MAGAZIN: Wie ich mich damals bei GameStar beworben habe
Wer sich um eine Stelle in der Spieleindustrie oder angrenzenden Feldern bewirbt, der darf ruhig ein bisschen forscher sein. Ein Text von Gunnar Lott.
Ich habe eine Weile Bewerbertrainings an der Games Academy gemacht und spreche immer mal wieder bei unterschiedlich Gelegenheiten vor jungen Leuten, die in die Spielebranche oder die Medienindustrie wollen. Nicht wissend, dass wir, die wir drin sind, nach Wegen suchen, um wieder raus zukommen.
(Scherz, schon gut.)
Ich erzähle den jungen Leute dann zuweilen, dass man, wenn man sich in einer kreativen Branche bewirbt, ruhig auch mal was trauen kann. Dazu meine eigene Geschichte in gebotener Kürze:
Wir schreiben das Jahr 1997 der grauen Vorzeit. Mit dem Bewerben hatte ich noch nicht viel Erfahrung. Der Videospieleladen, bei dem ich mir die zweite Hälfte des Studium finanzierte, nahm mich, weil ich zwei, drei Spielenamen kannte und bereit war, an zwei Standorten zu arbeiten. Der Chemiekonzern akzeptierte mich als Ferienjobber im Lager, weil ich zwei an den Armen befestigte Hände und keine ansteckenden Krankheiten hatte. Mein Professor stellte mich als wissenschaftliche Hilfskraft an, weil ich glaubhaft versicherte, den Lohn nicht für mich zu verwenden, sondern in eine Projektgruppe des besagten Professors zu investieren.
Ich hatte aber locker den Gedanken gefasst, dass eine Karriere im Spielejournalismus so ganz falsch für mich nicht wäre. Hatte mich auf eine Anzeige der in Gründung befindlichen GameStar (geschaltet innerhalb von AOL, so war das damals!) beworben, war aber abgelehnt worden. Hatte dann die Bewerbung noch an ein paar andere Hefte geschickt, ohne Resonanz. Da Gott offenbar anderes mit mir vorhatte, dachte ich, gab ich den Plan auf, studierte weiter und jobbte nebenbei im Spieleladen. Aber, Schicksal und so: Eines Tages spazierte, mitten in meiner Schicht, plötzlich der PC-Player-Redakteur Volker Schütz in die Filiale in Kassel. Einfach so. Quasi ein Star! Ich fasste mir ein Herz und fragte den jungen Mann, was wohl mit mir falsch sein könnte, da mich die Spielepresse nicht einstellen wolle. Volker entgegnete: „War deine Bewerbung originell?“ Ich musste zerknirscht einräumen, dass ich ziemlich gestelzten Bewerbungsquatsch verfasst hatte. Wie ich halt dachte, dass man es machen müsse. Wegen Seriösität und so.
Kurzum, mehr Anstoss war nicht nötig — ich versuchte es bei der nächsten Gelegenheit nochmal, legte dem seriösen, aber halbwegs flott formulierten Anschreiben einen »Test« bei, der im typischen Spielehefte-Layout gestaltet war und mich (mit allerlei Witzchen) bewertete, als sei ich ein Spiel.

Und zack! gab es zwei, drei Zusagen zu Gesprächen.
Die Tatsache, dass man dann vielleicht eingeladen wird, heißt natürlich noch lange nicht, dass man den angebotenen Job bekommt, aber das ist eine ganz andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.
Oder ach nee, vielleicht doch jetzt gleich:
Ein paar Wochen später befand ich mich in einem grauen Büro in einem Gebäude in München, mit gerahmten GameStar-Covern an den Wänden, und mir gegenüber saß Jörg L., der Chefredakteur das Spielezeitschrift GameStar. Jörg war in meiner Welt ein Gigant: nicht nur der Chef der GameStar, damals der hippe Gegenentwurf zum Platzhirsch PC Games, sondern auch mit seinen 25 oder 26 bereits ein alter Hase im Geschäft, der früher bei der legendären PC Player Seite an Seite mit ikonischen Figuren wie Boris Schneider und Heinrich Lenhardt gearbeitet hatte.
