Ich verliebe mich hoffnungslos in das ruhige Adventure The Invincible. Ein Text von Gunnar Lott.

Ich hatte das Spiel The Invincible, Ende letzten Jahres veröffentlicht vom polnischen Studio Starward Industries für PC (Steam, GOG) und aktuelle Konsolen, schon ein paar Monate lang auf dem Schirm. Was ich darüber wusste, klang interessant:

1. Basiert auf dem gleichnamigen Roman (dt. Der Unbesiegbare, 1964, Suhrkamp) des legendären Sci-Fi-Autors Stanislaw Lem. Hard Scif-Fi, Baby!
2. Ruhiges Explorations-/Erzählspiel ohne Ballern.
3. Spektakuläre Grafik mit Atompunk-Vibe.

Ehrlich, das ist doch genau mein Beuteschema! Ich wollte schon zuschlagen, da habe ich den Fehler begangen, ein paar Tests zu lesen, unter anderem zufällig den der PC Games. Und da wurde das Spiel mit nur 6 von 10* bewertet; der Redakteur nannte es „ziemlich enttäuschend“, fand es mühsam zu steuern und die Erzählung langweilig. Ein paar Steam-Reviews sagten Ähnliches, ich geriet ins Zweifeln: Kauf verschoben.

Stanislaw Lems Werk in zwei Medien auf meinem Couchtisch

Aber neulich kam es mir erneut unter, ich schaute mir noch einmal die wunderschönen Screenshots an und hab’s doch dann gekauft. Und was soll ich sagen, das ist ja wohl eines der besten Spiele des letzten Jahres! Es ist wunderschön anzusehen, mit spektakulären Ansichten eines fremden Planeten, es erzählt in angenehmer Ruhe eine faszinierende Geschichte ohne Bombast und Effekthascherei, es hat mit knapp zehn Stunden gerade die richtige Länge – und es läuft problemlos auf dem Steam Deck.

Ich war sogar so begeistert, dass ich nach dem Durchspielen direkt nochmal angefangen habe, es zu spielen, diesmal mit meiner Tochter, die zuweilen für Action-freie Spiele zu haben ist. Da sprang der Funke aber nicht ganz über. Das lag vermutlich weniger am Spiel selber, sondern daran, dass wissenschaftliche Hard-Scifi vielleicht in diesem Jahrtausend kein Setting mehr ist, für das Teenagerherzen schneller schlagen. Hust.

Atemberaubende Szenerie auf Regis III (Bildquelle: Starward Industries)

Ich hingegen habe direkt sogar noch den eingangs erwähnten Roman** von Lem gekauft, um noch länger in dieser Welt bleiben zu können. Auch das war eine lohnende Investition. Der Roman hat folgende Prämisse: Ein Raumschiff der Menschen, die Kondor, wurde nach Regis III geschickt, einen unbewohnten Planeten, der aber ideale Voraussetzung für Leben bietet, um dort eine wissenschaftliche Mission durchzuführen. Aber die Kondor antwortet nicht mehr, daher schickt die Menschheit das Beste, was sie hat: das Schwesterschiff der Kondor, den bewaffneten Kreuzer Der Unbesiegbare. Der landet auf Regis III, findet die Kondor unbeschädigt, aber niemand lebt mehr. Die Besatzung ist … verhungert; die Leichen liegen neben unangetasteten Lebensmittelvorräten. Was ist passiert?

Das Spiel übernimmt diese Prämisse, aber nicht die Handlung des Romans. Im Spiel bekommt eine andere Fraktion der Menschheit mit, dass Der Unbesiegbare nach Regis III verlegt wird und schickt eine Gruppe Wissenschaftler in einem kleinen Schiff los, um dem schweren Kreuzer zuvorzukommen – und vielleicht die Schätze zu finden, wegen denen der Unbesiegbare mutmaßlich auf den Weg gebracht wurde. Das ist clever, weil es die grundlegende Handlung des Romans nicht stört, aber doch eine andere Perspektive ermöglicht als das einigermaßen abstrakte Buch. Lems Werke sind keine zufällig im All spielenden Abenteuer wie Star Wars oder Star Trek, das sind … Weltraumgeschichten, mit wissenschaftlichem Blick und schon mal bis an die Grenze der Langeweile erzählt. Starward Industries Spiel macht das alles sehr viel zugänglicher und menschlicher, ohne aber die Faszination des Mysteriums zu schmälern, etwa, indem die Spielerin noch Überlebende der Kondor finden kann, die im Buch lange tot sind und ihre Geschichte nicht mehr erzählen können.

Retrofuturismus in den Raumschiffen und Gebäuden (Bildquelle: Starward Industries)

Aber nochmal konkreter: The Invincible ist ein Walking Simulator mit Ego-Perspektive, relativ limitierter Bewegung und wenig Rätseln. Große Teile der Handlung werden per Audio erzählt, in Dialogen und Funksprüchen. Das ist nicht jedermanns Sache, denke ich, aber wer Firewatch oder Deliver us the Moongemocht hat, dem dürfte das gefallen. Gibt ein paar kleine Unebenheiten in der Steuerung, aber nix Wildes. Man darf ab Mitte der Geschichte sogar einen rumpeligen Buggy fahren, falls man den Walking-Part von Walking Simulator satt hat.

Und … wie das aussieht! Ich meine, hey, Unreal-Engine und alles, aber mit welcher stilistischen Zielsicherheit das Team diesen wunderschönen und glaubhaften Look von Retrofuturismus geschaffen hat, ist nichts weniger als bemerkenswert. Die Installationen und Maschinen sehen aus wie aus Werken der Science Fiction der 60er und 70er Jahre entsprungen, wie von Chris Foss oder Syd Mead gezeichnet. Der Planet ist wie ein begehbares Gemälde von Chesley Bonestell; selten habe ich ein Spiel gespielt, das so deutlich eine Liebeserklärung an die Science Fiction war. Allein dafür lohnt es sich, es zu spielen – wenn man denn kein Herz aus Holz hat und mit Science Fiction auch abseits von Raumschlachten etwas anfangen kann.

Fazit: The Invincible ist mein Lieblingsspiel derzeit, folglich dringend empfohlen für Leute, die so sind wie ich: Liebhaber klassischer und wissenschaftlicher Science Fiction, gepaart mit hoher Toleranz für Story-Spiele ohne viel Mechanik. Wer hingegen Aliens oder Action braucht oder gar mit Scifi fremdelt (Shame! Shame!), der sollte einen Bogen um das Spiel machen.

* Zur Ehrenrettung des Games-Journalismus sei gesagt, dass Elena Schulz für GameStar eine sehr viel angemessenere Wertung vergeben hat: 86%.
** Für Eilige: Es gibt auch eine ganz nette deutsche Hörspielfassung der ARD mit einer Spieldauer kürzer als eine Stay-Forever-Folge.

Den Fortschritt der Story dokumentiert das Spiel als Comic. (Bildquelle: Starward Industries)