sache für uns, wir haben auf diese Weise zehntausende von Stück abseits des klassischen Handels verkauft.“ Entsprechend hat The Software Toolworks ständigen Bedarf an neuer Software auf CD-ROM.

Gleichzeitig läuft auf dem neuen Medium ein Wettbewerb um die beste Videokompressions-Technologie, und eine der besten Lösungen kommt zu der Zeit aus Frankreich. Dort hat die Firma Cryo Anfang 1994 das futuristische Rennspiel MegaRace veröffentlicht, das Fahrzeug-Sprites über spektakulär verknotete, 3D-gerenderten Strecken gleiten lässt, die als Video von der CD-ROM gestreamt werden. Als Spiel ist MegaRace Grütze, als Showcase für die Leistungsfähigkeit der neuen Technologie aber beeindruckend, denn dank dem Komprimierungs-Algorithmus des Cryo-Programmierers Pascal Urro laufen die Hintergrundfilme butterweich im Vollbild. Der Erfolg von MegaRace löst in Frankreich einen Render-Boom aus. Auch bei Microïds will man sich an der neuen Grafikform versuchen. Aber was eignet sich als Testballon?

MegaRace: Spektakuläre Streckengrafik für das Jahr 1994 dank CD-ROM. (Bildquelle: Mobygames)

Natürlich Super Ski 3. Zum Jahresende 1994 naht die nächste Wintersport-Saison, Zeit also für ein Update des Spiels, diesmal auf CD-ROM. Das Superski Pro getaufte Projekt bekommt das volle Programm kostengünstiger Updates, die man Diskettenspielen in dieser Ära halt so spendiert, um sie halbwegs schamlos nochmal auf CD-ROM verkaufen zu können: ein bisschen Sprachausgabe, eine Handvoll neuer Musikstücke, gerenderte Intro- und Zwischenfilmchen. Dazu gesellt sich eine wirkliche Neuerung, nämlich das Bobfahren als zusätzliche, siebte Disziplin. Gut, Bobfahren gab es bereits in Super Ski 2, eigentlich kehrt es also nur zurück.

Aber diesmal erlebt man den Rausch der Rinne in – wir erinnern uns – „ultrarealistischer, 3D-gerenderter Grafik“ – nämlich als vorberechneten Film im Stil von MegaRace, vor dem ein Bob-Sprite herumschwankt. Ins Spiel passt das so elegant wie die Kuh in den Hühnerstall: Die Bob-Sequenz bricht mit dem Look der anderen Sportarten, unterstützt den Splitscreen nicht, kommt nur mit einer einzigen Strecke und wirkt in jeder Hinsicht angetackert. Spaß stellt beim anspruchslosen Eisrutschen natürlich auch nicht ein, immerhin da bleibt sich Superski Pro treu.

Der Bob ist ein Sprite, die Strecke ein Video von der CD-ROM.

Dank der Updates ist Superski Pro nun vollumfänglich CD-ROM-tauglich, und so fügt es sich auch wieder ins Portfolio von The Software Toolworks ein. Neue Boxen dafür herstellen zu lassen, das ist es der Firma aber nicht wert. In England lizensiert The Software Toolworks das Spiel an den Billig-Anbieter Ergo Software, der Superski Pro direkt als Jewel-Case-Version verramscht und nebenbei noch Werbung für die Skimode-Marke Nevica ins Spiel hat reinnähen lassen. In den USA dagegen werden die existierenden Boxen von Mindscape Winter Sports pragmatisch zweitverwertet: Auf denen weist nun ein großer, runder Aufkleber darauf hin, dass es sich um eine neue Version auf CD-ROM handelt. Mit Bobfahren in ultrarealistischer Grafik.

All das habe ich also durch einen Sticker auf der Vorderseite der Packung gelernt. Noch ein bisschen Überraschender ist aber die Erkenntnis, die mich auf der Schachtelrückseite erwartet: „Schuss for the Gold in the Slalom“, heißt es dort. Schuss? Ist das in den USA ein bekanntes Wort? Naja, sagt Steve Hutchins, man müsse schon Wintersport-Fan sein, um es zu verstehen. Da habe der Marketing-Texter wohl ein bisschen blumig formuliert. Aber das sei ja schließlich auch sein Job.

Die französische Originalversion von Super Ski 3 hat übrigens auch einen Aufkleber auf der Packung. „Vu à la télé!“, jubelt der Kaufinteressierten entgegen, das Spiel hat es dort also ins Fernsehen geschafft. Das macht mich auch schon wieder neugierig: Wie konnte das denn passieren?

Aber das ist eine Frage für einen anderen Tag. Schuss for the Textende!