Ich saß aufrecht auf der Kante eines Stuhls, an einem Tisch neben Jörgs Schreibtisch und versuchte, mich nicht ablenken zu lassen. Ich wollte in diesem Gespräch nichts dem Zufall überlassen und hatte mir eine Art Persona zurecht gelegt: der handfeste, alle Games aus erster Hand kennende ehemalige Videospieleverkäufer, der obendrein schreiben kann, weil, hust, mal ein paar Semester Anglistik studiert. Sicher eine Idealbesetzung, da muss man nach Details quasi gar nicht mehr fragen, auch wenn der Kandidat mit 28 bereits 16 erfolglose Studiensemester auf dem Buckel hat und für einen Nachwuchsredakteur eigentlich schon ein bisschen zu alt ist.
Nervösität passte da nicht ins Bild, Ehrfurcht vor Jörg auch nicht, stattdessen war Wachheit in jeder Sekunde gefragt, um Nebensätze mit Anspielungen auf historische oder aktuelle Videospiele sofort zu erkennen und zu kontern.
Aber kaum hockte ich da mit meinem Notizblock, meinem Stift und meinen beiden schwitzenden Händen, da war alles von der eh nur so halb-clever ausgedachten Persona wie weggeblasen. Bis auf das, was echt war: In der Tat kannte ich mich fantastisch mit Games aus; vier Jahre Zugang zu kostenlosen Spielen als Teil meines Nebenjobs waren nicht spurlos an mir vorüber gegangen. Und dennoch kam ich mir das ganze Gespräch lang wie ein Analphabet vor: Jörg fragte gnadenlos auch nach obskursten Zusammenhängen, verzog kaum eine Miene, ließ nicht erkennen, ob meine Antworten angemessen oder weit daneben waren.
„Welches Spiel würdest Du als Dein Lieblingsspiel bezeichnen, was hast du zuletzt gespielt?“ fragte er, in dem leicht herrischen Tonfall, den viele gegenüber Bewerbern an den Tag legen. Ich zog die Augenbrauen hoch, mein Körper ein Fragezeichen: „Ich kann mich unmöglich auf eines festlegen. In den letzten Monaten allein waren da Fallout, Baphomets Fluch, Little Big Adventure 2, …“
„Fallout? Kennst du das gut?“ unterbrach er.
„Naja, was heißt gut, ich hab’s halt zwei Mal durchgespielt und sogar eine Komplettlösung veröff…“
Wieder fuhr er dazwischen: „Du erinnerst dich an die Screens, die am Ende die Geschichte weitererzählen, basierend auf Deinen Handlungen im Spiel?“
„Jaklar, ich habe zum Beispiel immer…“
„Wie viele waren das?“
„Bitte?“
Er wiederholte die Frage, ohne Genervtheit, aber auch ohne Wärme in der Stimme:
„Wie viele Screens waren das?“
Ich nahm einen Schluck von dem schwachen Brühkaffee, den mir die Assistentin hingestellt hatte. Zeit gewinnen. Dachte kurz drüber nach, dass die Assistentin sich mit „Uli“ vorgestellt hat, was ich bei Frauen immer komisch finde, weil ich bei Uli immer an Uli Hoeness denken muss und…
„Nicht überlegen. Wie viele Screens?“
Mir fielen spontan fünf ein. „Sieben“, sagte ich.
Jörg notierte die Antwort, sagte aber nichts weiter. Vielleicht war da der Anflug eines Lächelns um seine Lippen, aber ich war nicht sicher.
Ich weiß bis heute nicht, ob meine geschätzte „sieben“ die richtige Antwort war. Ich weiß nicht einmal, ob Jörg die richtige Antwort überhaupt selber wusste — vielleicht war das nur ein Test und eine Art Einschüchterungsversuch, vielleicht eine ernst gemeinte Frage, vielleicht nur eine Pose.
