Kurz vor Remedys Max Payne hatte The Devil Inside schon “Bullet-Time”. Ein Text von Henner Thomsen.

700 Spiele. So hoch ist mein Pile of Shame. Und ganz unten in diesem imaginären Stapel, vergraben unter so vielen ungespielten Steam-Titeln, liegt eine CD, ein alter physischer Datenträger mit einem Spiel, das ich im Jahr 2001 gekauft und nur ein einziges Mal gestartet habe: The Devil Inside. Gekauft und gestartet habe ich es damals, weil ich sehnsüchtig auf Max Payne wartete und mir dieser andere Bullet-Time-Shooter als adäquater Ersatz erschien. Nun, er war’s wohl nicht. Aber warum eigentlich nicht? Tat ich dem Spiel womöglich Unrecht, lag die ganze Zeit eine Perle unter meinem Stapel? 23 Jahre später starte ich es erneut, wieder wegen Max Payne, und gebe ihm eine zweite Chance.

Das PC-exklusive Spiel war das Erstlingswerk des französischen Studios Gamesquad. Dessen Geschichte erzählten Christian Schmidt und Gunnar Lott in der 12. „Neuzugänge“-Folge, als sie sein zweites (und letztes) Spiel From Dusk Till Dawn besprachen. Veröffentlicht wurde The Devil Inside im Juni 2000, und zwar von Gunnars Lieblings-Publisher Cryo Interactive. Dieser war bekannt für seine verschrobenen Werke und wurde auch hier wieder seinem Ruf gerecht.

Dabei wirkt das Spiel auf den ersten Blick konventionell, ein zeitgenössisches Third-Person-Action-Adventure, das mit seinem Spukhaus-Setting an den Horror-Pionier Alone in the Dark erinnert – was kein Zufall ist, denn beide Geschichten stammen vom gleichen Autor, Hubert Chardot. Was also ist daran verschroben?
Zum einen kann sich der Protagonist Dave in die Dämonin Deva verwandeln und die Monster statt mit der Shotgun mittels Zauberei bekämpfen. Zum anderen wird er bei jedem Schritt von einem Kameramann begleitet: The Devil Inside spielt in einer fiktiven Fernsehshow, inklusive Live-Kommentar und Applaus. Das wirkt zuweilen aufgesetzt, weil das Spiel ohne diese Ebene genauso funktionierte, und Max Paynes Monologe sind mir gewiss lieber als das arg repetitive Moderatoren-Geplapper. Doch originell ist diese Prämisse allemal, und das eingeblendete TV-Bild wertet manch öde Laufpassage auf.

Immer wieder sehen wir Szenen aus der fröhlichen Spielshow, die das Gemetzel zelebrieren.

Mehr noch, dieses TV-Setting liefert die Rechtfertigung für das coolste Feature im Spiel – und den Grund dafür, dass ich mir damals eine Max-Payne-Alternative erhoffte: Zu einem TV-Spektakel gehören Kameraeffekte, und so kann ich nach Belieben per Zeitlupe das Geschehen verlangsamen, mehrstufig, bis auf ein Fünfzigstel (!) der Normalgeschwindigkeit. Jawohl, The Devil Inside bietet unbegrenzte Bullet-Time! Davon konnte Max nur träumen.

Auch wenn Packung, Werbung und der GameStar-Test die Zeitlupe nicht erwähnen, ist sie für mich unverzichtbar. Aus dem Nichts spawnende Zombies und wirre Kamerasprünge zwingen mich dazu, sie für jeden Kampf zu aktivieren. Dadurch wird die Funktion leider zu gut. Nett, dass das Spiel sie nicht limitiert, doch dadurch beraubt es sich jeder Dynamik, vor allem im Vergleich mit Max Payne: Wenn Max sein Herz verlangsamt, schlägt meines schneller, denn ich muss die wenigen Sekunden nutzen, um alle Gegner zu erledigen, bevor ich in die Realzeit zurückfalle. The Devil Inside baut keinen solchen Druck auf, es lässt mir alle Zeit der Welt, bis alle Zombies abgeräumt sind. Das langweilt bald, zumal sich Gamesquad keine Mühe gibt, die Zeitlupe so cool zu zelebrieren wie Remedy – oh, welch vertane Chance: Ein Spiel über inszenierte Gewalt versäumt es, Gewalt zu inszenieren.

Der furchtlose Kameramann ist fast immer dabei, um die Action einzufangen – und zum Glück unverwundbar.

Leider muss ich die so wichtige Zeitlupe über die unerreichbare Taste F11 aktivieren, was sich in den Spieloptionen nicht ändern lässt. Das bringt mich zum gefährlichsten Gegner im Spiel, der hakeligen Steuerung. Ich hänge ständig an Kanten und Stufen, kann aber nicht darüber springen. Vorwärts und zugleich seitwärts gehen kann ich auch nicht, beim gleichzeitigen Druck auf zwei Richtungstasten bleibt Dave einfach stehen. Ich muss die Pistole wegstecken, um eine Tür zu öffnen, und ziehe ich die Waffe zu nah am Gegner, ragt sie durch ihn hindurch und schießt ins Leere. Und wie die Kamerasteuerung funktioniert, ist mir auch nach 23 Jahren noch nicht klar. Versteht sich von selbst, dass es kein freies Speichern gibt. Uff. Es ist schön, wenn sich ein Spiel von Konventionen befreit, aber doch bitte nicht bei der Steuerung!

Das also war es, deshalb habe ich The Devil Inside damals so schnell wieder deinstalliert und lieber noch einmal den Max-Payne-Trailer gestartet: diese unausgegorene Steuerung. Schade, denn unter all den Mängeln liegt ein gutes Spiel, das auch die GameStar 5/2000 mit einer 77-%-Wertung belohnte; ein Spiel mit viel Action und viel Abwechslung in einem prächtigen Setting, diesem atmosphärisch dichten Spukhaus, das so herrlich kontrastiert wird durch die grellbunte Spielshow. Ach, wäre es doch wirklich eine Show, dann wäre die Steuerung kein Problem.

Getestet hat The Devil Inside damals übrigens Gunnar, wegen seiner Cryo-Vorliebe. Ich vermute, er hat es seitdem nicht mehr installiert. Und das werde ich wohl auch, leider, nicht wieder tun – solange im Stapel 699 zugänglichere Spiele auf mich warten.