Wir redeten dann über andere Spiele weiter. Die Unterredung dauerte mehr als zwei Stunden und ähnelte mehr einer Sitzung von Wer wird Millionär als einem Vorstellungsgespräch. Dass es bei dem Job auch ums Schreiben gehen wird, kam bloß einmal zur Sprache, als Jörg kurz auf die Probetexte einging, die ich der Bewerbung beigelegt hatte: Der eine drehte sich um das Strategiespiel Final Liberation, der andere um Monkey Island 3. Beide Artikel breitete Jörg vor sich aus, mit Final Liberation oben. Klar zu sehen war, dass mein Schreibversuch seinen Korrekturstift herausgefordert hatte: Der Ausdruck strotzte vor Anmerkungen, Streichungen, Umkringelungen in roter Tinte.
„Der Test ist natürlich so nicht brauchbar, aber mir gefällt, dass Du fair zu dem Spiel warst. Viele Leute kennen die Warhammer-Welt nicht und stellen dann die Zusammenhänge falsch dar. Hast Du jemals Warhammer gespielt?“
Ich schwankte kurz, zwischen der Wahrheit und Understatement und entscheide mich für die Wahrheit: „Ja, seit Ende der 80er, zumeist auf Turnieren. Warhammer Fantasy Battles, hauptsächlich, aber auch 40K und das Pen&Paper-Rollenspiel“.
Jörg machte „Ah“, das könnte befriedigt geklungen haben, aber auch angestrengt. Ich kannte beides: Seelenverwandte ah-en einem oft schwärmerisch zu, wenn man von Warhammer redet — Zinnfiguren von Fantasy-Armeen anzumalen und damit Schlachten auf Tapeziertischen auszufechten ist eben ein Hobby für Eingeweihte. Normale Menschen in meinem Studentenumfeld hingegen fabrizierten nach meinem anderthalbten Satz kleine verwirrte Ah-Laute, kürzer im Anschlag und ein deutliches Zeichen dafür, jetzt bitte wieder über die nächste Demo, die Uni-Hausaufgabe oder wenigstens das New-Model-Army-Konzert zu reden.
Ich nahm an, dass Jörgs „Ah“ in die erste Kategorie fiel, aber sicher war ich nicht.
„Der Text zu Monkey Island 3“, machte er weiter, „enthält zwei originelle Formulierungen.“ Er sortierte den Ausdruck nach oben, es gab keine Anmerkungen, nur zwei Sätze waren unterstrichen. „Der Rest ist nichts, aber die zwei nette Einfälle sind schon mehr als bei fast allen anderen Kandidaten. Deshalb haben wir dich überhaupt eingeladen.“

Ich beugte mich minimal vor, um zu erkennen, was er unterstrichen hatte, es schien mir der Satz „… ist nach seinem Ausflug in die Echtzeitstrategie zu LucasArts zurück gekehrt und verschießt nun wieder Pointen statt Laserstrahlen…“ zu sein. Nun, der ist aber auch brillant, dachte ich in mildem Größenwahn.
„Aber glaube nicht, Du könntest schreiben“, holte mich Jörg zurück. „Da müsste man Dir noch ausführlich beibringen. Dafür haben wir ein Traineeship.“
„Traineeship?“ fragte ich zurück, überrascht. „In der Stellenanzeige stand Redakteur.“
„Jaja, das ist nur eine Formalität, eine neue Idee quasi, wir fangen mit 2.500 Mark brutto an, als Trainee. Wenn dann nichts schiefgeht, wirst Du sofort Redakteur und steigst dann auf 4.600 Mark. Das ist dann schon ein schönes Gehalt.“
Ich nickte. Ich hätte auch für ein Schinkenbrot und zwei Glas Wasser gearbeitet.
Zum Abschied überreiche mir Jörg eine druckfrische, noch nicht im Handel erhältliche GameStar. Ich nehme sie ehrfürchtig mit beiden Händen entgegen, wie die Visitenkarte vom japanischen Kulturattaché. Das Titelthema ist Battlezone. „Oh, die wird sich ja leider nicht allzu gut verkaufen“, sage ich ohne nachzudenken. Ups.
Jörgs Gesicht gefriert. Das geht schnell und präzise, sein Gesicht hat definitiv Übung damit.
„Wieso?“
„Nun, die letzte Ausgabe hatte Anno 1602 auf dem Cover, das Spiel war lang erwartet, vielfach vorbestellt. Knaller. Battlezone hingegen hat bei uns im Laden fast keine Vorbestellungen, der Hersteller tut nicht allzu viel in Sachen Promo. Das wird ein Flop.“
Ich redee mich um Kopf und Kragen.
„Hmhm“, Jörg nickt mich aus dem Büro. Eine Woche nach unserem Gespräch erfährt Jörg, dass die Ausgabe mit dem Battlezone-Cover im Kioskeinzelverkauf gegenüber der Vornummer klar abstürzt. Möglicherweise war die unüberlegte Bemerkung am Ende des Gesprächs also ein Einstellungsgrund. Wahrscheinlicher ist, dass er da meine vorlaute Bemerkung schon wieder vergessen hat.
Zwei Wochen später erhalte eine Zusage, sage die restlichen Gespräche ab, dann beginnt meine Karriere. Da ich schon 28 bin, das Studium nicht recht abgeschlossen habe und eine erfolglose Rückkehr als in der Großstadt Gescheiterter fürchtee, packt mich der Ehrgeiz, der Schwung trägt mich in den nächsten Jahren immerhin bis zur stellvertretenden Verlagsleitung.
Aber das ist ja wurscht, in diesem Text geht es ja um das Bewerben an sich.
Also nochmal weg von meinem Karriere, zu einem anderen Beispiel:
Bei meinem Freund N. war es nicht unähnlich. Er hatte BWL wegen Unterforderung abgebrochen, bisschen rumstudiert, dieses und jenes gejobbt, dann schickte er als Bewerbung auf einen Praktikumsplatz eine aufwändig gestaltete Medikamentenpackung mit der Aufschrift Praktikant Forte — einzusetzen bei innerbetrieblicher Überlastung an eine Werbeagentur, mit einem Fläschchen samt Etikett und allen Daten auf einem originalgetreu zerknitterten Waschzettel. Wurde vom Fleck weg engagiert. Ist heute Geschäftsleiter Strategie. Was immer das ist.
Ich nehme an, dass das das eingangs angesprochene Prinzip zumindest für alle Medienberufe gilt — wenn man sehr mutig oder originell daherkommt, wird man zumindest eingeladen. Weil der Personaler oder die Managerin einfach wissen will, was das für eine Person ist, die sich da bewirbt. Und sei es nur zur Abwechslung und wegen des Kuriositätswertes, denn langweilige Bewerbungsgespräche mit ängstlichen oder pseudocoolen Aspirant(inn)en hat man allemal genug.
Das geht schon auch heute noch: Zwar schickt man ja normalerweise keine Briefe mehr, was ein bisschen schlecht ist für die Bastler von Medikamentenfläschchen (aber vielleicht fällt man nur noch mehr auf), aber auch in stark automatisierten Prozessen wie bei Großkonzernen kann man immer noch ein PDF hochladen, auf dem man sich austoben kann. Wenn man nicht übertrieben lustig sein möchte, kann man nutzen, um zum Bespiel die so genannte „dritte Seite“ beizulegen, eine frei gestaltete Seite, auf der man sich darstellt, als Mensch und Mitarbeiter.
Nachklapp:
Und nochmal zurück zur Spielebranche: Der große Tim Schafer, LucasArts-Veteran und Designer von legendären PC-Spielen wie Day of the Tentacle, hat’s auch so gemacht, wie er vor vielen Jahren auf seiner Webseite darlegte — er hattte sich seinerzeit mit einer Art Beschreibung eines Adventure-Spiels beworben, komplett mit krude gezeichneten Bildchen. Lesenswerte Geschichte, angereichert mit Scans der vorangegangenen Ablehnungsschreiben.
(Dieser Text wurde zuerst hier veröffentlicht. Das minimal gestellte Titelbild dieses Artikels ist von Uwe Miethe und zeigt mich im Kreise dreier Kollegen beim, äh, Spielen.)